Die Pista di Fiorano ist die hauseigene Rennstrecke von Ferrari im italienischen Maranello. Unser Autor hatte die Gelegenheit, einen Ferrari SF90 Stradale mit 1.000 PS und einen Ferrari 296 GTB mit 840 PS zu testen – aus der Sicht des Beifahrers und gefahren von professionellen Ferrari-Piloten.
Wir wollen auf die Rennstrecke. Wir wollen fahren, wollen erleben, wie es ist, mit einem 1.000-PS-Auto über einen Rennparcours zu rasen. Doch bevor wir so weit sind, müssen wir ein hohes Metall-Schiebetor und einen Pförtner passieren, bei dem wir zahlreiche Formalitäten erledigen müssen. Dann ist es endlich so weit. Wir sind auf dem Hof vor Enzo Ferraris Haus in Maranello. Vor uns stehen ein Ferrari 296 GTB in Schwarz mit gelbem Dekor und ein Ferrari SF90 Stradale in Ferrari-Rot. Die Hintergrundkulisse bildet eine Armada von Ferrari Cabrios – und das Haus von Enzo Ferrari, dem Gründer der Sportwagenschmiede.
Auf der Strecke herrscht im Auto Helmpflicht
Bevor wir auf die Rennstrecke dürfen, erhalten wir eine Einweisung, wie man am besten welche Kurven fährt, was man sein lassen sollte – und wie man mit Sportwagen umgeht, die 1.000 respektive 840 PS haben. Nachdem auch dieser Punkt erledigt ist, dürfen wir zum Startpunkt der Pista di Fiorana. Alle Modelle sind aus dem „Ferrari Approved“-Programm, dem zertifizierten Gebrauchtwagen-Programm von Ferrari. Um es vorweg zu nehmen: Ich habe schon viele Ferrari testen dürfen, einen Unterschied zu fabrikneuen Modellen habe ich nicht feststellen können.
Bevor wir einsteigen dürfen, erhalten wir Hauben, die Sturmhauben nicht unähnlich sind. Jedoch sind unsere aus sehr dünnem Material. Ein hygienisches Accessoire, denn als Nächstes erhalten wir Helme mit eingebautem Headset und Mikrofon. Das alles ist schon aufregend und amüsant zugleich, denn ich denke, dass man uns hier einfach nur eine tolle „Show“ liefern möchte. Welch ein Irrtum! Das Ganze hat durchaus Sinn.
„Hard brake“ wird zur wichtigsten Info
Mit dem Helm auf dem Kopf steige ich in den für mich ersten Rennwagen dieses Tages, einen von zwei SF90 Stradale. Der Helm macht mich um einige Zentimeter größer, was den Einstieg etwas erschwert. Kaum sitze ich, eilt sofort ein Ferrari-Mitarbeiter herbei und „verkabelt“ mich. Heißt, er schließt das Kabel für die Helmelektronik an, damit ich mich mit „meinem Fahrer“ – einem professionellen Ferrari-Testfahrer – unterwegs unterhalten kann. Mein Griff zum Sicherheitsgurt rechts von mir geht ins Leere. Auch hier kommt mir sofort eine helfende Hand entgegen und reicht mir eine Gurtschlaufe, denn dieser Wagen verfügt über Hosenträger-Sicherheitsgurte. Diese kann man sich wie die Hosenträger einer bayerischen Trachtenlederhose vorstellen, rechts und links laufen nahezu senkrecht Gurte über den Oberkörper, die in der Mitte mit einem Klickverschluss verbunden werden.
Nachdem ich verkabelt und angeschnallt bin, schließt jemand von außen die Beifahrertür. Und los geht das Abenteuer. Ein Donnergrollen ertönt, der Motor ist gestartet. Wir rollen vor an die Startlinie. An der Seite steht ein Rettungsteam im Bergungsfahrzeug bereit. Daneben ein Notarztwagen. „Wozu das denn?!“, schießt es mir noch durch den Kopf. Da gibt ein Streckenposten die Rennpiste frei, und mein Fahrer tritt das Gaspedal durch! Vor uns eine Gerade von wenigen hundert Metern, bevor die erste Kurve kommt. Gefühlt erreichen wir eine Geschwindigkeit von 200 km/h.
Der Fahrer kommentiert von Anfang an, was er macht, wie er schaltet. Eine der Information gewinnt an diesem Tag jedoch nachhaltige Bedeutung für mich: „Hard brake!“ Wir unterhalten uns auf Englisch, weil ich kein Italienisch spreche, mein Fahrer kein Deutsch. „Hard brake“, also „Harte Bremsung!“ Diese Ansage kommt vor jeder Kurve, die wir meist mit Geschwindigkeiten durchfahren, die wohl jeden „normalen Fahrer“ aus der Bahn geworfen hätte. Zumal es an diesem Tag in Maranello regnet.
Jedes „Hard brake!“ bedeutet für mich: Gleich hängst Du in den Gurten! Ich denke mir: „Gut, dass Du einen Helm trägst, damit Du Dir den Kopf nicht anstößt“. Der Helm ist keine Show, wie anfangs gemutmaßt, sondern echte Notwendigkeit!
Beschleunigung lässt sich kaum beschreiben
Es macht unendlich viel Spaß! Bei der ersten Runde bin ich noch angespannt, klammere mich instinktiv am Türgriff fest. Aber schon in der zweiten Runde bin ich deutlich entspannter, weil ich merke, dass mein Fahrer genau weiß, was er tut. Er kennt nicht nur die Strecke in- und auswendig, sondern beherrscht auch den Ferrari perfekt – selbst auf regennasser Fahrbahn. Etwas mulmig wird mir im Nachhinein, als ein anderer Fahrer vermeintlich eine Kurve – auch gefühlt mit 200 km/h, besonders sportlich nimmt. Zunächst denke ich: „Klar, der macht es, wie der Instruktor es beschrieben hat. Er fährt die Kurve ganz am Rand aus.“ Als wir dem Grünstreifen schon sehr nah sind, kommt von ihm ein lapidares: „Ups, ich habe gerade auf die Instrumente geguckt und meine Linie verloren.“ Mit Otto Normalfahrer hätten wir wohl Bekanntschaft mit der Bankette gemacht. Hier geht es problemlos gut.
Richtig spannend ist die Fahrt ab der zweiten Runde, denn dann ist die Gerade, die an der Startposition vorbeiführt, deutlich länger. Hier können die Fahrer so richtig Gas geben. Es ist ein kaum beschreibbares Gefühl, wenn der Körper mit einer Geschwindigkeit beschleunigt wird, die an einen startenden Kampfjet erinnert. Ich werde ruckartig in den Sitz gepresst, was ich kaum für möglich gehalten hätte, weil die Gurte mich ohnehin an den Carbonsitz drücken. Ich bin eins mit meinem Sitz, der dafür sorgt, dass ich auch nach mehreren Runden auf der Pista di Fiorano „problemlos“ und ohne Rückenbeschwerden aussteigen kann. Nicht mal Fliegen ist schöner!
Trotz aller Professionalität der Fahrer, den perfekten Sitzen, der hohen Sicherheit muss ich gestehen – nach zwölf Runden ist mir etwas schlecht. Daher lehne ich das Angebot, erneut mitzufahren, dankend ab. Neben diesem fulminanten Erlebnis sind alle Beteiligten äußerst zuvorkommend, nett und bemüht, uns jeden Wunsch zu erfüllen.
Die Beine baumeln aus dem Kofferraum
Mein Wunsch ist, auch schöne Fotos von den Ferraris auf der Rennstrecke zu machen. Dafür würde ich gern „Car to Car-Fotos“ machen. Das habe ich schon einmal vom Beifahrersitz eines Autos gemacht, während der Fahrt. Dabei ist der Hintergrund verschwommen, während das Auto scharf abgebildet wird. Diese Technik kannte ich auch von Fernsehaufnahmen. Mein Wunsch wird umgehend erfüllt. Ein Mitarbeiter besorgt einen Kombi, mit dem ich auf der Piste die Rennwagen begleiten darf.
Als es losgehen soll, frage ich mich jedoch zunächst: „Oh nein, was hast Du gemacht?!“ Ich werde nämlich nicht auf den Beifahrersitz gebeten, sondern in den offenen Kofferraum des Kombis. Dort liegt ein mit Seilen fixierter Bergsteiger-Bauchgurt, den ich mir umschnallen soll. Alsdann sitze ich mit heraushängenden Beinen im Kofferraum, und es geht auf die Rennstrecke – gefolgt von einem Ferrari SF90 Stradale. Meine anfängliche Beklommenheit weicht schnell der Euphorie, diese einmalige Gelegenheit zu erhalten. Ich bin so begeistert, dass ich kurz danach darum bitte, solch eine Runde auch mit einem Ferrari 296 GTB im Gefolge drehen zu dürfen. Man erfüllt mir auch diesen Wunsch.
Am Nachmittag habe ich zudem das Vergnügen von Marcello, einem ehemaligen Testfahrer, der jetzt in der Entwicklungsabteilung arbeitet, in einem Ferrari Roma durch die Emilia Romagna gefahren zu werden. Marcello erklärt mir viel zur Gegend und zeigt mir unter anderem Maranello und verschiedene Areale von Ferrari. Darunter auch die Entwicklungsstätte der Formel-1-Rennwagen und den Neubau von Ferrari. An dieser Stelle einen ganz herzlichen Dank an alle Beteiligten für dieses wunderschöne und unvergessliche Erlebnis!