Gymnasien im Saarland bereiten sich auf die Rückkehr zu G9 vor. In Neunkirchen will man noch weitreichendere Veränderungen. Das Gymnasium am Krebsberg wird Ganztagsgymnasium – und verbindet den Umstieg mit einem besonderen pädagogischen Konzept.
Es herrscht geschäftiges Treiben, Vorbereitung für die große Abifeier. Die Schülerinnen und Schüler stehen dieser Tage vor großen Veränderungen in ihrem Leben. Ihre Schule ebenfalls. Das Gymnasium am Krebsberg in Neunkirchen wird das erste Ganztagsgymnasium im Saarland. Die Umsetzung will man mit einem neuen pädagogischen Konzept angehen.
Zwei Jahre arbeite man nun intensiv daran, berichten Schulleiter Gerd Mutscheller und Didaktikleiterin Dunja Bullacher. 2025 soll der Ganztag am Gymnasium starten, bereits im nächsten Jahr soll die Umsetzung der sogenannten Dalton-Pädagogik beginnen.
Durch mehr Autonomie fit für den Arbeitsmarkt
Wie verändert sich die Arbeitswelt, wie können Schülerinnen und Schüler fit fürs Studieren gemacht werden angesichts derzeit hoher Studienabbrecherquoten? Das waren Ausgangsfragen, die vor allem in der Steuerungsgruppe des Gymnasiums diskutiert worden sind, in der Schulleitung, Lehrer, Eltern und Schüler vertreten sind. „Selbstgesteuertes Lernen, Kommunikation, Vernetzung, Zusammenarbeit werden viel mehr im Vordergrund stehen“, betont Bullacher. Dazu kommt das Thema Bildungsgerechtigkeit – ein Schlagwort, aber auch Realität. Förderung gibt es für schwächere Schülerinnen und Schüler, es gibt Begabtenförderung – der große Teil dazwischen läuft eher mit. Ziel sei aber, allen gerecht zu werden. Dazu brauche es mehr Zeit, das gehe nicht im Halbtag an der Schule.
Also hat man sich in Neunkirchen gefragt, warum es im Saarland bislang kein Ganztagsgymnasium gibt, im Gegensatz zu anderen Bundesländern. Vielleicht auch eine Mentalitätsfrage, wie Schulleiter Mutscheller aus Reaktionen schließt. Ganztag ist im Saarland eng verbunden mit Gemeinschaftsschule, weshalb schon der eine oder andere argwöhnte, man wolle am Krebsberg jetzt Gemeinschaftsschule werden – was die Schulleitung natürlich weit von sich weist. Im Gegenteil soll es ein gymnasiales Vorreiterprojekt werden. Und das eben im Ganztag und mit dem Konzept der Dalton-Pädagogik.
Die Grundidee stammt von der amerikanischen Pädagogin Helen Parkhurst: Schüler sollen nach eigenen Bedürfnissen und im eigenen Tempo selbstbestimmt lernen. Lehrerinnen und Lehrer unterstützen und begleiten als Mentoren und setzen, wenn nötig, entsprechende Vorgaben. Es ist also „nicht beliebig, sondern mit klaren Vorgaben, was sie lernen müssen, aber frei wählen können, wann sie was machen“, erläutert Bullacher.
Die Umsetzung erfolgt dann im Ganztag in einer klaren Rhythmisierung, wobei ein Drittel der Stunden als „Dalton-Stunden“ eingeplant sind. In diesen Stunden teilen sich die Fachlehrer auf, Schüler und Schülerinnen können dann wählen. Wenn sie beispielsweise mit ihrem Mathelehrer nicht so gut klarkommen, können sie sich den Stoff von einem Kollegen erklären lassen. Sie können Dinge, die leicht von Hand gehen, schnell erledigen und dann mehr Zeit haben für Dinge, mit denen sie sich schwerer tun. Das stärkt auch eigenverantwortliches Lernen, wie es später an der Uni gefordert ist. Einmal in der Woche wird dann Bilanz gezogen, mit entsprechenden Hinweisen oder gegebenenfalls Vorgaben für die nächste Woche. „Jeder muss natürlich in jeder Woche alle Aufgaben erledigen, aber man kann die Zeit besser für individuelle Bedürfnisse anpassen.“
„Freiheit in Gebundenheit“ heißt das Prinzip. Schüler müssen den Lernplan erfüllen. „Solange sie das hinbekommen, haben sie größtmögliche Freiheit. Klappt das nicht, müssen sie begleitet werden. Dafür hat jeder Schüler seinen Mentor. Wenn Schüler das selbst hinkriegen, ist es in Ordnung, wenn nicht, muss der Mentor klare Vorgaben machen. Aber der Schüler hat in erster Linie selbst Verantwortung für seinen Lernprozess.“ Wobei Bullacher Wert darauf legt, „dass die Dalton-Stunden keine reinen Übungsstunden sind“. In den unteren Klassen stehe sicher Üben noch etwas stärker im Vordergrund, später aber sollen Lerninhalte zunehmend eigenständig erarbeitet werden.
Das alles verändert aber natürlich auch die Rolle der Lehrer – wobei das etwas sei, was Klassenlehrer eigentlich immer schon machen wollten, wofür sie aber nicht die Zeit hatten. „Das Kollegium steht dahinter, aber es ist eine Veränderung“, betont Mutscheller. „Das sind keine Tagträume oder Utopien, das sind bewährte und realistische Konzepte, die sich andernorts bereits bewährt haben, aber hier noch nicht bekannt sind.“
Arbeit von zu Hause in die Schule verlagern
Es gibt zwar auch im Saarland Gymnasien mit Ganztagsklassen, und man habe diese Möglichkeit natürlich auch diskutiert, letztlich aber gesagt: Ganz oder gar nicht, so Mutscheller. Dass ein Gymnasium komplett umstellt, ist im Saarland noch ohne Vorbild.
Neu erfinden muss man das Rad nicht. So hat man beispielsweise den Schulleiter des Gymnasiums der Stadt Alsdorf eingeladen, das für die Anwendung der Dalton-Methode mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. In Deutschland ist die Methode im Gegensatz beispielsweise zu den Niederlanden noch nicht besonders weit verbreitet.
Nach eingehender Analyse schien es für die Verantwortlichen am Krebsberggymnasium aber die beste Methode. Der Ganztag als „Hülle“, Dalton als inhaltliches Konzept für die Zukunft. Damit ließen sich auch die Verantwortlichen beim Kreis als Schulträger und im Bildungsministerium überzeugen. Das Ministerium wollte vor allem sichergehen, dass die Pflichtstunden nach der Stundentafel gewährleistet sind. „Das ist ganz klar gegeben – und wir bieten noch sehr viel mehr“, betont der Schulleiter selbstbewusst.
Aber wie passt ein Ganztagsgymnasium in die Zeit der Rückkehr zu G9, das den Kindern und Jugendlichen mehr Zeit geben sollte? „Das passt super. Wir verlagern die Arbeitszeit zu Hause in die Schule, wo wir auch die Profis haben, um sie zu begleiten und zu fördern. Bei uns sind die Kinder um vier Uhr fertig und haben dann Zeit.“