Als Christoph Goergen eine mosambikanische Tänzerin kennenlernt, wächst daraus ein Hilfsprojekt für Afrika, für das sich der Merziger Musiklehrer seit vielen Jahren einsetzt. Daraus ist auch mit „Ein Licht für Afrika“ ein außergewöhnlicher Chor entstanden.

Dieser Chor ist, wenn man es auf Saarländisch ausdrücken will, mit Sicherheit „mol ebbes anneres“. Und das im besten Sinne. Ein Licht für Afrika hat Wiedererkennungswert. Wenn 80 Menschen auf der Bühne stehen und ihre Begeisterung teilen, zeigt das Wirkung.
Christoph Goergen erzählt, dass ihn mittlerweile Fremde auf der Straße ansprechen und nach dem nächsten Konzert fragen. Als Initiator und Chorleiter ist er sozusagen das Gesicht der Gruppe, auch wenn mittlerweile ein ganzer Verein hinter ihm steht.
„Menschen öffnen sich durch die Musik“
Wir treffen den 59-Jährigen bei sich zu Hause. Die positive Stimmung, die man von Auftritten kennt, passt auch privat: Der Empfang ist herzlich. Und es gibt Lasagne. Bevor es ans Essen geht, erfahren wir mehr über die Geschichte des Chors, der gleichzeitig auch Entwicklungshilfeprojekt ist. Dabei erzählt Christoph Goergen auch, warum das Projekt vor 18 Jahren fast schon gescheitert wäre, bevor es überhaupt begonnen hatte.
Aber von Anfang an: Christoph Goergen aus Mettlach schlägt nach dem Abitur den Weg eines Lehramtsstudiums ein, das er bereits nach zwei Semestern unterbricht, „um noch etwas zu erleben“. Ein Tapetenwechsel führt ihn in die USA zu einem Aufenthalt, der ihn nachhaltig prägt. Mit der Organisation „Up with People“, die Bildungsprogramme für junge Menschen aus aller Welt mit der Produktion einer Musikshow verbindet, tourt er über den amerikanischen Kontinent. Das sei prägend gewesen: „Ich habe festgestellt: Es geht nicht nur darum, sich auf der Bühne beklatschen zu lassen, sondern dass sich Menschen durch die Musik öffnen können und zueinander finden.“
Zurück in Deutschland schließt er sein Studium ab und wird Lehrer für Musik, Englisch und Biologie. Der Wunsch, sich für Solidarität und kulturellen Austausch einzusetzen, der in ihm gewachsen ist, bleibt immer präsent. Das fehlende Puzzleteil für eine konkrete Hilfsaktion findet er schließlich 2007 in der im Saarland lebenden mosambikanischen Tänzerin Joaquina Siquice. Als er sie bei einem Konzert als Solistin an der Trommel erlebt, ist er so begeistert, dass er sie für einen Workshop an seiner Schule gewinnen will. Die beiden verabreden sich in der damaligen Szene-Kneipe „Amadeus“ in Saarbrücken.

Christoph Goergen erinnert sich daran, dass das erste Treffen alles andere als aussichtsreich startete: „Es war Fasching. Ich kam passenderweise mit einem Mozart-Kostüm ins ‚Amadeus‘. Übrigens ist Mozart auch mein Spitzname.“ Aber Goergen verspätet sich. Als er ins Lokal kommt, „sitzt da Frau Siquice und hat schon ein Gesicht gezogen. Sie gab mir zu verstehen, dass sie Unpünktlichkeit hasst!“ Kein Problem, sagt er sich, das macht er wieder gut, indem er sie „zu einem Cremöntchen“ einlädt. Ihre Antwort fällt ebenso scharf aus: Sie trinke keinen Alkohol. „Na, das fängt ja super an!“, denkt Goergen. Doch auch das zweite Fettnäpfchen überwinden die beiden, schließlich kommen hier zwei Menschen zusammen, die ein gemeinsames Ziel haben. „Völkerverständigung, Solidarität, Vielfalt. Das waren unsere Anliegen und das sind sie auch heute noch. Es geht nicht nur darum, Geld für Hilfsaktionen zu sammeln, sondern auch um die Botschaft dahinter“, betont Goergen.
Der Musiklehrer aus Merzig und die Tänzerin aus Mosambik gehen in der Folge nicht nur den Trommelworkshop an, sondern auch ein gemeinsames Hilfsprojekt. Joaquina wird Christoph Goergens direkte Verbindung nach Afrika. Eine Verbindung, die für ihn als Voraussetzung unerlässlich ist. Er will keine Spende ins Ungewisse machen, über die er keine Kontrolle hat.
Das erste Mal, dass der Chor „Ein Licht für Afrika“ konkrete Formen annimmt, ist noch im selben Jahr im Rahmen einer Projektwoche an Goergens Schule, der Christian-Kretzschmar-Schule in Merzig. Der Musiklehrer sucht Teilnehmende, um zum Abschluss der Woche einen afrikanischen Abend zu gestalten, bei dem Geld für eines von Joaquinas Projekten in ihrer Heimat Mosambik gesammelt wird. Es melden sich Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, Eltern und Externe. „Am Ende waren wir 80 Leute, das war schon klasse“, erinnert sich Goergen. Das Konzert wird ein Erfolg. „Ich bin nah am Wasser gebaut”, sagt er und lacht. Damals habe ihn neben der Begeisterung auf der Bühne vor allem auch die Reaktion des Publikums berührt.
Mehrere Reisen nach Mosambik
Was den Chor so besonders macht, ist auch die musikalische Herangehensweise, die das Ensemble bis heute auszeichnet. Im Repertoire sind überwiegend afrikanische Lieder in verschiedenen Nationalsprachen. Die Lieder studiert der Chor teilweise ohne Noten ein, singt beim Konzert auswendig. Es geht um Emotion und Ausdruck, nicht um Notenblätter: „Das macht es dem berühmten Funken leichter, überzuspringen!“ Im Jahr nach dem ersten Auftritt geht es nach Mosambik, zunächst mit einer dreiköpfigen Gruppe. Gemeinsam mit Joaquina reisen Christoph Goergen und zwei Sängerinnen nach Afrika – erst nach Picoco, einem Flüchtlingsdorf im Süden. Doch als sich herausstellt, dass das Dorf bereits gefördert wird, ändert sich der Plan. Joaquina schlägt vor, ihr Heimatdorf zu besuchen. Dieses Dorf liegt 500 Kilometer nördlich von Picoco. Mit dem Pick-up kommt die Gruppe schließlich im Dorf Guigobane an und wird herzlich empfangen. Da es hier weder einen Brunnen noch eine Schule gibt, steht der Entschluss fest. Hier passt die Unterstützung hin.

Ein Sprichwort lautet: „Wenn du einem Mann einen Fisch gibst, ernährst du ihn für einen Tag. Wenn du ihn das Fischen lehrst, ernährst du ihn ein Leben lang.“ Nach diesem Motto soll sich auch die Hilfe richten. „Wir wollten nichts bauen, womit die Menschen dort nichts anfangen können“, sagt Goergen. Die Aktion soll nachhaltig sein und nimmt nach der Rückkehr in Deutschland konkrete Formen an. Der Chor ist mittlerweile zum Verein geworden und kann weiter Geld und Sachspenden sammeln.
Zwei Jahre später, 2010, macht sich eine größere Gruppe auf den Weg nach Guigobane, um die geplante Schule zu bauen. Neben einem saarländischen Betonmischer, einer echten Speismaschine, werden Schulmöbel, das Mobiliar einer Zahnarztpraxis, Fahrräder, Kleidung und auch ein Rollstuhl in einen Container gepackt und zusätzlich für die Hilfe an andere Orten nach Afrika geschickt. Für Goergen ist wichtig, dass auch die Menschen, die spenden, wissen, wo alles ankommt. „Wir haben später mit Fotos von der Übergabeaktion eine Ausstellung gemacht, und eine Schülerin erkannte den Rollstuhl ihres Bruders wieder.“
„Wir wollen zum Nachdenken anregen“

Christoph Goergen holt ein Fotoalbum und zeigt den Bau der Schule. Vom feinen Schotter für das Fundament, den die Gruppe gemeinsam mit den Bewohnern aus Steinbrocken selbst hämmert bis hin zu jedem benötigten Backstein, der einzeln geformt wird, ist alles selbst gemacht. Und so wird in drei Wochen der Rohbau eines kompletten Gebäudes errichtet. Improvisationstalent ist mehr als einmal gefragt, zum Beispiel als die mitgebrachte Speismaschine ihren Geist aufgibt. Die Gruppe baut und mauert gemeinsam mit den Dorfbewohnern und wenn mal etwas nicht passt, wird es irgendwie passend gemacht. Die mitgebrachte Wasserwaage verliert schnell ihre Wichtigkeit. „Hier bekommt das Wort Augenmaß eine ganz neue Bedeutung“, sagt Goergen lachend. Der Bau der Schule ist das erste Projekt. Zwei Jahre später kann der Verein einen Dorfbrunnen finanzieren, zwei weitere Jahre später wird ein zweites Schulgebäude gebaut, wieder gemeinsam mit der Dorfbevölkerung. In unmittelbarer Nachbarschaft der Schule entsteht dann 2020 schließlich eine Gesundheitsstation, pandemiebedingt allerdings ohne die deutschen Freunde. Die gemeinsame Einweihungsfeier soll 2026 nachgeholt werden, wenn Mitglieder des Vereins nach Mosambik reisen. Einen Schicksalsschlag erfährt der Verein, als Joaquina Siquice Anfang 2018 überraschend stirbt. Unter ihre Todesanzeige schreibt jemand: „Ein Licht für Afrika ist erloschen.“ Doch das Projekt geht weiter, auch in ihrem Sinne. Ein Licht für Afrika hat bis heute mehr als 100.000 Euro gesammelt. Goergen betont erneut die Bedeutung, die über den finanziellen Aspekt hinausgeht. „Wir wollen natürlich unterhalten, wir wollen zum Nachdenken anregen, aber wir wollen auch demonstrieren, dass das mit der Vielfalt und Völkerverständigung funktioniert!“ Im Chor singen Deutsche, Afrikanerinnen, syrische Flüchtlinge waren schon Teil der Gruppe, ebenso ein Flüchtling aus Eritrea, ein junger Mann aus Afghanistan war Solist, ein Balletttänzer aus Palästina war Solotänzer.
Christoph Goergen ist ein Mensch, mit viel Energie und Humor. Wenn er in den Chorproben auch mal in den tiefsten Mettlacher Dialekt umschaltet, merkt man, dass er trotz aller Reisen in die weite Welt auch seine Heimat in sich trägt und dass er weder das eine noch das andere bewertet. Mit ihm steht und fällt das Projekt Ein Licht für Afrika. Eine große Hilfe sind ihm der Vorstand des Vereins und die Ehrenamtlichen. Aber der „Maestro“ ist eben er. Für immer muss er das nicht sein: „Es wäre schön, wenn sich jemand findet, der das Projekt mit derselben Leidenschaft und Vision weiterführt.“ Aber es eile nicht.
Im Juni wird Christoph Goergen 60 Jahre alt. Der Geburtstag fällt genau in die Zeit, in der auch ein befreundetes Ensemble aus Namibia zu Gast ist. Die African Vocals, eine A-cappella-Gruppe aus den Townships von Swakopmund, machen zum wiederholten Mal Station im Saarland. Wer die Ausstellung „The True Size of Africa“ in der Völklinger Hütte besucht hat, hat sie schon gehört: Die African Vocals haben das Steigerlied auf Afrikanisch eingesungen. Und auch im Juni kommen die Männer des Chors nicht nur zum Geburtstagfeiern, sondern auch zum Singen. Für zwei Konzerte wird sich Ein Licht für Afrika mit den African Vocals auf der Bühne zusammentun.