Ryyan Alshebl ist der erste Bürgermeister, der als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist. Der 29-Jährige spricht über die Hürden der Bürokratie, und warum er das Bürgergeld zeitlich begrenzen würde.
Herr Alshebl, Sie sind vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen. Könnten Sie kurz Ihre Flucht beschreiben?
Meine Flucht verlief über den Libanon und die Türkei. Dann bin ich mit dem Schlauchboot nach Griechenland gekommen. Das Boot hätte eine Kapazität für 15 Personen gehabt, wenn überhaupt. Aber wir waren 49 Menschen in dem kleinen Schlauchboot. Von da ging es die übliche Balkanroute nach Slowenien und Österreich bis nach Deutschland.
Wie ging es dann in Deutschland für Sie weiter?
Anfangs wurden wir in Passau aufgenommen und dort durfte man frei aussuchen, wohin man wollte. Voraussetzung war, dass man vorab einen Antrag gestellt hatte. Ich bin nach Karlsruhe gegangen, weil dort mein Bruder schon lebte. Dort wurde man in eine Halle für etwa zwei oder drei Wochen zusammen mit insgesamt 500 Menschen unter einem Dach untergebracht. Das war ein einschneidendes Erlebnis. Dann kam ich in ein Zimmer mit fünf weiteren Personen, was viel humaner im Vergleich zu der Halle mit 500 Leuten war. Das Haupthindernis war die Sprache. Man konnte sich mit den Leuten nur auf Englisch verständigen. In den Unterkünften gerade hier in der Nähe und im ländlichen Raum sprechen die wenigsten gut Englisch. Das ist das, was die Aufgabe maßgeblich erschwert hatte und was für mich ein zusätzliches Motiv war, die deutsche Sprache so schnell wie möglich zu lernen.
Wie lange hat es gedauert, bis Ihr Asylantrag bewilligt wurde?
Sechs Monate, aber das war reine Glückssache. Bei meinem Kumpel, mit dem ich zusammen gekommen bin, hat es zwei Jahre gedauert. Wir kommen aus demselben Dorf in Syrien, und wir sind hier in Deutschland am Ende auch im selben Dorf gelandet.
Warum gibt es da solche Unterschiede?
Das sollten Sie mal beim BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. d. Red.) nachfragen. Die Antwort würde mich auch interessieren.
Sie haben einmal gesagt, Sie mögen den Begriff Integration nicht. Was stört Sie daran?
Es sind zwei Dinge, die mich an dem Begriff stören. Erstens ist nicht definiert, was Integration genau bedeutet. Zweitens offenbart er eine gewisse Einseitigkeit. Wenn man sagt, dass das Integration bedeutet, dass Menschen einer Gruppe, die von außen kommt, die Aufgabe haben, sich mit allen möglichen Zugeständnissen in dieser großen Gruppe einzugliedern, ist das, was faktisch stattfindet, keine Integration. Ist jemand, der hier angekommen ist, die Sprache gelernt hat und einem Job nachgehen kann, integriert? Meistens verbindet man mit dem Begriff Integration auch kulturelle Aspekte.
Ich habe Sie auch so verstanden, dass Integration auch beidseitig sein sollte.
Das auf jeden Fall. Dass es nur eine Seite gibt, die sich integrieren muss, ist zu kurz gedacht. Das wird nicht funktionieren. Aus meiner Sicht müssen wir einen anderen Begriff finden, der über die Grenze dessen hinausgeht, was man unter dem Begriff Integration bisher verstanden hat. Deutschland ist ein Einwanderungsland, das Leute von außen aufnimmt, um sie für seine Zukunft auch sinnvoll einzusetzen. Gleichzeitig gibt es auch die Bedürfnisse dieser Menschen, dass sie hier ein gutes Leben führen können. Diese Reduzierung dessen, was ein Flüchtling an Aufgaben wahrnehmen darf und was nicht, ist auch mit meiner Wahl grundsätzlich widerlegt worden. Es kann auch jemand, der von außen kommt, Bürgermeister werden. Menschen, die von außen kommen, haben auch Ambitionen und dürfen nicht darauf reduziert werden auf das, was von ihnen erwartet wird.
Was braucht es seitens der Politik, um dem besser gerecht zu werden?
Wenn wir das Thema Flüchtlinge verlassen und über Fachkräftemangel sprechen, dann ist es klar, dass das bestehende Sozialsystem in Deutschland nicht für ein Einwanderungsland geeignet ist. Ich kenne viele Familien, die seit vielen Jahren hier leben, in denen das Familienoberhaupt keinen Job hat und in denen die Eltern meistens sprachliche Hindernisse haben. Wenn wir uns theoretisch vorstellen würden, dass diese Familie nicht nach Deutschland, sondern in die USA geflüchtet wäre, dann hätten wir aller Voraussicht auch ein anderes Ergebnis. Das Bürgergeld ist ein Rückfall in die Arbeitslosigkeit. Ich fände es besser, wenn es auf drei, vier Jahre begrenzt werden würde. Natürlich sollte es auch Ausnahmen für Härtefälle geben, keine Frage. Doch wenn dieses System so implementiert würde, dann würden wir viel weniger über Integrationsprobleme sprechen, weil es einen klaren gesellschaftlichen Vertrag gäbe, dass die Hilfe begrenzt ist. Ich bin selbst jemand, der von diesem System auch profitiert und ein Jahr lang Hartz-IV bezogen hat. Es war mir aber peinlich, dass ich als 21-Jähriger auf dieses System angewiesen war. Deswegen wollte ich vermutlich so schnell raus. Was mich auch am derzeitigen System stört, ist, dass es auch von rechten Strömungen dazu genutzt wird, zu sagen, dass 50 Prozent der Flüchtlinge nicht arbeiten.
Geflüchtete dürfen gar nicht arbeiten, bevor ihr Asylantrag bewilligt ist.
Ich halte es für unverhältnismäßig und sinnlos, wenn ein Land, das Fachkräfte und helfende Hände sucht, Arbeitswillige sperrt – solange bis das BAMF über ihren Fall und ihr Schicksal entschieden hat. Denjenigen, wirklich arbeiten wollen, sollte jegliche denkbare Erleichterung auch gegeben werden.
Haben Sie da Lösungsvorschläge?
Es wäre gut, wenn die lokalen Ausländerbehörden in der Lage wären, vorübergehende Arbeitserlaubnisse auszustellen, bis über den jeweiligen Fall entschieden wird. Dann hätten wir eine sehr vernünftige Lösung für Leute, die arbeiten wollen. Die Behörden blockieren es aber.
Ein anderes Problem ist die Anerkennung von Ausbildungen.
Das ist auch ein ganz großes Thema. Ich habe syrische Freunde, die Ärzte sind, und bei ihnen hat es vier Jahre gedauert, bis sie ihre Zulassung hier bekommen haben. Das Verfahren unterscheidet sich auch gewaltig zwischen den Bundesländern. Ein Mitbewohner von mir musste seine Akte von Stuttgart nach Münster schicken lassen. Das allein hat sechs oder sieben Monate gedauert.
Woran liegt das?
Es ist paradox. Als Gesetzgeber spricht man immer über Bürokratieabbau, aber man erlässt Gesetze, die unweigerlich zu mehr Bürokratie führen. Auf der der anderen Seite kommt man in Sachen Digitalisierung sehr langsam voran, und die Behörden haben zu wenig Personal. Das ist ein Phänomen, was in den nächsten Jahren immer stärker werden wird. Mehr Leute einzustellen funktioniert nur bedingt, weil man Personal für bestimmte Tätigkeiten, die man händeringend in der Verwaltung sucht, nicht findet. Die Lösung wäre eine echte Digitalisierung und gleichzeitig eine bessere Koordinierung, bevor überhaupt ein Gesetz erlassen wird.
Wie sieht es in Ihrer Kommune mit der Aufnahme von Geflüchteten aus?
Die Zuständigkeit für die Verteilung liegt beim Landkreis. Jede Kommune soll ein entsprechendes Kontingent nach Einwohnerschlüssel aufnehmen. Es ist noch nicht ganz klar, über welche Kapazität wir verfügen, aber wir verfügen meist über eine bescheidene, überschaubare Kapazität. Wir würden sowieso nicht die Menge an Leuten aufnehmen können, die vom Landkreis gefordert wird, was uns unweigerlich in einen Konflikt mit der Kreisverwaltung führen wird.
Wo bräuchte es am schnellsten Hilfe für die geflüchteten Menschen?
Psychologische Hilfe. Das ist das, was in der Situation am meisten fehlt. Alles andere läuft mehr oder weniger vernünftig, zumindest besser als in anderen Ländern.
Meinen Sie mit psychologischer Hilfe psychotherapeutische und traumatherapeutische Unterstützung?
Ja, genau.