Mit neuem Trainer und Präsidenten ist Hertha BSC durchaus positiv gestimmt – im Gegensatz allerdings zum bisherigen sportlichen Ertrag der noch laufenden Spielzeit.
Auch diesem Saison- beziehungsweise Neuanfang sollte kein Zauber innewohnen: Denn auch der neue Trainer Sandro Schwarz reihte sich ein in die lange Liste derjenigen, die mit Hertha BSC frühzeitig aus dem DFB-Pokal ausgeschieden sind. Diesmal kam das Aus im Elfmeterschießen bei Eintracht Braunschweig – es war das erste Pflichtspiel der Saison nach einer solchen, in der man in der Relegation gerade noch den Hals aus der Schlinge ziehen konnte. Zu jener Zeit, als das Sommer-Transferfenster noch geöffnet war, sorgte die Transferpolitik von Fredi Bobic bei vielen Fans obendrein noch für Stirnrunzeln – dass der Verein trotz einer Investoreneinlage von insgesamt 375 Millionen Euro über die vergangenen Jahre zum Sparen verurteilt war, sollte vielen noch nicht bewusst sein. Herthas Geschäftsführer Sport allerdings schon: sage und schreibe 20 Profis wurden abgegeben, verkauft oder verliehen. Von den zwölf „richtigen“ Neuzugängen (neben zahlreichen Rückkehrern von Leihgeschäften) waren dazu vier aus dem eigenen Nachwuchs, drei ablösefrei und zwei wechselten auf Leihbasis – nicht gerade die Bilanz eines Einkäufers mit prall gefüllten Taschen.
Knapper bei Kasse, als viele dachten
Bobic hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass man gut schauen müsse, was man ausgibt – konkreter wurde er allerdings nicht. Manch einem blau-weißen Träumer wird so erst nach Ende des Transferfensters bewusst geworden sein, wie knapp bei Kasse man im Westend tatsächlich schon wieder war. Und die drei Spieler, für die Geld auf den Tisch gelegt wurde, versprachen ebenfalls nicht unbedingt großes Aufsehen: Wilfried Kanga kam etwa für vier Millionen Euro von Young Boys Bern, Agustin Rogel wiederum wechselte praktisch kurz vor Toresschluss für 400.000 Euro vom argentinischen Club Estudiantes de la Plata, als die personelle Not in der Hertha-Defensive groß war. Für Eigengewächs Jessic Ngankam wiederum war man bereit, zwei Millionen Euro Ablöse für die vorzeitige Beendigung des Leihverhältnisses mit Greuther Fürth zu bezahlen. Der ebenso talentierte wie leider auch verletzungsanfällige Stürmer kam dann wegen verschiedener Blessuren bislang zu keinem Einsatz in der Bundesliga.
Von den ablösefrei geholten Profis versprach Jean-Paul Boetius der gelungenste Griff zu werden. Der zuletzt bei Mainz 05 aktive Niederländer musste dann aber zwangspausieren. Ebenso wie schon zuvor im Fall von Hertha-Profi Marco Richter wurde auch bei dem 28-Jährigen ein Tumor festgestellt, der eine Operation nötig machte – immerhin erwies sich dieser als nicht bösartig, sodass Boetius (ebenso wie Richter) ohne Chemotherapie schnell wieder in den Spielbetrieb zurückkehren konnte. Beide ließen dann in ihren bisherigen (Kurz-)Einsätzen Potenzial erkennen.
Der beste Spieler des ersten Halbjahres sollte aber einer werden, der ganz oben auf der Streichliste von Fredi Bobic gestanden hatte. Allerdings fand sich – in dieser Hinsicht ein Glücksfall – kein Abnehmer für Dodi Lukébakio. Der belgische Nationalspieler hatte schon bei seiner Leihe 2021/22 nach Wolfsburg wenig Eigenwerbung betrieben und kam mangels Interesse nicht nur seitens des VfL wieder zurück an die Spree. Am Ende blieb der 25-Jährige also bei Hertha BSC – doch Sandro Schwarz fand offenbar die richtige Ansprache im Umgang mit ihm. Jedenfalls war Lukébakio an neun von (lediglich) 19 Hertha-Toren beteiligt (sieben Treffer, zwei Vorlagen), angesichts von nur 14 Punkten aus 15 Spielen und Rang 15 als Zwischenbilanz also Werte, die die Bedeutung des Angreifers bis dato unterstreichen.
Auch die Bundesligasaison hatte ja denkbar schlecht begonnen – sieben Tage nach dem Pokal-Aus setzte es eine vom Spielverlauf her recht eindeutige 1:3-Niederlage im Lokalderby in Köpenick. Nach vier Spieltagen hatte man nur einen Punkt auf dem Konto, der folgende Auswärtssieg in Augsburg sollte den Knoten jedoch auch nicht entscheidend lösen. Zwar wurde die „Serie“ durch vier Punkteteilungen auf fünf Partien ohne Niederlage ausgebaut –
nach der 2:3-Niederlage in Leipzig wurden daraus dann jedoch plötzlich fünf Partien ohne Sieg.
Windhorst zog sich völlig entnervt zurück
Der zweite Saisonerfolg, ein mühsames 2:1 gegen Schlusslicht Schalke 04, brachte dann zwar obendrein das erste Saisontor von Neuzugang Kanga mit sich, aber weiterhin nicht die heraufbeschworene Trendwende: Aus den drei Spielen gegen Bremen, Bayern und Stuttgart gab es null Punkte, sodass Hertha BSC vor dem Jahresabschluss gegen den 1. FC Köln gewaltig unter Druck stand. Immerhin hielt das Team stand und holte den dritten Sieg (2:0) – sonst hätten die Berliner den Jahreswechsel sogar auf einem direkten Abstiegsplatz verbracht. Allerdings fällt die Ausbeute von 14 Punkten deutlich geringer aus als in der „Katastrophensaison 2021/22“ (18 Zähler nach 15 Spieltagen) und ebenso der kaum besser verlaufenen Spielzeit davor (16 Punkte).
Wenn man so will, ist aber genau hier die einzige, bislang dauerhaft erkennbare Verbesserung bei Hertha BSC auszumachen: Trotz des schwierigen Starts ist es im Verein und engeren Umfeld vergleichsweise ruhig geblieben. Sicherlich ein Verdienst des neuen Präsidenten Kay Bernstein, der als „Kandidat der Kurve“ beruhigenden Einfluss auf die Fanszene hat. Lange war es geradezu harmonisch ruhig – bis dann doch eine „Bombe“ platzte, wie sie wohl nur Hertha BSC produzieren kann. Erst wurde eine Geschichte publik, dass Investor Lars Windhorst mithilfe von ehemaligen Mossad-Agenten den früheren Präsidenten Werner Gegenbauer systematisch ausspionieren und diskreditieren ließ.
Ehe sich Windhorst noch zur Verteidigung aufbauen konnte, hatte Präsident Bernstein dem ungeliebten Geldgeber in der Öffentlichkeit seinerseits etwa durch ein Ultimatum sein Misstrauen derart bekundet, dass der Finanzmanager letztlich entnervt den Rückzug von seinem Investitionsobjekt ankündigte. Mittlerweile hat Windhorst einen ersten Nachfolger für seine Anteile ins Spiel gebracht – diese Geschichte ist also ebenso noch nicht zu Ende wie die Bundesligasaison 2022/23, in der Hertha BSC rein sportlich bislang zwar teilweise gute Ansätze zeigte, aber zahlenmäßig wenig erreicht hat. Das zweite Halbjahr, das am 21. Januar mit einem Auswärtsspiel beim VfL Bochum beginnt, bleibt aus bisheriger Sicht für Hertha BSC also erneut eine Reise ins Ungewisse. Alles scheint möglich – zumindest, was die untere Tabellenhälfte betrifft.