Im Élysée-Jahr bietet das Amt der Bevollmächtigten besondere Chancen, ist aber in diesen Zeiten auch eine besondere Herausforderung, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie war selbst in ihrer Zeit als Ministerpräsidentin von 2011 bis 2014 Bevollmächtigte für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen.
Frau Kramp-Karrenbauer, aus der Erfahrung Ihrer Zeit als Bevollmächtigte: Welche Gestaltungsmöglichkeiten bietet dieses Amt?
Es bietet vor allem eine große Chance. Ein Élysée-Jahr ist immer Gelegenheit, auf die deutsch-französischen Beziehungen aufmerksam zu machen, darauf, dass die deutsch-französische Freundschaft etwas Außergewöhnliches und Besonderes ist. Wenn das Amt mit dem der saarländischen Ministerpräsidentin verbunden ist, ist es eine Chance, einen eigenen Abdruck des Saarlandes und für das Land zu hinterlassen. So hat das Peter Müller gehandhabt, so habe ich das gehandhabt, und so wird es sicherlich auch Anke Rehlinger machen. Man hat Spielraum, eigene Schwerpunkte zu setzen. Bei Peter Müller war es das deutsch-französische Geschichtsbuch. Ich hatte den Schwerpunkt berufliche Bildung, weil wir im Saarland damals schon zu wenige Auszubildende hatten und Frankreich eine vergleichsweise hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wir konnten es außerdem verknüpfen mit der Frankreichstrategie, also dem Thema Mehrsprachigkeit.
Wie steht es um die Frankreichstrategie? Man hat den Eindruck, dass der Schwung etwas erlahmt ist.
Es war ein Impuls, der weit über die Landesgrenzen hinaus und dort vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit verursacht hat als im Land selbst. Es ist nach wie vor eine riesengroße Chance. Mehrsprachigkeit ist ein großes Plus, mit die größte Chance und größte Wette, die die jungen Saarländerinnen und Saarländer für die Zukunft haben. Auch deswegen hoffe ich, dass das Élysée-Jahr der Idee noch einmal Schwung gibt.
Derzeit knirscht es ziemlich im deutsch-französischen Verhältnis. In Zeiten der Krise nicht gerade ein gutes Signal?
Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass unsere Beziehungen etwas ganz Besonderes sind und, wenn man in die Geschichte schaut, nie etwas Selbstverständliches, auch wenn wir es heute oft so empfinden. Und sie sind immer wesentlich gewesen auch für die Frage, wie sich Europa nach vorne bewegt. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass es oft unterschiedliche nationale Interessen gab, unterschiedliche Systeme. Es gab immer wieder Phasen, wo Dinge etwas auseinander gelaufen sind oder es schwieriger war. Unsere Freundschaft hat ausgezeichnet und zeichnet aus, dass wir über schwierige Phasen hinausgewachsen sind, und ich bin mir ganz sicher, das wird jetzt auch so sein.
Aus Sicht der Grenzregion, in der die Beziehungen unmittelbar erlebbar sind, scheinen Paris und Berlin oft ziemlich weit weg.
Sie sind auf jeden Fall weg von den Realitäten der Grenzregionen. In Frankreich allein schon durch das zentralistische System. Aber selbst im föderalen System Deutschlands ist es mit den spezifischen Problemen von Grenzregionen schwierig. Wir haben während der Corona-Pandemie gesehen, was passiert, wenn nationale Politiken nicht aufeinander abgestimmt sind, Lockdowns unabgestimmt verhängt und Grenzen plötzlich geschlossen werden. Wir haben aber auch im Positiven die gegenseitigen Hilfestellungen gesehen. Wir haben als Saarland schon immer darauf gedrängt, dass es in Europa eine stärkere Interessenvertretung der Grenzregionen geben muss, denn die haben spezifische Herausforderungen und werden in nationalen Kontexten oft nicht so gesehen.
Der Aachener Vertrag als Fortschreibung des Élysée-Vertrags hat das aufgenommen. Hat das etwas bewirkt?
Das war ein guter Startpunkt. Aber in diesem Jahrzehnt seit dem letzten Élysée-Jubiläum gab es ja Krisen wie die Flüchtlingskrise oder die Pandemie zu bewältigen. Das hat dazu beigetragen, dass Dinge, die man sich vorgenommen hatte, nicht so intensiv bearbeitet wurden. Jetzt haben wir den russischen Überfall und den Krieg in der Ukraine, der uns mit anderen Dingen beschäftigt. Ich hoffe sehr, dass das Élysée-Jahr Anlass ist zu sagen: Wir lassen uns nicht entmutigen, wir packen noch mal an. Dafür gibt es viele gute Gründe.
Kann die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen Hinweise für die aktuellen Krisen geben, kann man daraus lernen?
Man kann lernen. Als ich im September in den USA von diesem Weg des Saarlandes und der gesamten Region, von der Entwicklung von „Erzfeinden“ zu wirklichen Freunden erzählt habe, war die Faszination bei den Gesprächspartnern zu spüren. Es wird eine Zeit geben, hoffentlich so bald wie möglich, in der der Krieg in der Ukraine vorbei ist. Es wird ein Danach geben, in dem Russland weiter ein großer Nachbar ist, und wo man einen Weg in der Aufarbeitung all dieser Gräuel finden muss, wie man miteinander umgeht. Wie eine Ordnung in Europa aussehen kann, die ein friedliches Miteinander mit Russland ermöglicht, das ist noch ein ganz weiter Weg. Der erste Schritt muss sein, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Das ist unabdingbar nötig, und wir sollten alles dafür tun, dass das gelingt. Aber die Frage wird sich so wie nach anderen Auseinandersetzungen in Europa stellen: Wie wollen wir zusammenleben? Ich war vor Kurzem in Kroatien und Slowenien und man spürt bei allen Fortschritten, wie lange es braucht, bis Wunden, die der Jugoslawienkrieg geschlagen hat, wieder verheilen. Da kann eine Region wie das Saarland mit Lothringen und Elsass mit ihren Erfahrungen eine besondere Rolle spielen.
Es ist aber auch hier ein labiles Konstrukt.
Ja. Es ist wie immer: Wenn alles im Alltag seinen normalen Gang geht, verdrängen wir, dass es eine nationale Grenze gibt. Die wird aber sofort spürbar, wenn es zu Krisen kommt. Das haben wir in der Pandemie gesehen. Deswegen müssen wir daraus lernen, was gut gelaufen ist und was nicht gut war, damit wir bei der nächsten Krise besser vorbereitet sind.
Bei den Grenzschließungen während der Pandemie sind auch viele überwunden geglaubte Ressentiments wieder spürbar geworden. Was bedeutet das?
Das war so. Und es hat viele Menschen genauso wie mich verstört. Weil wir gemerkt haben, dass dieses nachbarschaftliche Miteinander unter einen Stress geraten ist. Unsere Freundschaft ist etwas Wertvolles, aber sie ist nichts Selbstverständliches. Sie ist, wie jede Freundschaft im Leben, etwas, das man pflegen muss. Deswegen sind das Élysée-Jahr und das Amt der Bevollmächtigten eine gute Gelegenheit, die deutsch-französischen Beziehungen nicht nur im Großen zu betrachten, sondern gerade in der Grenzregion mit neuem Schwung zu versehen. Ich glaube, es ist eine Aufgabe für jede Generation und man kann nicht sagen, nach zwei oder drei Generationen ist das erledigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Generation, die ganz persönlich die Schreckensherrschaft der Nazis, die Schreckenszeit des Krieges erlebt hat und für die das „Nie wieder“ eine ganz persönliche biografische Verpflichtung war. Dieses ganz persönliche Erleben haben die nachfolgenden Generationen Gott sei Dank nicht. Deshalb ist es heute notwendiger denn je, Menschen immer wieder aufs Neue vom Wert der deutsch-französischen Freundschaft zu überzeugen. Aber Covid hat gezeigt, dass sie trotzdem etwas Fragiles ist. Insofern hat jede Generation im Blick auf die Zeit, in der sie lebt, ihre eigene Verantwortung.
Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: Kann es nach dem, was wir derzeit sehen, so etwas wie eine Normalität geben, wenn der Krieg beendet ist?
Es wird eine ganz, ganz große Aufgaben werden, und es wird überhaupt nur möglich sein, wenn dieser Krieg mit einem Sieg der Ukraine endet und mit einem Frieden zu Bedingungen der Ukraine. Das ist meine tiefe Überzeugung. Wenn Putin auch nur ansatzweise den Eindruck hat, dass er mit seinem Überfall auf die Ukraine erfolgreich war, sei es auch nur in einem kleinen Teil, dann wird er das als Ermutigung empfinden und diese Art der Politik auch gegenüber anderen Ländern fortsetzen. Deswegen spielt das auch eine entscheidende Rolle für eine zukünftige Stabilität und Friedensordnung in Europa. Das wird eine ganz große Herausforderung für unsere und die nachfolgenden Generationen sein.