Die Jugend-Akademie des 1. FC Saarbrücken kooperiert künftig mit dem Institut für Sportmedizin von Professor Dr. Tim Meyer. Das Pilotprojekt dürfte bundesweit einmalig sein.
Tim Meyer muss selbst erst einmal nachdenken. „Meines Wissens nach nicht“, antwortet er auf die Frage, ob es ein solches Projekt im deutschen Profifußball schon gibt. Der Mediziner aus Niedersachsen ist längst im Saarland heimisch geworden. Sein Institut für Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes hat einen internationalen Ruf. „Unser Weltmeister von 2014“, begrüßt FCS-Jugendleiter Nico Weißmann den langjährigen Mannschaftsarzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Der „Doc“, wie ihn Generationen von Stars nennen, ist nach der WM im vergangenen Jahr nach 21 Dienstjahren zurückgetreten. Mehr Freizeit hat er dadurch nicht. Gerade nicht mit Blick auf die kommende Europameisterschaft im eigenen Land. „Ich werde für die medizinische Organisation und Versorgung der teilnehmenden Mannschaften und Schiedsrichter verantwortlich sein“, sagt der 56 Jahre alte Sport- und Präventivmediziner.
Wieder mehr Zeit für Forschung
Er ist immer noch Vorsitzender der Medizinischen Kommissionen des Deutschen Fußball-Bundes und der Uefa. Doch der große Reisestress ist erst einmal weg. Als er seinen Rückzug von der DFB-Elf bekanntgab, begründete Meyer dies auch damit, wieder mehr Zeit für die Forschung haben zu wollen. Und wohl auch für die Basis. Und so sitzt der Mann, den Weltmeister Bastian Schweinsteiger mal „sanfte Autorität“ nannte, völlig entspannt an einem verregneten Herbstabend im kleinen Clubheim des 1. FC Saarbrücken. Mit im Raum sind neben einigen Journalisten FCS-Sportdirektor Jürgen Luginger, der Leiter der Amateurabteilung Jörg Alt, die Nachwuchs-Chefs des Vereins Nico Weißmann und Karsten Specht sowie einige Vertreter der Elternschaft. „Wir haben nicht die optimale Infrastruktur, können nicht mit fünf Rasenplätzen und einem eigenen Funktionsgebäude für die Jugend glänzen. Also müssen wir andere, neue Wege gehen. Wir wollten uns Expertise von außen ins Haus holen“, erklärt Weißmann den Anlass. „Wir wollen mehr von morgen sprechen als von gestern und heute“, ergänzt der 33-jährige Specht, offiziell Leiter des Nachwuchsleistungszentrums. Auf der offiziellen Präsentation der Kooperation prangt der Titel „Youth Academy“. Ein simpler Anglizismus, der den Anspruch verdeutlicht. Der Nachwuchs des 1. FC Saarbrücken soll fit für die Zukunft gemacht werden. Weg vom teilweise ranzigen Charme des Traditionsvereins. „Wenn man nicht mit Infrastruktur und Geld punkten kann, muss man es mit Inhalten tun“, sagt Weißmann.
Die Zwischenbilanz kann sich sehen lassen. Seit er und Specht die Geschicke der FCS-Jugend lenken, geht die Entwicklung nach oben. Das NLZ wurde installiert, etabliert und ist vor zwei Jahren in die zweite Kategorie des DFB aufgestiegen. Dieses Gütesiegel wurde kürzlich bestätigt. Die SV Elversberg, deren Erste Mannschaft in der Zweiten Liga spielt, wurde dagegen zurückgestuft. Wohl auch deshalb sagt Meyer, „dass der 1. FC Saarbrücken der natürliche Partner für dieses Projekt ist“.
Von der Kooperation sollen beide Partner profitieren. Meyers Institut bietet einen PhD-Studiengang an, der dem Master folgt. Aus diesen Studiengängen sollen Teilnehmer nach Bedarf dem Nachwuchs des FCS bei der Trainingsarbeit assistieren und dabei wissenschaftlichen Mehrwert schaffen. Meyer nennt ein Beispiel: „Derzeit arbeitet einer unser Studenten daran, die Auswirkungen von Hitze auf ein Fußballspiel zu untersuchen. Das Themenspektrum ist breit gefächert, wir lassen den Studenten viel Platz für Kreativität.“
Athletik-Trainer aus Meyers Institut
Die Idee für die Zusammenarbeit ging übrigens vom FCS aus. „Herr Specht hat mich angerufen, und ich fand die Idee gut“, sagt Meyer kurz und knapp. Vom Himmel gefallen ist der Ansatz nicht. Der Werdegang des Sportwissenschaftlers Ludwig Ruf hat Specht inspiriert. Der bewarb sich vor Jahren auf die Ausschreibung einer Doktorstelle der Saar-Uni genau zur rechten Zeit. Die Hochschule suchte einen Bewerber für das Thema „Trainingsbelastung und Ermüdung im Nachwuchsfußball“. Die Verantwortlichen merkten schnell, dass diese Aufgabe Ludwig Ruf auf den Leib geschnitten war. Parallel zu seinem Engagement an der Uni arbeitete der Doktorand als Athletiktrainer der U15- bis U19-Teams des FCS. „Er hat uns unglaublichen Input geliefert“, sagt Specht rückblickend. Mittlerweile ist Ruf Athletik-Trainer des Bundesligisten TSG Hoffenheim. Und Specht nennt weitere Beispiele. Der derzeitige Athletik-Trainer des FCS-Profis Max Smith stammt ebenfalls aus Meyers Institut wie Videoanalyst Jonathan Leibrock. „Die Ansätze waren vorher schon da, die Idee war jetzt einfach, einen festen Rahmen zu stecken“, erklärt der NLZ-Leiter. Bei Meyer rannte er damit offene Türen ein. „Unser Studiengang wird von vielen ausländischen Studierenden belegt. Die haben oftmals nicht viel Geld, haben es eilig und sind extrem motiviert. Und natürlich sind Praktika, die ja unerlässlich sind, bei einem Proficlub extrem attraktiv“, sagt der „Doc“.
In regelmäßigen Abständen werden die Forschungsansätze dabei besprochen und auf Wissenschafts-Tauglichkeit analysiert. „Es geht nicht darum, Dinge auf dem Papier festzuhalten. Die Studierenden machen Themenvorschläge, in welchem Bereich sie forschen wollen. Und von Zeit zu Zeit setzen wir uns zusammen und besprechen uns. Was halten wir davon? Was hält der FCS davon“, erklärt Maxime Brandts, die den entsprechenden Studiengang in Meyers Studiengang leitet. Nicht nur Doktoranden werden dem FCS dabei künftig Input liefern. „Während des Master-Studiengangs müssen die Studierenden 200 Praktika-Stunden nachweisen. Zudem müssen sie auch eine Masterarbeit schreiben, das kann man jetzt in Verbindung mit dem FCS tun“, sagt Brandts. Langfristig werden die Teilnehmer dadurch auch fit gemacht für den Arbeitsmarkt Profifußballer, wie Meyer launig ausführt: „Man hat mittlerweile durch sehr viele Vorgaben sehr viele Arbeitsplätze im deutschen Profi-Fußball geschaffen. Diese Stellen muss man ja auch mit Leben erfüllen, sprich mit Personal besetzen.“