Der Klassenerhalt ist für Union Berlin zum Greifen nah. Die Spieler haben das Momentum auf ihre Seite gezogen und gewinnen wieder Spiele, in denen sie nicht unbedingt die bessere Mannschaft sind.
Auf das Duell seiner beiden Ex-Clubs schaute Max Kruse genau. Während seine Rückkehr zum VfL Wolfsburg inklusive einer geräuschvollen Ausbootung durch Ex-Trainer Niko Kovac fast nur ein finanzieller Erfolg für ihn war, hat der Stürmer die Zeit bei Union Berlin in deutlich besserer Erinnerung. Hier fand er damals zur Topform zurück, hier stieg er zum Publikums-Liebling auf, hier führte er einen Außenseiter sensationell in den Europapokal. Kein Wunder, dass Kruse die Eisernen weiter verfolgt und sich Gedanken über deren Werdegang macht. „Es war klar, dass es nicht immer bergauf weitergeht wie in den letzten Jahren“, sagte der Ex-Nationalspieler, der nur noch im Freizeitbereich aktiv spielt. Wer andere Erwartungen an das Team hatte, würde die Realitäten verkennen, meinte Kruse: „Ich glaube nicht, dass es Unions Anspruch ist, immer um die internationalen Plätze zu spielen. Dazu ist der Geldfluss zu klein.“
Die beschränkten finanziellen Mittel sind für Kruse der Hauptgrund, warum Union nicht dauerhaft um die Europapokalplätze mitspielen kann. „Die Möglichkeiten, große Spieler zu holen, sind gering. Es gibt Ausnahmen. Aber grundsätzlich haben andere Vereine viel höhere Etats“, sagte der 37-Jährige. Deshalb sei jedes Jahr, in dem der Club aus Berlin-Köpenick den Klassenerhalt schafft, auch ein sportlich gutes Jahr. „Ich gönne es Union, wenn sie drinbleiben“, sagte Kruse. Er erkannte nach drei nicht verlorenen Spielen mit sieben Punkten einen „positiven Trend“, er warnte aber zugleich: „Der kann aber null wert sein, wenn du die nächsten Spiele wieder verlierst.“ Doch das tat Union nicht – ganz im Gegenteil! Das Team von Trainer Steffen Baumgart baute seine Erfolgsserie durch ein 1:0 (0:0) zu Hause gegen den kriselnden VfL Wolfsburg aus und verschaffte sich weiter Luft im Abstiegskampf. Sechs Spieltage vor Saisonende beträgt der Vorsprung auf den Relegationsrang 16 elf Punkte – da lässt sich das schwere Auswärtsspiel am Samstag bei Meister Bayer Leverkusen ohne den ganz großen Druck angehen.
„Dass wir jetzt mit zehn Punkten aus vier Spielen gehen, ist natürlich Weltklasse“, sagte Benedict Hollerbach, der gegen Wolfsburg mit dem Siegtreffer (63.) erneut zum Matchwinner aufgestiegen war. Doch mehr noch als über die guten Ergebnisse freute sich der Topscorer über etwas anderes: „Was mich besonders stolz macht, ist, dass wir unsere alte Leier nicht wieder gezeigt haben, dass wir, wenn wir im sicheren Fahrwasser sind, es noch mal unnötig spannend machen. Das haben wir zahllose Male gehabt diese und letzte Saison.“ Daher sei er „sehr stolz“ auf das Team, „dass wir jetzt diesen Entwicklungsprozess gemacht haben und uns das Leben nicht unnötig schwer machen“. Damit das auch so bleibt, forderte Abwehrspieler Leopold Querfeld unmissverständlich: „Wir haben extrem wichtige Punkte eingefahren, aber jetzt gilt es, dass wir nicht aufhören. Wir haben uns einen Flow erarbeitet, den wir einfach nutzten sollten.“ Und wie das geht, verriet der Österreicher auch: „Einfach Spaß haben, weiter so spielen – dann ist es, glaube ich, für jeden Gegner extrem schwer, gegen uns zu spielen.“

In der Tat nähert sich Union in der Spielweise wieder dem Stil an, den Ex-Erfolgscoach Urs Fischer einst als „eklig“ beschrieb. Union spielt beileibe keinen schönen, aber wieder pragmatischen und erfolgreichen Fußball. So wie in seiner besten Bundesligazeit. Auch der Sieg gegen Wolfsburg sei „hart umkämpft gewesen“, sagte Hollerbach: „Wir haben uns mit allem, was wir haben, reingeworfen.“ Dann half sein Torinstinkt, eine gute Verteidigung, Glück – und das viel zitierte „Momentum, das wir gerade auf unserer Seite haben“, wie nicht nur Hollerbach feststellte.
Oliver Ruhnert wieder bei Union
Auf die Frage im TV-Interview, wie genau das Team den Turnaround geschafft hat, wusste der Stürmer selbst keine wirkliche Antwort. Horst Heldt ist jedenfalls froh über den seit Wochen andauernden Aufschwung. Doch der Sport-Geschäftsführer warnte auch: „Wir müssen weiter aufmerksam bleiben und den Fokus beibehalten.“ Zumindest machten die Spieler nicht den Eindruck, als würden sie angesichts des fast sicheren Klassenerhalts nun nachlassen wollen. „Die Mannschaft hat sich gefestigt“, meinte Heldt: „Das Selbstvertrauen müssen wir jetzt mitnehmen.“ Denn auch wenn es in der Tabelle sehr gut aussieht – faktisch sicher ist der Klassenerhalt noch nicht. „Man macht Fehler, wenn man spekuliert, wie andere Teams spielen. Es hilft, wenn wir nur bei uns bleiben und auf uns schauen“, sagte Heldt. Und auch Trainer Steffen Baumgart betonte: „Es geht darum, weiterzumachen und das Zahlenspiel endgültig zu beenden.“
Mit Zahlen kennt sich Oliver Ruhnert gut aus. Der Chefscout, dessen Vertrag aufgrund seiner politischen Ambitionen mit dem bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten Bündnis Sahra Wagenknecht nur geruht hatte, nahm seine Arbeit bei Union nun wieder auf. „Er ist Bestandteil von Union Berlin“, sagte Heldt, der grünes Licht für die Rückkehr gab: „Als Geschäftsführer bin ich derjenige, der mit dem Präsidenten die Entscheidungen trifft.“ Heldt verspricht sich von Ruhnert, der am Ende der Vorsaison den Posten des Sport-Geschäftsführers geräumt und damit Platz für Heldt gemacht hatte, nicht nur gute Tipps bei potenziellen Neuverpflichtungen. „Oliver ist für uns natürlich wichtig bei der Entscheidungsfindung. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, möglichst viel Expertise um sich herum zu haben. Menschen mit Qualitäten an seiner Seite zu haben“, sagte Heldt. Sein Draht zu Ruhnert sei kurz – und „altmodisch über SMS“, wie Heldt verriet, „weil Oli ja kein Whatsapp hat“.
Nicht mehr zurückehren wird dagegen Robin Gosens. Der Linksverteidiger war kurz vor Ende der Sommer-Transferperiode zur AC Florenz ausgeliehen worden. Dort war er auf Anhieb Stammspieler und Leistungsträger. „Es gibt eine Kaufoption, die in eine Kaufpflicht umgewandelt wird, sobald ich 60 Prozent der möglichen Pflichtspiele absolviert habe“, verriet Gosens selbst. Diese Marke wird der Ex-Nationalspieler im Normalfall erreichen. Medienberichten zufolge müsste Florenz dann 7,5 Millionen Euro auf das Konto von Union überweisen. Das ist viel Geld – angesichts der 13 Millionen Euro, die die Eisernen damals für Rekordtransfer Gosens selbst investiert haben, aber immer noch ein dickes Minus-Geschäft.
Für Gosens hat sich der Wechsel definitiv gelohnt, mit seinem neuen Team kämpft der 30-Jährige sogar um die Champions-League-Plätze in der italienischen Serie A. Auch privat hat er sich in der Toskana prächtig eingelebt. „Ich fühle mich einfach pudelwohl hier. Wenn ich den Kopf frei und auch das Gefühl habe, wertgeschätzt zu werden, wirkt sich das sehr positiv auf meine Leistungen aus“, sagte Gosens: „Ich bin physisch und psychisch in einer Top-Verfassung, diese Kombination ist schwer zu schlagen.“ In der Conference League steht Gosens mit Florenz im Viertelfinale, der internationale Titel gleich in der Premierensaison ist durchaus möglich. „Mein größter Traum wäre es, dieser fußballverrückten Stadt Florenz einen Titel zu bescheren“, sagte er. Davon ist sein Ex-Club Union zwar meilenweit entfernt, trotzdem ist man auch dort im Moment sehr zufrieden.