Das Saarland ist in diesem Jahr Gastgeber am Tag der Deutschen Einheit und lädt zu einem „saarländischen Deutschlandfest zum Mitmachen“ ein. Es werde „einer der europäischsten Tage der Deutschen Einheit“, kündigt die Bundesratspräsidentin und saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger an.
Frau Rehlinger, der Tag der Deutschen Einheit rückt näher. Was erwartet die Gäste im Saarland und wie ist der Stand der Vorbereitungen?
Das Saarland kann an diesem Tag bundesweit und über die Grenzen hinaus strahlen. Die Feierlichkeiten finden nur alle 16 Jahre im Saarland statt – wenn wir den Vorsitz im Bundesrat haben. In diesem Jahr fällt uns diese spannende Aufgabe zu. Wir freuen uns als Höhepunkt dieser Ratspräsidentschaft auf unser saarländisches Deutschlandfest zum Mitmachen. Da steckt ganz viel Arbeit drin, da steckt auch ganz viel Herzblut drin. Vor allem steckt für das Saarland eine große Chance darin. Wir haben insgesamt versucht, aus dieser Ratspräsidentschaft viele Chancen für das Saarland Realität werden zu lassen. Es war für mich persönlich natürlich eine große Ehre, aber für das Saarland auch die Gelegenheit, im Reigen der Bundesländer und auch in Europa nochmal sichtbarer zu werden.
Welche Akzente wird das Land beim „saarländischen Deutschlandfest zum Mitmachen“ setzen?
Wir feiern vom 2. bis zum 4. Oktober ein großes Bürgerfest in Saarbrücken. Wir möchten ein Fest mit allen feiern – Groß und Klein, Alt und Jung – mit Gästen aus nah und fern. Alle Saarländerinnen und Saarländer sind herzlich eingeladen sowie Nachbarn aus den umliegenden Bundesländern und ganz Deutschland und auch aus Frankreich und Luxemburg. Da ist zum einen der Gottesdienst in der Ludwigskirche. Es ist auch das Jubiläumsjahr, 250 Jahre Ludwigskirche – ein wunderbarer Zufall. Und natürlich der offizielle Festakt mit sehr vielen hochrangigen Gästen wie dem Bundeskanzler, dem Bundespräsidenten und sogar Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron, alles live übertragen in ARD beziehungsweise ZDF. Die Zusage von Macron, aber auch der polnischen Senatsmarschallin hat natürlich enorme Strahlkraft und ist ein wichtiges Signal für ganz Europa: Das Weimarer Dreieck lebt!
Es wird sicherlich einer der europäischsten Tage der Deutschen Einheit, die es bisher gab. Schon aufgrund unserer Grenzlage zu Frankreich und Luxemburg. Das Saarland ist ohnehin ein gutes Scharnier für die deutsch-französischen Beziehungen. Das ist natürlich ein anderes Bild als beispielsweise Hamburg mit seinem internationalen Hafen. Beim Tag der Deutschen Einheit zeigt sich immer ganz wunderbar, wie unterschiedlich die Rollen und das Selbstverständnis der Bundesländer sind. Das macht ja auch den Reiz aus: die Gelegenheit, immer ein anderes Bundesland etwas besser kennenzulernen. Es ist diese Vielfalt in der Einheit, die sichtbar wird.
Auf dem Bürgerfest in der Innenstadt wollen wir zeigen, was das Saarland zu bieten hat als Gastgeber im Herzen Europas. Vom Flair in der Eurometropole Saarbrücken über Kunst, Kultur und Kulinarik. Über 600 Künstlerinnen und Künstler zeigen auf mehr als 20 Bühnen und Szeneflächen ihr Können, über 200 Aussteller präsentieren sich. Sie können auf der Ländermeile quasi einen Spaziergang durch die Bundesrepublik machen. Und es wird auch ein Fest der Demokratie mit Information, Dialog und Debatte. Wir möchten feiern, was uns verbindet.
In unserem Motto „Zukunft durch Wandel“ verbinden wir die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung mit der Identität unseres Saarlandes. Wir leben in einer Zeit des Wandels. Die Geschichte unseres Bundeslandes ist eine des permanenten Wandels. Es ist auch Ausdruck von Mut und Zuversicht, dass dieser Wandel gelingen kann. Wir waren französisch, wir waren unabhängig und sind jetzt deutsch. Ein bisschen sind wir das alles immer noch. Der Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik 1957 war auch ein Zeichen des Wandels – die kleine Wiedervereinigung, bevor die große Wiedervereinigung gekommen ist. Wandel muss also nicht nur Angst und Verunsicherung erzeugen, sondern kann auch Zukunft und Zuversicht bedeuten. Das ist der Wunsch, den wir haben, und die Überzeugung, die wir auch hier im Saarland leben.
Es war ja auch Ihr erklärtes Ziel, in der Bundesratspräsidentschaft das Saarland mit seinen spezifischen Themen sichtbar werden zu lassen. Ist das gelungen?
Ich würde sagen: Ja. Als Bundesratspräsidentin durfte ich nicht nur die Sitzungen leiten, sondern auch bei vielen anderen Anlässen die Gemeinschaft der Länder vertreten. Als ich vor einem Jahr in Schwerin den Staffelstab von Manuela Schwesig übernommen habe, war natürlich nicht klar, dass in diesem Jahr eine vorgezogene Neuwahl stattfinden wird, dass es im Bundesrat noch bunter zugeht als vorher schon und dass geopolitische Entwicklungen bei uns in Deutschland zu solchen Herausforderungen führen würden. Es war ein sehr bewegtes Jahr, das hat es aber auch sehr interessant gemacht. Trotzdem war es möglich, eine Linie zu zeichnen. Ich habe mir vorgenommen, mit dem Thema „Zukunft durch Wandel“ deutlich zu machen, dass der Strukturwandel eine Gestaltungsaufgabe ist, die wir als Politik haben, aber auch als Gesellschaft überhaupt. Ein Thema, das ich zu meinem Hauptanliegen als Bundesratspräsidentin gemacht habe: die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks. Zum einen wegen unserer guten Beziehungen zu unseren französischen Nachbarn, zum andern auch wegen der Notwendigkeit, dass wir in Europa zu neuer Stärke finden müssen. Dabei müssen Deutschland und Frankreich eine große Rolle spielen, dabei müssen aber auch Deutschland und Polen eine große Rolle spielen. Ich war während der Bundesratspräsidentschaft mehrmals in Polen, habe in Berlin ein trilaterales Senatstreffen gemacht – das gab es noch nie. Wir haben die Gelegenheit auch genutzt, im Bundesrat eine Ausstellung zu organisieren von französischen, polnischen und deutschen Künstlern. Die Kontakte sind also geknüpft und die gemeinsamen Themen liegen auf dem Tisch. Ich habe die Hoffnung, dass das Weimarer Dreieck weiter zu neuer Stärke gelangt – auch nach meiner Ratspräsidentschaft. Insgesamt ist das Saarland als kleines Bundesland auf der Weltkarte noch einmal etwas sichtbarer geworden. Es gehört zur Ratspräsidentschaft, Delegationsreisen zu veranstalten. Ich habe sie thematisch so gestaltet, dass ich Themen voranbringen kann, die auch bei uns im Saarland eine wichtige Rolle spielen. Ich habe die Niederlande besucht, war im Hafen von Rotterdam. Der ist für unsere Stahlindustrie entscheidend, für Gütertransporte, aber auch zusammen mit den Benelux-Staaten für den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur. Wir waren in Kasachstan, einem Land in Zentralasien, das mit China und Russland zwei sehr spezielle Nachbarn hat, und ich glaube, dass wir den Kasachen im Westen nicht die Türen verschließen sollten. Es ist ein großes Land mit viel Fläche für Erneuerbare Energien und großem Interesse an Wasserstoff. Ein Land, das sehr rohstoffreich ist, entsprechend war auch die Wirtschaftsdelegation ausgestattet, auch mit saarländischen Unternehmen. Die Reise nach Mexiko gehört in einen ähnlichen Kontext, auch mit dem Thema Fachkräftegewinnung. Mexiko ist hier ein guter Partner geworden, gerade für den Bereich der Pflege. Entsprechend sind auch saarländische Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich Teil der Delegation.
Sie haben formuliert, der Bundesrat sei „bunter geworden“. Was heißt das konkret für die Arbeit in der Länderkammer?
Es gibt, was die Mehrheitsverhältnisse angeht, keine streng nach Parteien sortierten Blöcke. Der Bundesrat ist der Ort, wo Länderinteressen maßgeblich sind. Das ist auch gut so. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch übergreifende Themen. Das führt, je bunter die Konstellation ist, immer häufiger zu Enthaltungen. Dazu muss man wissen, dass eine Landesregierung im Bundesrat nur einheitlich abstimmen darf. Wenn sich die Koalitionspartner im jeweiligen Land nicht einig sind, kommt es zu einer koalitionsbedingten Enthaltung. Das ist für das Land dann quasi wie ein Nein, weil es im Bundesrat immer um eine positive Mehrheit geht. Enthaltungen kommen immer öfter vor, auch weil es inzwischen Minderheitsregierungen gibt. Insofern hat sich das Bild im Bundesrat in den letzten Jahren erheblich verändert.
Sie haben die Präsidentschaft mit gewissen Zielvorstellungen und Plänen begonnen. Dann kam der Bruch der Koalition und vorgezogene Neuwahlen. War da noch viel möglich?
Wenn die Amtszeit eines Bundestags abläuft, kommt es zur sogenannten Diskontinuität: Alles, was bis dahin nicht abgeschlossen ist, kommt zum Erliegen und muss dann im neuen Bundestag noch mal neu auf den Weg gebracht werden, bevor es in den Bundesrat geht. Das kostet natürlich Zeit. Es ist den Parteien der demokratischen Mitte aber im alten Bundestag noch gelungen, wesentliche Entscheidungen für Deutschland zu treffen. Wir haben das Grundgesetz geändert, um endlich dringend notwendige Investitionen für unsere Infrastruktur zu ermöglichen. Dieser Grundgesetzänderung musste natürlich auch der Bundesrat zustimmen. Für mich war es ein historischer Moment, zu diesem Zeitpunkt die Sitzung leiten zu dürfen.
Also ein historisches Jahr?
Das war es mit Sicherheit. Grundgesetzänderungen mit dieser Tragweite gibt es nicht allzu oft. Das ist ja eine Schubumkehr: Endlich wird die Infrastruktur nicht mehr vernachlässigt, sondern in sie kräftig investiert. Ein Mega-Impuls, übrigens auch für das Saarland. Es gab auch noch andere einigermaßen einzigartige Ereignisse im Bundesrat: eine gesplittete Abstimmung. Ich hatte schon drauf hingewiesen: Ein Land muss immer einheitlich abstimmen. Für den Fall einer gesplitteten Stimmabgabe muss die Sitzungsleitung dafür sorgen, dass die Stimmenwertung richtig ist und der Beschluss rechtskonform zustandekommt. Das war in meiner Präsidentschaft überhaupt erst zum dritten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik der Fall, und es zeigt, in welch aufgewühlten Zeiten wir leben. Dazu gehört auch die Entlassung einer Fachministerin in der laufenden Sitzung des Bundesrats.
Wenn man den Bundesrat betritt, spürt man, dass eine andere Atmosphäre herrscht als im Bundestag. Es wirkt ruhiger und sachlicher. Ändert sich das gerade?
Wahlkampfzeiten sind natürlich immer aufregende Zeiten. Und angesichts der Entscheidungen, die es zu treffen galt, war auch das mediale Interesse am Bundesrat sicherlich größer als zu anderen Zeiten. Trotz all dieser besonderen Umstände kann ich im Umgang und im Miteinander der Kolleginnen und Kollegen nach wie vor sagen: Wir begegnen uns kollegial und sachbezogen. Der Bundesrat ist nicht der Ort großer parteipolitischer Auseinandersetzung. Aber ich durfte als Bundesratspräsidentin im Bundestag dabei sein, als die Auflösung beschlossen wurde. Ich war auch dabei, als die Abstimmungen erfolgten – mit einer sehr spezifischen Mehrheitsfindung, die für viel Diskussionsstoff gesorgt hat. Ein historischer Moment, der mir in eher negativer Erinnerung bleiben wird.
Nach dem Bruch der Ampel war die große Hoffnung, dass es mit der neuen Koalition besser geht. Wenn man sich die aktuellen Umfragen ansieht, ist da aber noch viel Luft nach oben.
Die Zeiten sind extrem herausfordernd. Die Bundesregierung ist gerade mal hundert Tage im Amt. Es ist sicher nicht alles gelungen. Aber ich finde, zwei Haushalte auf den Weg zu bringen, ein riesiges Sondervermögen aufzusetzen, erste Entscheidungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu treffen – das ist schon einiges, was geschafft wurde. Natürlich hätte man sich die eine oder andere bessere Abstimmung innerhalb der Koalition gewünscht. Der Anlauf zur Besetzung des Bundesverfassungsgerichts hat innerhalb der Koalition viel Vertrauen zerstört. Da muss man sich noch mal zusammenraufen. Es ist aber allen bewusst, dass eine große Verantwortung auf ihnen liegt und dass Deutschland handlungsfähig sein muss. Das heißt nicht, dass man nicht auch miteinander streitet. Das gehört dazu, auch innerhalb der eigenen Partei. Das ist kein Mangel der Demokratie. Im Gegenteil: Es ist Wesenselement der Demokratie. Entscheidend ist, ob man nach einem Kompromiss den Streit fortsetzt oder sagt: Das wird jetzt gemeinsam umgesetzt.
Es gab zu Beginn der Koalition teils drastische Kommentierungen wie etwa: letzte Patrone (zur Rettung der Demokratie). Etwas zu drastisch?
Meine Erwartungshaltung ist schon hoch, dass jetzt wichtige Schritte gegangen werden, auch Reformschritte. Es wäre aber ein Fehler, den Eindruck erwecken zu wollen, dass nach vier Jahren alles wieder gut ist. Das ist eine Latte, über die wird keine Regierung dieser Welt springen können. Man muss also schon darauf achten, realistische Ziele zu formulieren. Es braucht auch Transparenz, was eine Regierung umsetzen will und welche Schritte sie wann dazu gehen wird. Es ist wie mit dem Strukturwandel im Saarland, in dem wir uns gerade befinden. Er wird nicht von heute auf morgen gelingen. Aber mit Ausdauer und mit den richtigen Schwerpunkten wird er Schritt für Schritt gelingen. Wichtig für diese Regierung ist daher jetzt, dass sie zentrale Impulse für die Wirtschaft setzt, dass sie sich in Sicherheits- und Verteidigungspolitik vernünftig aufstellt. Und auch wirksame, aber nicht überzogene Entscheidungen in der Migrationspolitik zu treffen.
Aber jetzt gibt es erst mal das „saarländische Deutschlandfest zum Mitmachen“, das Saarland im Mittelpunkt. Und dann?
Wir haben unsere thematischen Punkte gesetzt, und die bleiben: der Strukturwandel, die Stärkung des Weimarer Dreiecks, die Stärkung Europas insgesamt – es gibt noch viel zu tun. Ich hoffe, ich konnte in diesem Jahr bleibende Impulse setzen.
Ich werde mich jedenfalls weiter in meinen anderen Funktionen und den damit verbundenen Möglichkeiten – als Ministerpräsidentin, als deutsch-französische Kulturbevollmächtigte, aber auch in meiner Partei – dafür starkmachen.