Jeans aus Brennnesseln, Chinos aus Hanf und Kleider aus Ramie. Moderne Produktionen treffen klassische Anbaumethoden und herauskommen schicke Teile für kühle Tage. Sie sind nachhaltig, gut verträglich und erfüllen damit den steigenden Anspruch des Klimaschutzes.
Die Modeindustrie gilt weiterhin als riesige Belastung für die Umwelt. In keiner anderen Branche werden so viele Ressourcen bei der Herstellung verschwendet, und gleichzeitig landet ein großer Teil der Fast-Fashion-Kollektionen teilweise nie getragen wieder auf dem Müll. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, haben sich Produzenten unterschiedliche Strategien überlegt. Die Bandbreite reicht von Made-to-order-Konzepten über Recyclingfasern bis hin zu speziellen Fertigungsmethoden, die weniger Energie und Wasser benötigen als herkömmliche Verfahren. Spannend ist dabei insbesondere die Verwendung immer neuer natürlicher Materialien wie etwa Hanf und Brennnesseln.
„Recyclinghose“ als Standardsortiment
Einer der größten deutschen Jeansmodenhersteller in Deutschland, Mac Mode, probiert sich seit Jahren an unterschiedlichen Fasern und möglichst umweltfreundlichen Herstellungsmethoden. Dazu erklärt Firmen-Chefin Eveline Schönleber kurz und knapp in einem Interview: „2012 – das war der Startschuss für unsere Philosophie, dass in jedem unserer Produkte möglichst viel Nachhaltigkeit drin ist.“ Seitdem ist viel passiert. Zunächst produzierte das Unternehmen aus der Oberpfalz Jeans aus recycelter Baumwolle. Die gewann man aus Baumwollresten und steckte gleich 25 Prozent davon wieder zurück ins neue Produkt. Ohne viel Werbung gefiel den Kunden die klimafreundlichere Hose, die sich guten Gewissens kaufen ließ. 250.000 Stück davon gingen über die Ladentheke. Heute gehören diese „Recyclinghosen“ längst zum Standardsortiment. Doch man gab sich nicht zufrieden mit diesem Vorstoß zu mehr Nachhaltigkeit. Das Modeunternehmen aus der Nähe von Regensburg plant, in zehn Jahren gar keine Baumwolle mehr für die Fertigung der Kleidung zu verwenden, denn ihr Anbau ist problematisch. Die watteähnlichen Knospen der Wolle sind sehr sensibel und vertragen keinen Regen. Deshalb wird sie in eher trockenen Regionen angebaut. Da die Pflanze aber ursprünglich aus den Tropen stammt, benötigt sie viel Feuchtigkeit zum Wachsen. Die einzige Lösung ist eine künstliche Bewässerung, die sehr viele wertvolle Ressourcen verbraucht in Teilen der Welt, in denen es ohnehin schon zu wenig Wasser für die Menschen und Tiere gibt. Außerdem herrschen hier keine strengen Gesetze für den Anbau, sodass viele schädliche Pestizide eingesetzt werden. Als i-Tüpfelchen auf der Problemliste kommt hinzu, dass die Farmer in den Herkunftsländern unter extrem harten Arbeitsbedingungen oft zu einem Hungerlohn die Ernte einholen.
Hungerlohn und harte Arbeitsbedingungen
ein Wunder also, dass der Anbau von Baumwolle von vielen Umweltschutzorganisationen als kritisch eingeschätzt wird. Es muss Ersatz her, der genauso positive Eigenschaften hat, aber besser für Mensch und Umwelt funktioniert. Bisher stand Hanf hier bei vielen Herstellern an erster Stelle. Die Fasern sind der Baumwolle untergemischt und für den Kunden nicht spürbar. Neu hinzu kommen Brennnesselfasern. Die haben schon lange einen Platz in der Textilherstellung, allerdings waren die Produzenten nicht immer mit der Produktqualität zufrieden, da die Fasern oft kratzten. Hier ist also in den Entwicklungslaboren großer Modelabel noch einiges an Entwicklungsarbeit gefragt, bevor sich ein Austausch der Baumwolle hin zu einem klimafreundlicheren Naturprodukt realisieren lässt. Bis dahin bleibt Brennnesselfaser als Beigabe ein guter Ansatz, zumal sie nach der Aufarbeitung nicht mehr brennt. Aber komplett als Ersatz kann das „Unkraut“ noch nicht herhalten, wie Eveline Schönleber weiter erklärt: „Es ist eine langstapelige Faser, die aber von Haus aus nicht so geschmeidig ist wie die Baumwolle. Deshalb experimentieren wir mit Beimischungen von Baumwolle, von Modal oder von synthetischen Fasern.“ Und das kann sich lohnen, denn eigenen Angaben zufolge hat der Mode-Riese allein im Jahr 2021 über zehn Millionen Meter Stoff verarbeitet. Dabei stehen umweltschonende Produktionsinnovationen und kreislaufbasierte Produkte im Vordergrund. Das Ziel lautet: „From Blue to Green – Re-Designing Denim Traditions“. Dahinter steckt der Anspruch, bis zum Jahr 2030 sämtliche Jeans zu 100 Prozent aus regenerativen Fasern und recycelter Baumwolle zu fertigen. Die sollen dann aus Bambus, Hanf oder Brennnesseln bestehen. 40 Prozent davon sollen in jeder fertigen Hose verarbeitet sein. Damit das Endprodukt wieder gut recycelbar ist und einen möglichst geringen Fußabdruck hinterlässt, macht man sich auch Gedanken um die vielen kleinen Schritte, die für eine Jeans entscheidend sind. Nieten sind aufgenäht und nicht mehr eingearbeitet. Knöpfe und Reißverschlüsse bleiben in robustem Metall gefertigt, lassen sich aber leicht entfernen. Bisher war es ein großer Aufwand, die „guten“ Stücke der Jeans zu recyceln und den Rest wegzuschneiden. Auch das soll sich künftig ändern, für noch mehr Nachhaltigkeit von Anfang an. Für so viel Engagement darf sich Mac Mode aktuell über einen Finalistenplatz für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2023 freuen.
Marc O’Polo, Tonno & Panna und Hallhuber
Was das Traditionsunternehmen antreibt, das haben andere Hersteller längst für sich entdeckt. Zumal sich die regenerativen Pflanzenfasern problemlos in Europa anbauen lassen und somit keine langen Wege von der Ernte bis in die Produktionsstätten zurücklegen müssen. Das hat sich auch bis in ein kleines Dorf auf der schwäbischen Alb herumgesprochen. Hier konzentriert sich der Stoffhersteller Mattes & Ammann im beschaulichen Meßstetten-Tieringen darauf, die gesamte Produktion auf Pflanzenfasern umzustellen, allen voran die Brennnessel – lateinisch Urtica dioica. 40.000 Pflanzen wachsen seit knapp zehn Jahren auf einem Feld, das unter dem Projektnamen Marlene extra in Ungarn angelegt wurde. Der Anbau ist einfach, denn die anspruchslose Brennnessel kommt ohne Pestizide, Düngemittel und eine künstliche Bewässerung aus. Doch die Verarbeitung hat es in sich, wie Verkaufsdirektor Werner Moser gegenüber dem Deutschlandfunk erklärt: „Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Faser als solche fest mit dem Holz respektive Lignin-Anteil im Pflanzenstängel verbunden ist. Das ist wie ein Drahtbetonpfeiler konstruiert. Und diese Faser in einem Prozess zu separieren, zu eliminieren, ist aufwendig. Wenn Sie eine Baumwollfrucht oder das Baumwollgarn nehmen, das braucht man nur abpflücken.“
Inzwischen hat man ein spezielles Verfahren entwickelt und kann deshalb erfolgreich Stoffe für Möbelbezüge, Matratzen und viele weitere Einsatzorte herstellen. Noch enthalten diese weitere Pflanzenfasern neben der Brennnessel. In Zukunft möchte das Unternehmen aber eine komplette Umstellung zu 100 Prozent schaffen, auch weil die Nachfrage deutlich steigt. Bis dahin bleibt es auf der schwäbischen Alb wie überall, es wird eifrig gemischt. Neben Apfelzesten, Kokosfasern, Hanf und Bambus gewinnt dabei auch Ramie immer mehr an Beliebtheit. Dabei handelt es sich um eine Naturfaser aus dem tropischen Ostasien, die eine perfekte Alternative zu Seide und Leinen darstellt. Der Stoff ist auch unter dem Namen „Chinagras“ bekannt und gehört zur Familie der Brennnesseln. Zur Verarbeitung nutzt man ihre Stängel, diese kommen ganz ohne störende Brennhaare aus. Die fertigen Fasern absorbieren Feuchtigkeit ausgesprochen gut, sie haben einen tollen Glanz und sind außerdem schimmelresistent. Allerdings ist Ramie in trockenem Zustand empfindlich gegenüber Reibung, weshalb Modehersteller für abnutzungsanfällige Flächen wie die Hoseninnenbeine oder die Taschen vorzugsweise auf ein Mischgewebe zurückgreifen. Speziell zur Fertigung von Sommerkleidung ist dieser Brennnesselverwandte sehr beliebt. Marc O’Polo hat ebenso schicke und luftige Tunika-Kleider im Sortiment wie Tonno & Panna oder Hallhuber. Wer Wert auf natürliche Fasern legt, der findet entsprechende Hinweise immer auf dem Etikett oder in der Artikelbeschreibung der Label auf ihren Webseiten. Dann klappt es auch mit wunderbar anschmiegsamer Kleidung aus Pflanzen, die sonst ganz und gar nicht für ihr Wohlgefühl auf der Haut bekannt sind.