Das Saarbrücker Kino Achteinhalb zeigt demnächst den Stummfilm „Das Kabinett des Dr. Caligari“. Dazu spielt live die Improvisationsklasse der Hochschule für Musik Saar.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Kinos entstanden und die Menschen auf den Leinwänden mit großem Staunen die bewegten Bilder aus aller Welt sahen, sind Filme ein wichtiger Teil der Unterhaltungsindustrie. „Filme sind viel mehr als kurzweilige Belustigung“, sagt Waldemar Spallek. „Filme sind auch eine besondere Kunst“, betont der Leiter des Saarbrücker Kinos Achteinhalb, in dem das Motto lautet: „Andere Filme anders zeigen“. Die Filmreihen auf dem Programm heißen unter anderem „Ciné queer“, „Kafka 100“ und „Jüdische Filmtage“. „Als kommunales Kino mit finanziellen Zuschüssen haben wir einen besonderen Programmanspruch“, sagt Spallek, „uns ist die Pflege und Vermittlung der Filmgeschichte wichtig.“ Deutsche Filme nehmen bei dieser Aufgabe zurzeit eine spezielle Rolle ein, denn mit einer Filmreihe begleitet das Kino Achteinhalb die noch laufende Ausstellung „Der Deutsche Film – 1895 bis heute“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. „Unsere Reihe enthält Werke mit wichtigen Aspekten der deutschen Filmgeschichte“, sagt Waldemar Spallek. „Unter den Brücken“ (1944/45) von Helmut Käutner etwa wurde schon gezeigt ebenso wie „Angst essen Seele auf“ (1974) von Rainer Werner Fassbinder und „Yella“ (2007) von Christian Petzold. Höhepunkt der Filmreihe sind zwei Vorstellungen von „Das Cabinet des Dr. Caligari“.
Der Film aus dem Jahr 1919 erzählt die Geschichte eines Schaustellers, der sich Dr. Caligari nennt, aber dessen wirklicher Name unbekannt bleibt. Caligari erscheint eines Tages in der Stadt Holstenwall und präsentiert auf dem Jahrmarkt den Schlafwandler Cesare. Er sei, erzählt Caligari, im Zustand des Somnambulismus angeblich seit 23 Jahren nicht mehr von allein aus seinem Schlaf aufgewacht. Nur Caligari kann Cesare aufwecken, und dann kann Cesare die Vergangenheit irgendeines Menschen erzählen und auch die Zukunft voraussagen. In einer dieser Vorstellungen erscheinen die Studenten Francis und Alan. Und Cesare sagt voraus, Alan werde nur noch bis zum Morgengrauen leben. Und tatsächlich wird Alan noch in der Nacht erstochen. Francis verdächtigt den unheimlichen Caligari und Cesare, den Mord begangen zu haben.
In einer weiteren Nacht entführt Cesare die junge Frau Jane, in die Francis heimlich verliebt ist. Francis folgt Caligari bis in eine psychiatrische Anstalt. Es stellt sich heraus, dass der diabolische Caligari der Direktor der Anstalt ist und, dass er den schlafwandelnden Cesare missbraucht hat, nachts zum Mörder zu werden. So wollte Caligari beweisen, dass ein Mensch im Zustand des Somnambulismus Dinge tun kann, die er bei vollem Bewusstsein verabscheuen würde.
Ein bisschen Umbau und Möbelrücken
Gedreht wurde „Das Cabinet des Dr. Caligari“ im Jahr 1919 noch ohne Tonspur. Das Produzieren von Filmen stand noch am Anfang, technische Voraussetzungen für das gesprochene Wort waren noch nicht entwickelt. Aber stumm oder leise war die Vorführung eines Filmes nicht. In den Kinos stand immer ein Klavier, an dem ein Pianist live spielte – stets passend zu der Stimmung in den gezeigten Szenen, meist ohne Noten, sondern improvisierend. Die alte Kunst dieser Filmvertonung lässt Waldemar Spallek bei den zwei Vorstellungen im Kino wieder aufleben. „Wir haben seit einigen Jahren eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Saar und deren Improvisationsklasse von Jörg Abbing“, sagt Spallek. „Es ist ein Glück, dass Jörg Abbing cinephil ist und großes Interesse an der Filmkunst hat.“ Der Musikprofessor kommt zu den zwei Caligari-Vorstellungen im Achteinhalb und spielt mit einigen seiner Studierenden live im Kino, während die Besucher vor der Leinwand sitzen und den Film sehen. „Platz für die Musiker haben wir, weil im Achteinhalb das Foyer in den hinteren Teil des Kinosaals integriert ist“, erklärt Spallek. Ein bisschen Umbau und Möbelrücken, schon können die Musizierenden ihre Instrumente aufbauen. Welche genau, wird sich erst bei einigen Proben zeigen. Geige, Saxofon, Klarinette, Cello und Bratsche kamen in vergangenen ähnlichen Vorstellungen zum Einsatz, „aber wir hatten mit Abbings Klasse auch schon Percussions hier und sogar ein Didgeridoo“, so Spallek. Im Kino steht immer auch ein Klavier, an dem Jörg Abbing manchmal selbst sitzt und spielt. „Das höre ich immer heraus, auch wenn ich mit dem Rücken zu den Musikern im Publikum sitze“, sagt Spallek.
Die Musiker spielen zu den Caligari-Vorstellungen zwar ohne Noten und werden wie vor mehr als 100 Jahren passend zu den Szenen improvisieren. Aber ganz unvorbereitet sind sie nicht, auch die Improvisation muss geprobt werden. Vor der ersten Vorstellung kommen Jörg Abbing und seine Studierenden, um sich schon mit dem Film vertraut zu machen. Denn der 105 Jahre alte Streifen, so Spallek, „ist eines der wichtigsten Werke der expressionistischen Filmgeschichte“. Zu den Stilmitteln des Expressionismus gehören miteinander verschwimmende Lichter und Schatten, Häuser mit schrägen Wänden und überdimensionale Möbel. Die Musik hat die Aufgabe, die beängstigende Atmosphäre des Filmes zu interpretieren – und zwar bei jeder Vorstellung anders. Bemerken die Studierenden beim ersten Mal, dass ihre klangliche Untermalung zu einer Szene nicht zu ihrer vollen Zufriedenheit ist, oder kommt das Gespielte bei den Gästen besonders gut an, wird die Musik in der zweiten Vorstellung angepasst. Es lohne sich also, beide Vorstellungen zu besuchen, so der Organisator.
Waldemar Spallek, der Filmwissenschaft in seiner polnischen Heimatstadt Katowice studiert hat, wird vor den Vorstellungen einen Vortrag über „Das Cabinet des Dr. Caligari“ halten und einen Überblick über den historischen und kulturellen Kontext des Werkes geben. Erwartet werden bis zu 90 Besucher und Besucherinnen. „Die Nachfrage ist erfreulicherweise gut“, sagt Spallek, der mit Jörg Abbing schon an einer Fortführung der Cinékonzert-Reihe arbeitet. Im September soll es mit dem Film „Menschen am Sonntag“ (1930) weitergehen und auch für Anfang kommenden Jahres gibt es schon die ersten Ideen.