Der FC Bayern München hat das ersehnte Champions-League-Finale im eigenen Stadion verpasst. Die Paarung wirkt auf den ersten Blick wenig reizvoll – und ist es am Ende umso mehr.

Manchen beim FC Bayern München schmerzt diese Endspielniederlage im „Finale dahoam“ mehr als die legendäre 1999 gegen Manchester United. Vor 26 Jahren wurde aus einer 1:0-Führung in der Nachspielzeit ein 1:2 – vielleicht wurde nie ein Finale in der Champions League bitterer verloren. Doch was die Münchener 13 Jahre später erlebten, war emotional ein ähnlicher Hammer. Ein ganzes Jahr hatte sich das Gerede vom „Finale dahoam“ aufgebaut. Das Endspiel der Champions League würde in München stattfinden, es zu erreichen und zu gewinnen war das große Sehnsuchtsziel des Rekordmeisters. Die Münchener erreichten es tatsächlich. Sie waren gegen den FC Chelsea klarer Favorit, zeigten eine gute Leistung und hatten den Sieg gleich mehrfach gefühlt schon in der Hand. So in der 83. Minute, als Thomas Müller endlich das erlösende 1:0 schoss, ehe Didier Drogba die Londoner mit der gefühlt ersten Chance in die Verlängerung schoss (88.). So in der 95. Minute, als Arjen Robben zum Elfmeter antrat – und verschoss. Und so auch im Elfmeterschießen, als die Bayern schon mit 3:1 führten. Am Ende verloren sie, und die Allianz Arena wurde zum Tal der bayerischen Tränen.
Wunde noch nicht verheilt

„Die Final-Niederlage 2012 in München gegen Chelsea ist meine einzige Wunde, die noch nicht verheilt ist“, sagte Karl-Heinz Rummenigge bei seinem Abschied als Vorstandschef 2023. Das sei trotz Manchester 1999 „die schlimmste aller Niederlagen“, die er nie begriff, obwohl er sie, wie er Jahre später verriet, „jedes Jahr im Sommer in meinem Ferienhaus“ noch mal anschaute.
Selbst dass die Bayern ein Jahr später im deutschen Wembley-Finale dann doch den Henkelpott holten, konnte diese Wunde nicht heilen. Doch wieder 13 Jahre nach 2012 kam die Chance dazu. Das Finale 2025 findet am 31. Mai nämlich wieder in München statt – im ersten Jahr nach der Format-Reform. Und wieder war es das klare Ziel der Münchener, das Endspiel zu erreichen. Und es diesmal auch zu gewinnen. Wieder haben sie es verpasst. Diesmal vorzeitig.
Vielleicht ist es dadurch kurioserweise etwas weniger schmerzhaft. Doch es wirkt auch wie eine vergebene Chance. Denn von den ganz, ganz großen Namen, von den Siegern der letzten Jahre, ist niemand dabei. Manchester City überstand schon mit Mühe und Not nur die Vorrunde und flog dann in den Play-offs gegen Real Madrid raus. Den Titelverteidiger erwischte es dann im Viertelfinale gegen den FC Arsenal. Der FC Liverpool war schon im Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain gescheitert. Und der FC Barcelona verpasste das Endspiel in zwei begeisternden Spielen gegen Inter Mailand im Halbfinale. Inter hatte eine Runde zuvor durch ein 2:1 und 2:2 die Bayern gestoppt. So werden viele Münchner das Finale ganz dahoam verfolgen. Daheim, vor dem Fernseher.

Erstaunliche Entwicklung
Auf den ersten Blick ist die Endspielpaarung Inter gegen PSG eine seltsame. Erstmals seit 21 Jahren – damals besiegte José Mourinho mit dem FC Porto die AS Monaco ebenfalls auf deutschem Boden in Gelsenkirchen – steht kein Club aus den erfolgreichsten drei Ligen England, Spanien und Deutschland im Finale.
Aber ein ganz namenloses Finale ist es nicht. In der Uefa-Clubrangliste belegen die beiden Teams – nur bedingt schon beeinflusst durch diese Saison – Rang fünf und sechs. Inter gewann die Champions League 2010 mit Mourinho durch ein 2:0 im Finale gegen die Bayern und stand auch gerade vor zwei Jahren erst wieder im Endspiel, als es ein 0:1 gegen Manchester City gab. PSG hatte 2020 schon eine Hand am Henkelpott, verlor aber mit Trainer Thomas Tuchel das Endspiel des Corona-Turniers in Portugal mit 0:1 gegen die Bayern. Danach erreichten die Franzosen noch zweimal das Halbfinale. Nun soll endlich der erste Titel folgen.
Viele traditionelle Fußballfans sehen es mit Genugtuung, dass PSG ausgerechnet in dem Jahr nac

h dem großen Coup greift. Denn nachdem die Pariser das Geld aus Katar jahrelang dafür nutzten, wie in einem Managerspiel große Namen zu kaufen und eine Fantasie-Elf zu basteln, folgte nun ein Umdenken. Mit Lionel Messi, Neymar und Eigengewächs Kylian Mbappé zusammen reichte es nicht. Nun sind nach dem Abgang von Mbappé zu Real im vergangenen Sommer all diese Weltstars weg – und prompt läuft es bei PSG.
Wenn auch nicht auf Anhieb. In der neuen Gruppenphase mit einer 36er-Großtabelle kam das Team von Trainer Luis Enrique schwer rein, verlor bei Arsenal, bei den Bayern und daheim gegen Atlético Madrid und stand nach sechs Spieltagen ganz dicht vor dem Aus. Mit zwei furiosen Siegen, einem 4:2 gegen ManCity und einem 4:1 beim VfB Stuttgart, rettete sich Paris zumindest in die Play-offs. Und nahm den Schwung dann mit. Gegen Stade Brest gab es zwei Siege mit 3:0 und 7:0, dann wurde Vorrundenmeister Liverpool im Elfmeterschießen eliminiert, es folgten mit Überraschungsteam Aston Villa und Real-Bezwinger Arsenal zwei weitere Engländer. „Viele Leute haben nicht an uns geglaubt“, sagte der frühere Dortmunder Achraf Hakimi: „Aber wir sind ein Team, wir sind eine Familie, wir verdienen diesen Moment.“

Trainer Enrique, früherer Mittelfeldspieler von Real und Barça und ehemaliger spanischer Nationaltrainer, lässt in der Offensive talentierte Eigengewächse wie Désiré Doué (19) oder Bradley Barcola (22) ran, der Ex-Dortmunder Ousmane Dembélé (28) ist merklich gereift, der Anführer der jungen Wilden und vielleicht in der Form seines Lebens. In den vergangenen Jahren wurden vielversprechende Offensivspieler aus dem eigenen Nachwuchs wie Moussa Diaby, Christopher Nkunku, Kingsley Coman, Randal Kolo Muani oder Xavi Simons frühzeitig abgegeben – meist nach Deutschland, um Platz für große Namen zu machen.
Inter spielte fast perfekt
Während bei PSG neben Dembélé und Hakimi auch Lucas Hernández (München) und Willian Pacho (Frankfurt) eine Vergangenheit in der Bundesliga haben, bringt Inter viele in Deutschland bekannte Namen mit nach München. Gleich acht ehemalige Bundesligaspieler mit der Erfahrung von 854 Einsätzen im deutschen Oberhaus zählen zum Kader von Trainer Simone Inzaghi. Jung-Nationalspieler Yann-Aurel Bisseck (früher Köln) ist nach Horst Szymaniak, Hansi Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Andreas Brehme, Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann, Matthias Sammer, Lukas Podolski und Robin Gosens der zehnte Deutsche im schwarz-blauen Trikot. Hinzu kommen Torhüter Yann Sommer (früher Mönchengladbach und Bayern), Benjamin Pavard (Stuttgart und Bayern), Josep Martínez (Leipzig), Hakan Çalhanoğlu (Karlsruhe, Hamburg, Leverkusen), Henrich Mchitarjan (Dortmund), Marcus Thuram (Gladbach) und Marko Arnautović (Bremen).

Im laufenden Wettbewerb zeigte Inter fast perfekten Fußball von beiden Enden der Skala. In der Vorrunde boten die Mailänder italienischen Catenaccio in Reinform und kassierten in acht Spielen nur ein Gegentor beim 0:1 in Leverkusen. In der K.-o.-Runde schalteten die Nerazzurri dann um auf Spektakelfußball. Schon in den beiden Spielen gegen die Bayern gab es insgesamt sieben Treffer zu bewundern. Im Halbfinale gegen Barça waren es dann deren 13. Nachdem es nach 90 Minuten zweimal 3:3 gestanden hatte, schoss Davide Frattesi Inter in der 99. Minute ins Endspiel.
Für den Schweizer Sommer ist es gleich in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Finale. Er brachte als Gladbacher Torhüter einst die Bayern in der Arena mehrfach zum Verzweifeln, wurde dann während einer Verletzung von Manuel Neuer 2023 für ein halbes Jahr verpflichtet – und übertrieben kritisch bewertet. Zudem ist es altersbedingt vielleicht seine letzte Chance auf den Titel. „Unglaublich. Ich bin 36 Jahre, nicht mehr der Jüngste. Und jetzt darf ich mit dieser Mannschaft ein Champions-League-Finale spielen. Ich könnte nicht glücklicher sein“, sagte Sommer nach dem Rückspiel gegen Barça , in dem er nach zahlreichen Glanzparaden zum „Man of the Match“ gewählt wurde. Und lobte gleich danach das Kollektiv: „Diese Mannschaft ist etwas Spezielles: extrem viel Moral, extrem viel Glaube.“
Und so dürfte München am 31. Mai doch ein würdiges Finale sehen – auch ohne Engländer und Spanier. Und ohne den gastgebenden FC Bayern.