Tampere zwischen den zwei großen Seen Näsijärvi und Pyhäjärvi galt einst als „Manchester des Nordens“. Heute machen zahlreiche Attraktionen, kulturelle Schätze und viel Natur ringsum die Stadt zum City-Reiseziel Nummer eins für Finnen.
Nur 32 Sekunden dauert die Fahrt im Lift hinauf zur schönsten Rundumsicht auf Tampere. Im Drehrestaurant des Fernsehturms Näsinneula auf der kleinen Halbinsel Särkänniemi im Näsijärvi zieht die Stadt während des Viergangmenüs in Zeitlupe vorüber. Der Panoramablick aus der Vogelperspektive über das Stadtzentrum, die beiden tiefblauen Seen, Wälder bis zum Horizont und den Erlebnispark Särkänniemi an der Spitze der Halbinsel ist phänomenal. Der 168 Meter hohe Fernsehturm gilt seit seiner Fertigstellung im Mai 1971 als ikonisches Wahrzeichen der Stadt, deren Zentrum hohe Fabrikschornsteine und historische Industriebauten aus unverputztem rotem Backstein prägen.
Galerien im alten Fabrikkomplex
Auf der Suche nach einem geeigneten Industriestandort verschlug es den schottischen Maschinenbauer James Finlayson (1772 – 1852), der in St. Petersburg den Aufbau der Baumwollindustrie vorantrieb, 1819 nach Tampere, wo er das Potenzial der Tammerkoski-Stromschnellen als Energiequelle erkannte. Die ein Kilometer langen Stromschnellen verbinden den Näsijärvi im Norden der Stadt mit dem um 18 Meter tiefer liegenden Pyhäjärvi im Süden. Finlayson zögerte nicht lange, gründete am Ufer der Tammerkoski 1820 eine Baumwollfabrik und legte damit den Grundstein für die Textilindustrie in Finnland. Bis Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Unternehmen zu einem gigantischen Fabrikareal, das zu einem eigenen Staat in der Stadt wurde mit Krankenhaus, Schule, Bank, Konsumgeschäft, Polizei, Altersheim und Arbeiterwohnungen. Auch wenn Finlayson die Fabrik bereits 1836 verkaufte und die Produktion längst stillsteht, prangt über dem Hauptgebäude noch immer in großen Lettern sein Name. Heute befinden sich in den alten Gebäuden auf dem weitläufigen Fabrikkomplex Galerien, Läden lokaler Designer, Werkstätten, Bars, Restaurants, Theater und Museen, darunter das Arbeitermuseum, wo die monumentale Sulzer-Dampfmaschine an ihrem Originalstandort von der einstigen Glorie der Textilfabrik zeugt. Mit einem Schwungrad von acht Metern Durchmesser füllt sie die Halle. Nach dem industriellen Strukturwandel in den 1990er-Jahren und dem Zusammenschluss von Universität, Technischer Hochschule und Fachhochschule 2019 zur neuen Universität Tampere, ist Finnlands drittgrößte Stadt zum Zentrum moderner Spitzentechnologie, Forschung, Bildung und Kultur avanciert.
Ein Schokoparadies in der Markthalle
Die mit monumentalen Eisenskulpturen geschmückte Brücke Hämeensilta über die Tammerkoski führt in westlicher Richtung zur Tampereen Kauppahalli, der über 120 Jahre alten Markthalle auf dem Prachtboulevard Hämeenkatu. Kaum hat man das hübsche Jugendstilgebäude betreten, kitzelt der Duft von Köstlichkeiten den Geruchssinn. Leckereien, soweit das Auge reicht: Frische Backwaren, Obst und Gemüse, Gewürze, Fisch und Meeresfrüchte, Käse, Kaffeespezialitäten, Schokolade und allerlei finnische Köstlichkeiten. Ein Bummel durch die Korridore ist ein Fest für Augen, Gaumen und Nase. Die Auswahl an kulinarischen Schätzen ist groß. Man könnte sich den ganzen Tag über in den belebten Korridoren aufhalten und essen ohne Ende … würden da nicht 850 Meter weiter nördlich in den alten Tallipiha-Stallungen noch mehr Leckereien warten. Einst Teil der Finlayson-Fabrikgemeinde, beherbergen die hübschen Holz-Cottages aus dem 19. Jahrhundert heute kleine Läden, darunter das Schokoladengeschäft Tallipihan Suklaapuoti – ein wahres Schokoparadies. Der süße Duft, der einem beim Betreten des Ladens in die Nase zieht, ist zum Dahinschmelzen. Pralinen, so weit das Auge reicht. Helle und dunkle Sorten in allen möglichen Farben und exotischen Geschmacksrichtungen, auch in der veganen Variante. Am liebsten möchte man von jeder Sorte eine kaufen. „Chocolate is the answer, who cares, what the question is“ (Schokolade ist die Antwort, wen kümmert’s, was die Frage ist), steht auf einer Tafel an der Wand. Eben!
Mit außergewöhnlichen Museen geizt Tampere nicht. In der Kongresshalle „Tampere-talo“, einem architektonischen Hingucker aus Granit und Glas, befindet sich das einzige Mumin-Museum der Welt. Die erlebnisorientierte Dauerausstellung zeigt die Originalillustrationen der kleinen nilpferdähnlichen Fantasiewesen der Schriftstellerin und Illustratorin Tove Jansson (1914 – 2001), zahlreiche Dioramen, die Szenen aus der Welt der Mumins zeigen, ein fünfstöckiges Muminhaus, 3D-Tableaus, einen funkelnden Kometen sowie Fotos aus dem Leben der Finnlandschwedin, deren liebenswerte Trollwesen Kinder und Erwachsene gleichermaßen ansprechen. Weniger faszinierend, dafür um so spannender ist das „Spy Museum“ im Untergeschoss des Finlyason-Hauptgebäudes, das damit wirbt, das weltweit erste öffentlich zugängliche Museum zu sein, das sich mit internationaler Spionage befasst – zumindest war es lange Zeit das einzige seiner Art in Europa. Bei einem Rundgang begegnet man den berühmtesten Spionen der Welt, darunter der legendären Mata Hari, dem britischen Doppelagenten Kim Philby und dem amerikanischen Ehepaar Rosenberg, das für die Sowjetunion spionierte und dafür die Todesstrafe erhielt. Aber auch das Konterfei Edward Snowdens, der 2014 als Whistleblower berühmt wurde, prangt von der Wand. Wer mag, kann im Museum einen Agententest absolvieren. Das Ergebnis entscheidet, ob man ein „Empfehlungsschreiben“ für den Einsatz beim MI6, FSB, Mossad, der CIA, Säpo oder Supo erhält.
Rund 60 öffentliche Saunen in der Stadt
Tampere wurde 2018 von der International Sauna Association (ISA) und der Finnischen Sauna-Gesellschaft (Suomen Saunaseura) zur Saunahauptstadt der Welt gekürt. Die Auszeichnung ist den rund 60 öffentlichen Saunen in und um Tampere zu verdanken, unter denen sich mit Rajaportti die älteste noch in Betrieb befindliche Sauna Finnlands befindet. Die Sauna mit getrennten Abteilungen für Frauen und Männer liegt im alten Holzhausviertel Pispala, knapp drei Kilometer nordwestlich des Zentrums, und hat sich seit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1906 kaum verändert. Die Schwitzstube in dem kleinen Steingebäude wird traditionell mit Holz geheizt. Saunaheizer ist der in Tampere lebende deutsche Fotograf Alexander Lembke, der den vier Meter hohen und 1,5 Tonnen schweren Ofen bis zu fünf Stunden lang vor der Öffnung befeuert. Saunameister wie in Deutschland, die für Aufgüsse zuständig sind, kennt man in Finnland nicht. Regeln rund um die Sauna, Duftöle, Rituale und Wellness-Chic ebenso wenig. Und: Finnen schauen beim schwitzigen Beisammensein vor allem nicht auf die Uhr. Sie bleiben so lange in der Sauna, wie sie es für richtig erachten. Seien es nun fünf Minuten oder eine halbe Stunde.
Was der Central Park für New York ist, das ist Pyynikki für Tampere: die grüne Oase der Stadt. Sie liegt gerade mal 15 Busminuten vom Zentrum entfernt. Wer das Treppensteigen nicht scheut, beginnt die Wanderung über die steilen Holztreppen in Pispala – ist man oben angekommen, ist es nur noch ein Katzensprung bis Pyynikki. Der idyllische Park im gleichnamigen Stadtteil liegt in einem herrlichen Kiefernwald auf dem Pyynikinharju, dem größten Esker der Welt, der während der Eiszeit entstanden ist. Bevor Pyynikki 1993 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, war der heutige knapp vier Kilometer lange Naturlehrpfad im Park zwischen 1932 und 1971 eine Piste für Motorradrennen, auf der in den 1960er-Jahren der „Große Preis von Finnland“ für Motorräder ausgetragen wurde. Highlight ist der knapp 30 Meter hohe Aussichtsturm „Pyynikin Näkötorni“ aus rotem Granit, der 1929 zum 150. Geburtstag der Stadt eingeweiht wurde. Hundert gewundene Treppenstufen führen hinauf zur schmalen Aussichtsplattform, die einen unschlagbaren 360-Grad-Blick auf die Wälder, Seen und die Stadt bietet. Für manche gibt es allerdings nur einen einzigen Grund, zum Turm zu wandern: die „Munkki“ – die Krapfen im Café des Turms, gelten als die besten in ganz Finnland. Sie werden auch in der veganen Variante angeboten. Der Turm und das Café sind an allen 365 Tagen des Jahres von 9 bis 20 Uhr, im Sommer bis 21 Uhr geöffnet. Nur an Mittsommer und Heiligabend wird schon um 16 Uhr geschlossen. Genügend Zeit, um sich für die Feiertage mit den zuckersüßen Teilchen einzudecken.