Die EU muss sich bekanntlich mit viel Kritik an Institutionen und Regelungen auseinandersetzen. Es geht auch anders. Wie Europa gelingen und wachsen kann, dafür liefern die Europäischen Schulen ein eindrucksvolles Beispiel.
Auf dem Schulhof in der großen Pause herrscht laute Lebendigkeit. Wie an vielen Schulen. Der erste flüchtige Blick lässt kaum vermuten, dass es hier wesentlich anders zugeht als an anderen Orten. Dabei ist es eine Schule, die in dieser Form bislang ziemlich einzigartig ist.
Die Europäische Schule ist zwar längst nicht die einzige, aber das Saarland hat bei der Einrichtung einen besonderen Weg gewählt. „Es ist die erste Europäische Schule, die in Deutschland staatlich ist“, sagt Schulleiter Hubert Jung. Normalerweise sind die Europäischen Schulen in Deutschland privat. „Das Saarland ist diesen Weg gegangen, weil man gesagt hat: Wir wollen eine Schule, die zugänglich ist für alle. Kinder aus der Stadt oder dem Regionalverband Saarbrücken haben natürlich Zugang. Wir sind staatlich, erheben also keine Gebühren.“ Eine weitere saarländische Besonderheit ist, dass die Lehrpläne mit den saarländischen abgestimmt sind. „Das ermöglicht auch eine gewisse Durchlässigkeit, wenn ein Kind – aus welchen Gründen auch immer – auf eine andere Schule wechselt. Es gibt also eine Anschlussfähigkeit“, erläutert Jung.
Aber vor allem ist die Schule natürlich „äußerst international zusammengesetzt, mit mehr als dreißig Nationalitäten. Wir haben entsprechenden Zulauf von Firmen, die eine mobile Mitarbeiterschaft haben“. Und der Bedarf ist groß: „Wir haben wöchentlich drei bis vier Beratungsgespräche mit Menschen in ganz unterschiedlichen Regionen, von Südamerika bis Südkorea, und natürlich alle Länder in Europa.“
Dass die Schule international-europäisch ausgerichtet ist, macht sich natürlich an den Lehrplänen und der Gesamtkonzeption fest. So sind „Europäische Stunden“ fest verankert. Dazu gehören auch Projektwochen, die seit vorigem Schuljahr auch von der Asko Europa-Stiftung mitgestaltet werden.
Europa – das ist eine Haltung
„Projektorientiert und schülerzentriert“ sind die großen Überschriften dabei. Da geht es „um ganz viel Kulturelles, das fängt beim Essen und bei Begrüßungsformeln an, implizite Formen des Umgangs – um alles, was mit dem Leben zu tun hat“.
Über allem steht für Hubert Jung: „Der europäische Gedanke – das ist eine Haltung.“ Und die soll sich im gesamten Schulalltag widerspiegeln. „Wir versuchen, Werte zu vermitteln wie Respekt, Wertschätzung, Achtung gegenüber anderen Nationalitäten, Kulturen, Gepflogenheiten.“
Und das wird in der täglichen Praxis dieser Schule mit ihrer besonderen Schülerschaft greifbar. „Das ganze Jahr über kommen immer wieder Kinder dazu. Die werden direkt aufgenommen, es ist nicht komisch, dass neue dazukommen. Es ist auch selbstverständlich, dass man immer mal wieder neu anfängt. Das ist gelebte europäische Haltung. Eine Europäische Schule kann damit umgehen, dass Kinder kommen und gehen, weil die Eltern beruflich viel unterwegs sind. Das sind dann oft spannende Biografien, entsprechend ist auch die Interaktion. Wir sind dann oft auch nicht die erste Station.“ Gelebte europäische und internationale Mobilität.
Zum Konzept der Schule gehört folglich auch die Zusammenarbeit und Kooperation mit Partnern, die sich ebenso der europäischen Idee verschrieben haben und in diesem Bereich aktiv sind, konkret etwa bei den Projekttagen mit der Asko Europa-Stiftung und deren Start-Stipendiaten. „Es liegt ja auf der Hand: Da ist Europa, da ist der Projektgedanke, da ist das gemeinsame Denken über Grenzen hinweg, Offenheit und Neugier.“
Die Europäische Schule ist nach drei Jahren immer noch in der Aufbauphase. Europäische Schulen haben fünf Primarschuljahre und dann sieben Sekundarschuljahre. „Wir haben im ersten Jahr sowohl in der Klasse P1 (P steht Primary) und P5 Schüler aufgenommen.“ Zum nächsten, dem dann vierten Jahr, wird damit die Lücke zwischen dem Primar- und dem Sekundarbereich geschlossen.
Aktuell besuchen rund 220 Schülerinnen und Schüler die Europäische Schule mit ihren zwei Sektionen, der englischsprachigen und der deutschsprachigen Sektion. In der englischsprachigen Sektion, in der die internationalen Kinder sind, wird Englisch als Muttersprache unterrichtet. Wobei in beiden Sektionen direkt ab der ersten Klasse die erste Fremdsprache angeboten wird. „Wir bieten Englisch, Französisch und Deutsch an. Also können englische Sektionskinder direkt ab der ersten Klasse Deutsch oder Französisch wählen“, erläutert Jung. Und das zieht sich dann komplett durch. „Kinder an Europäischen Schulen können in ihrer Schullaufbahn bis zu fünf Sprachen lernen. Das ist eine ganze Menge – und das zeichnet Europäische Schulen aus: Multilingualität (Vielsprachigkeit) und Interkulturalität. Dass man das bei uns alles in einer Schulform durchgängig machen kann, das ist schon was Besonderes.“
Dabei gilt für das Netz Europäischer Schulen ein „sehr verlässlicher, klar definierter Grundrahmen“, betont der Schulleiter. In Brüssel gibt es das Generalbüro der Europäischen Schulen. Von da aus kommen alle Vorgaben, beispielsweise auch die Stundentafeln, und von dort wird auch das Netzwerk gesteuert, in dem alle Europäischen Schulen in den 27 Mitgliedsstaaten sind.
Wobei man unterscheiden muss: Es gibt die Europäische Schule vom Typ 1, etwa in Brüssel für die Kinder der Beschäftigten der Europäischen Institutionen. „Das ist immer offener geworden. Daraus hat sich das Netz der akkreditierten Europäischen Schulen entwickelt. Damit hat man ein verlässliches Grundgerüst, eine stabile gute Organisation. Das lässt sich auch gut abstimmen mit dem nationalen System, wie wir es hier aufbauen.“
Für alle zugänglich
Am Ende steht ein europäisches Abitur, das international hoch anerkannt ist. Man ist also gut eingebunden in ein stabiles Netzwerk, „und wir sind auch untereinander gut vernetzt“. Jung verweist auf viele Treffen, online oder an festen Orten, die es für Fachbereiche ebenso gibt wie für einzelne Lehrkräfte, natürlich auch für die Direktoren. „Das System hat eine gesunde Transparenz und Vergleichbarkeit.“ Es gibt ein Bewertungssystem, genau genommen sogar drei Bewertungssysteme.
Es gibt auch Mobilitätsprogramme (die in Saarbrücken noch nicht greifen, weil die Kinder noch zu jung sind). Das heißt, Kinder können für eine Weile an eine andere europäische Schule und dann wieder zurückkommen. Das geht auch deshalb gut, weil alle mit den gleichen Lehrplänen arbeiten – „mit kleinen Besonderheiten, die wir als staatliche Saarländische Schule einbringen“, hebt Hubert Jung hervor. Am Ende schreiben die Kinder ein gemeinsames Abitur – ein europäisches Zentralabitur.