Wenige Wochen vor dem diesjährigen Veganuary hat in Berlin-Prenzlauer Berg die „Vegane Fleischerei“ eröffnet. Dort können diverse Wurst- und Fleischklassiker sowie Fisch- und Käsesorten erstanden und gekostet werden – natürlich hundertprozentig pflanzlich.
Der Jahreswechsel ist vorbei. Das frisch angebrochene neue Jahr nimmt der ein oder andere zum Anlass, schlechte Gewohnheiten zu ändern. Alle, die sich 2025 vielleicht auch bewusster ernähren wollen, können den sogenannten Veganuary dazu nutzen. Der Begriff ist ein Kofferwort, zusammengesetzt aus ‚vegan‘ und dem englischen ‚january‘ (Januar). Er beschreibt einen Aufruf und eine Kampagne einer gemeinnützigen Organisation, die vor etwa zehn Jahren von den Engländern Jane Land und Matthew Glover gegründet wurde. Ihr Ziel ist es, Menschen weltweit dazu zu ermutigen, im Januar sowie im Rest des Jahres eine rein pflanzliche Ernährung auszuprobieren. Befürworter der veganen Ernährung nennen vielerlei Gründe, auf Fisch, Fleisch, Eier und Milchprodukte zu verzichten. Dazu zählen die eigene Gesundheit und die Vermeidung von Tierleid beispielsweise durch die Tierhaltung und Schlachtung. Auch Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung gehören mit zu den Motiven, sich vegan zu ernähren.
Soja, Seitan und Erbsenprotein
Auch die „Vegane Fleischerei“ in Prenzlauer Berg bietet ihren Kunden Pflanzliches. Die deftigen Gerichte des Lebensmittelladens an der Kastanienallee in Prenzlauer Berg basieren auf Soja, Seitan oder Erbsenprotein. Der Begriff Fleischerei ist natürlich eine Anspielung auf die tierischen Produkte, die den veganen Alternativen in puncto Geschmack und Konsistenz als Vorbild dienen.
Bei meinem Besuch an der Kastanienallee 40 staune ich nicht schlecht. Anstelle einer klinisch-kalten Schlachthausatmosphäre, wie man sie noch in vielen konventionellen Fleischereien vorfindet, ist das Ambiente hier sehr stilvoll. Schwarze Lampen, schwarz gestrichene Wände und dazu schneeweiße Kacheln. Das Interieur wirkt so elegant, dass es mich eher an ein Designer-Studio erinnert als an einen Lebensmittelladen. Klar wird: Hier ist der Zeitgeist längst eingezogen.
Hinter der Glasvitrine erblicke ich allerhand Aufschnitt von Wurst- und Käsealternativen, Braten, Steaks und Buletten, während sich in den Regalen verschiedene Soßen und Feinkostgerichte in Gläsern aneinanderreihen. Dazu zählen unter anderem auch Fischersatz, vegane Bolognese, pflanzliche Soljanka oder Szegediner Gulasch auf Jackfruit-Basis. Da ich unsicher bin, was ich kosten soll, überlasse ich dem Geschäftsführer die Qual der Auswahl.
Simon Basaglia kennt sein Sortiment, und im Gespräch mit ihm stellt sich heraus, dass der gebürtige Italiener ein echter Überzeugungstäter ist. „Ich vermisse Fleisch und tierische Produkte überhaupt nicht“, erzählt er. Seine Frau und er haben bis vor einigen Jahren sowieso kaum noch Fleisch gegessen, zuletzt nur noch Hühnerfleisch. Und auch auf das haben sie schließlich problemlos verzichten können, erinnert er sich.
Der Wahlberliner ist vor fünf Jahren in die deutsche Kapitale gezogen und hat zunächst in der Kreuzberger Pizzeria „Sironi“ gearbeitet, bevor er Filial- und dann Produktionsleiter in der „Vetzgerei“ wurde. Das 2017 eröffnete Lebensmittelgeschäft war die erste vegane Metzgerei – nicht nur in Berlin, sondern auch deutschlandweit. Als sie im Frühjahr vergangenen Jahres dauerhaft schloss, war für Simon Basaglia klar, dass er weiter vegane Produkte verkaufen wollte.
Weitere Standorte in Deutschland
Er kam mit den Machern der „Veganen Fleischerei“ in Dresden ins Gespräch, die im Jahr 2023 ihren Laden eröffnet hatten und ein Franchise-Konzept anbieten. Mittlerweile gibt es auch Standorte in Augsburg, München und Hamburg.
In der Zwischenzeit hat das Dresdener Lebensmittelunternehmen einige Preise gewonnen. Dazu zählen im vergangenen Jahr der „Vegan Food Award“ der Tierschutzorganisation Peta und der „Smekul-Zukunftspreis“ des Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. In Dresden ist auch die Produktionsstätte, die Simon Basaglias Laden an der Kastanienallee beliefert. Hinzu kommen vereinzelt weitere europäische Lieferanten wie etwa der niederländische Produzent „Max&Bien“, der auf vegane Käsesorten spezialisiert ist.
Von dem Keese oder Cheeze – wie die vegane Alternative zumeist bezeichnet wird – landet auch einiges auf meinem Teller: Hier ein Stückchen Vamenbert, da ein Häppchen vom Blauschimmel und hier noch zwei Sorten Hart-Keese. Ich koste und bin erstaunt über die Konsistenz des weichen Pflanzenkäses. Die Textur des auf Cashewnuss-Basis hergestellten Käses ist genauso wie bei konventionell hergestelltem Weichkäse. Die Textur der beiden pflanzlichen Hartkäsesorten aus Kokosnussöl hingegen überzeugt mich weniger. Ich finde echten Gouda, Edamer oder Cheddar aus Kuhmilch immer noch zarter und schmelziger. Dafür ist Hart-Keese mit Kräutern und Zwiebeln besonders aromatisch und wirklich lecker.
Die eigentliche Überraschung meines Besuches stellen indes die pflanzlichen Fleisch- und Wurstsorten dar. Ich bin wahrlich kein Fan von Salami, Jagdwurst und Co. und schon seit Jahrzehnten wurstabstinent. Und wenn ich das Wort Leberkäse nur höre, vergeht mir schlagartig der Appetit. Mein Gesprächspartner jedoch empfiehlt mir die pflanzenbasierte Brühwurst: „Das ist der Renner bei uns“, sagt er. Zwar hätte ich lieber den veganen Lachs, den Simon Basaglia ebenfalls in höchsten Tönen lobt. Doch die Fischalternative auf Basis von Karotten und Pilzen, die mithilfe eines 3D-Drucker hergestellt wird, ist an diesem Tag schon ausverkauft – leider! So beiße ich stattdessen halb skeptisch, halb neugierig in ein Brötchen mit warmem Leberkäse beziehungsweise mit dem veganen Imitat der Brühwurst. Was soll ich sagen? Der kleine, deftige Imbiss schmeckt richtig, richtig lecker. Der Fleischersatz ist bissfest und zugleich geschmeidig. Und sein Geschmack ist sehr umami. Auch der Aufschnitt aus Lyoner Wurst und Salamisorten, den mir der überzeugte Veganer auf den Teller legt, schmeckt fantastisch. Vor allem die Fenchelsalami auf Basis von Weizengluten, Rapsöl und Sojabohnen ist raffiniert gewürzt und entfacht ein kleines Gaumenfeuerwerk in meinem Mund.
Lachs aus dem 3D-Drucker
Simon Basaglia berichtet mir noch, dass die Produkte, soweit möglich, zwar Bio-Qualität hätten, aber keine entsprechende, offizielle Zertifizierung. Eine Bio-Zertifizierung sei sehr kostspielig, was sich dann auch in den Endverkaufspreisen widerspiegelt, so der Experte. „Uns ist es wichtiger, unseren Kunden vegane Alternativprodukte zu fairen Preisen anzubieten“, sagt er.
Simon Basaglia nimmt den ersten Monat des neuen Jahres übrigens auch zum Anlass, um seinen Kunden den Veganuary so richtig schmackhaft zu machen. Nach italienischem Vorbild soll an mehreren Abenden ein Aperitivo stattfinden. Die Aperitivo-Kultur des Mittelmeerlandes lässt sich als eine Art kleines Abendessen vor dem eigentlichen Abendessen beschreiben: Die Menschen kommen am frühen Abend in Bars und Restaurants zusammen und genießen dabei ein paar After-Work-Drinks und ein paar Snacks. Gleichzeitig will Simon Basaglia während des „Dry January“ alkoholfreie Drinks anbieten. „Das passt gut zusammen“, findet er. Nun muss nur noch Petrus mitspielen, und es darf nicht allzu kalt werden. Denn die „Vegane Fleischerei“ hat keinen eigenen Gastraum. Wenn es noch nicht zu voll ist, können zwei, drei Gäste auch drinnen an der Stehtisch-Bar am Fenster ihrem Aperitivo Italiano frönen.
Am Ende gibt mir Simon Basaglia noch eine Dose ‚falschen‘ Fisch mit: „No Tuna“, steht auf dem Etikett – kein Thunfisch. „Zusammen mit Zitronenschalen, Pfeffer, Salz und Fettuccine schmeckt das wunderbar“, schwärmt mir der Italiener vor. Der Trick dabei sei, etwas von dem Wasser, in dem die Pasta gekocht worden sei, an die Thunfischsoße zu geben. „Die Stärke des Nudelwassers ist ein perfektes Bindemittel“, weiß er. Spannend. Das werde ich in den nächsten Tagen zu Hause tatsächlich einmal ausprobieren.