Ohne bürgerliches Engagement wäre die Flüchtlingshilfe in Deutschland längst zusammengebrochen. Doch dort erodiert die Hilfsbereitschaft. Das betrifft vor allem das private Unterkommen.
Die Nervosität vor einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Wilmersdorf ist spürbar. Ein Reporterteam von FORUM hat sich eingefunden, macht Bilder des Gebäudes von außen. Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern kommt dem Team entgegen, wird mit dem Wunsch nach einem Interview angesprochen. Die junge Frau aus Eritrea spricht Deutsch. Wie sich herausstellt, wohnt sie bereits seit zwei Jahren hier in dem ehemaligen Bürogebäude einer Versicherungsgesellschaft, hat sich ihre Sprachfertigkeit mehr oder weniger selbst beigebracht.
Dann plötzlich kommt Hektik auf. Drei Sicherheitsmitarbeiter der Unterkunft greifen ein, stellen das Reporterteam zur Rede. Nur eine Minute später treffen zwei Polizeiwagen mit Blaulicht ein. Die Situation ist schnell geklärt. Wie sich herausstellt, gilt eine Flüchtlings-Unterkunft als hochrisikogefährdet. Die Polizei wurde alarmiert, um zu verhindern, dass der Gebäudekomplex bildlich ausspioniert wird, um womöglich einen Brandanschlag zu verüben. Dann geht es aber auch um den Umstand, dass die junge Mutter aus Eritrea Opfer einer Anwerbung zur Prostitution werden könnte. Alle Bilder auf der Kamera müssen gelöscht werden.
In Unterkünften nahezu abgeschirmt
Diese Szene von Ende Mai beschreibt, wie angespannt die Situation auch von Geflüchteten in Deutschland ist. Nicht nur die hier Wohnhaften leben in einer Blase, sondern auch die, die hier ihre Zukunft gestalten wollen. Sie sind in ihren Unterkünften nahezu abgeschirmt. Wie soll Integration da gelingen?
Immer wieder tauchen Schlagzeilen auf, Geflüchtete würden nur in Parks rumlungern und den ganzen Tag nichts tun. Viele von ihnen würden vermutlich gern etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anstellen, sprich arbeiten gehen. Aber sie dürfen nicht. Nur wer eine Duldung hat, darf arbeiten.
Sichtlich müde schiebt Rachnav aus Libyen am Sonntagmorgen um kurz nach drei seine noch leere Zeitungskarre durch die menschenleeren Straßen in Berlin-Schöneberg. Auch er will keine Fotos von sich in der Zeitung sehen. „Keine Bilder, keinen Ärger mit Behörden“. Der 28-Jährige muss zum Ladestützpunkt, dort steht ein Kleintransporter. Große Zeitungspakete werden abgeworfen, die Rachnav dann einzeln sortiert, um sie den Abonnementkunden in den Hausbriefkasten zu stecken. Die Zeitungskarre darf er mittlerweile im Hof seiner Unterkunft parken, einem typischen Containerdorf für Flüchtlinge. Das ist für ihn wichtig. Denn für seinen Hand-Kleintransporter musste er 30 Euro Kaution hinterlegen. Rachnav ist 2020 über das Mittelmeer nach Deutschland gekommen und gehört inzwischen zu den glücklichen Geduldeten. Er hat einen Job, wenn auch nur für drei Stunden am Tag und das mitten in der Nacht. Aber sein Tag hat Struktur, nachdem er zwei Jahre zum Nichtstun verurteilt war und außer wenig erquicklichen Amtsgängen nichts tun konnte.
Private Integration gelungen
Rachnav ist geduldet und darf arbeiten. „Ich habe über zwei Jahre einfach nur herumgesessen und gewartet, dass ich hier endlich mitarbeiten kann. Ich will kein Geld geschenkt haben, ich kann für mich alleine sorgen, wenn man mich denn lässt“. Rachnav ist aber weiterhin im wahrsten Sinne des Wortes „Zeitarbeiter“, und das nicht nur für die Arbeitsvermittlungsagentur, sondern auch, was seinen endgültigen Verbleib in Deutschland betrifft.
Dass die Eingliederung von Geflüchteten offenbar durch bürgerliches Engagement wesentlich besser funktioniert, belegt ein Beispiel aus dem Münsterland in Nordrhein-Westfalen. Andre Sahorn ist in der Hilfe für die Ukraine bereits seit 20 Jahren aktiv. Seit anderthalb Jahren, also dem russischen Überfall, ist er nun ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer. Die Beweggründe des 50-Jährigen aus Saerbeck sind einfach erklärt. Sein Vater stammt aus der Ukraine, gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg als verschleppter Kriegsgefangener zu den „Displaced Persons“ und wurde im Münsterland sesshaft. Andre Sahorn hat seit dem 24. Februar vergangenen Jahres mehr als 20 Geflüchteten privat geholfen. Derzeit sind in seiner Mietwohnung noch eine ukrainische Mutter mit zwei kleinen Kindern und deren Oma untergebracht. Sein Fazit: Ohne privates Engagement von Tausenden von Mitbürgern hätte die Aufnahme von mehr als einer Millionen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine niemals funktioniert. Alle, denen Sahorn geholfen hat, sind durch privates Engagement untergekommen, doch ähnlich wie in den staatlichen Unterkünften, sind auch hier nicht nur die finanziellen-, sondern auch die humanitären Kapazitäten begrenzt. Die beiden Kinder seiner Flüchtlingsfamilie, drei und acht Jahre alt, sprechen mittlerweile beinahe perfekt Deutsch. Das entscheidende Moment für eine, zukünftig, gelungene Integration. Wenn ein Staat seine Gäste willkommen heißt, dann muss er sich auch vernünftig um sie kümmern, sagt Andre Sahorn.