In der Oberpfalz finden Einsteiger und Genießer den optimalen Flow. Die rund 100 Kilometer auf der Naab zwischen Luhe-Wildenau bei Weiden und Regensburg versprechen entspanntes Paddeln.
Früher oder später kommt immer ein Wehr. Das ist beileibe kein Grund zur Panik. Man wird dank Schildern stets rechtzeitig darauf hingewiesen, wann und auf welcher Flussseite man aussteigen und das Boot umtragen muss. Danach heißt es, mit Bedacht wieder einsteigen, indem man das Doppelpaddel auf die Uferkante und hinter den Sitz legt, beide Hände rücklings darauf stützt und erst ein Bein, dann das andere ins Kajak hebt. Aber warum Standard, wenn auch Premium geht? Also besteige ich in Stegen bei Zielheim das rote Polyethylen-Gefährt bereits an Land, auf einer mit rund einem Meter lächerlich geringen Erhöhung. Lass mir einen Schubs geben und – hui – geht es kurz durchs rutschige Gras in den Fluss. Lustig! Allerdings taucht die Kanuspitze unerwartet spitz ein, was für ein überraschendes Drehmoment sorgt. Der Versuch, sich mit dem Paddel abzustützen, schlägt fehl, dafür schlägt der Arm ins Wasser. Ergebnis: Der linke Hemdsärmel ist nass, das Ego angekratzt. Okay, immerhin bin ich nicht gekentert, das Boot schwimmt (und, ja, im Fußbereich schwimmt es auch). Geplant war das Naab-Comeback galanter. Halt so wie kurz davor bei Luisa …
Zugegeben: Die 21-jährige Oberpfälzerin hat mehr Erfahrung. „Seit ich denken kann, bin ich auf dem Wasser unterwegs.“ Luisa Glaab, so ihr voller Name, hält gar einen Junioren-Rekord. 1.515 Kilometer legte sie als 14-Jährige in einem Jahr paddelnd zurück. Sei es allein, mit der Familie oder mit den rund 100 Mitgliedern „ihres“ Kanu-Clubs Schwandorf, auch so eine Art Familie. Bei Festen und Fahrten erlebt man schließlich viel zusammen, erst recht bei längeren Trips wie auf der steirischen Salza, pures Wildwasser.
Als solches lässt sich die Naab wahrlich nicht bezeichnen, eher als leichter Wanderfluss. Da bräuchte es eigentlich keinen Guide, dank eindeutiger Wegführung und Top-Kartenmaterial via Flyer oder „Canua“-App. Dennoch sind wir happy, Luisa an Bord zu haben. Für Hintergrundinfos zur Region und zum Deutschen Kanu-Verband, in dem sie sich als 1. Vorsitzende Jugend engagiert.
Als Paddelrevier steht die Naab im Schatten anderer, insbesondere der populären Altmühl mit ihrer Top-Infrastruktur. An der etwas schnelleren Naab fällt diese spärlicher aus, Stichworte wassernahe Campingplätze und Bootsverleiher. In puncto Landschaft und Erlebnis kann sie aber locker mithalten. Da kommen auf 100 Kilometern fünf abwechslungsreiche Tagesetappen zusammen. Wir steigen bei Etappe zwei ein, in Nabburg. Das besuchen die meisten wegen der mittelalterlichen Altstadt, andere wegen der Tattoo-Conventions, ein paar wegen des Mikroabenteuers Flusswandern.
Unser Abenteuer beginnt mit starkem Regen. Luisa meinte zwar vorab, dass man beim Paddeln grundsätzlich nass werde. Aber Gewitter auf dem Wasser? Kein Spaß. Also abwarten und Tee trinken. Dann auf zum zweiten Versuch, auf zur Nordgauhalle, wo Luisa, Vereinskollegin Lisa und drei Kajaks warten. Plus Vorbereitungsarbeiten wie Gepäck in die „Kajakkofferräume“ verstauen. Und uns in XL-Regenlatzhosen. Mit Blick zum Himmel diskutieren wir, ob die Wolken weiteren Regen bringen könnten (was sie nicht tun). Keine Diskussion gibt es bei den Schwimmwesten. „Die gehören einfach dazu“, meint Lisa. Und wie funktioniert die Spritzdecke? Knöpft man an die Hose und spannt sie, wenn man sitzt und die Füße ausgestreckt hat, mit Schmackes über das Oval, auf dass kein Wasser hineinkommen möge (ein Trugschluss, wie ich beim Beinahe-Kentern erfahren muss). Dann legen wir ab. Lisas Abschiedswunsch: „Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!“
Zeit, um die Natur zu beobachten
Dann klärt uns Luisa auf: Kajaks sind Kanus. So wie Kanadier. Aha. Und das Doppelpaddel – lockerer Griff, die konkaven Seiten im Blick – sticht man weit vorne ein und zieht es bootsnah etwa bis auf Pohöhe. Gleichzeitig den anderen Arm gradlinig ungefähr auf Augenhöhe nach vorne drücken. Es folgen Testschläge. Vor, zurück, Schnellbremsung, passt. Was auch gut ist: Die nahe Autobahn hört und sieht man nicht, zumindest nicht auf den ersten Kilometern. Auf denen geht es munter dahin, dank leichter Strömung und starker Motivation. Dafür sorgen auch Buhnen: große Steine, die eine Art Minislalom bilden. Der lässt sich locker meistern, auch manche Stromschnelle. Alles andere als wild, aber wir lernen: Tut man nichts, droht ein Drehwurm oder das Uferdickicht. Oder mal keine Handbreit Wasser unterm Kiel und man muss sich freiruckeln.
Einmal verinnerlicht, läuft das Paddeln automatisiert – mehr Zeit für Naturbeobachtung. Und da gibt es zwischen Seerosen und allerlei Baumarten viel zu entdecken. Nicht zuletzt dank des nahen Charlottenhofer Weihergebiets kommen einem neben Enten und Graureihern auch Rohrdommeln und Eisvögel vor die Linse. Wer sich kaum blicken lässt: andere Paddler. „Die Naab haben noch nicht viele entdeckt“, bestätigt Luisa. Was wir dafür ständig entdecken, sind Angler, meist mit Tarnfleck und Zelt auf Waller- und Karpfenjagd. „Paddler sind die natürlichen Feinde der Angler“, meint Luisa. Klar, weil sie mitunter in die schwer sichtbaren Leinen fahren. Wir nicht.
Entspannt geht es flussabwärts, mal in engen, mal in weiten Kurven, mal geradeaus. Die Naab ist aber stets so breit, dass wir zu dritt nebeneinander fahren könn(t)en. Auch landschaftlich bewegt sich alles im grünen Bereich. Hier Schilf in Altarmen, dort stattliche Äste, unter denen man – Achtung, mutiges Manöver! – durchwitscht.
Es gibt Momente, da wähnt man sich sehr weit weg. Bis einen das Brummen der Autobahn aus Regenwaldträumen reißt. In Schwarzenfeld folgt die erste Aus- und Wiedereinsteigeprüfung an zwei Wehren. Wird gemeistert und mit einer Brotzeit aus dem „Kofferraum“ belohnt. Eine weitere Belohnung wartet am Nachmittag in Gestalt der zwei kleinen Bootsrutschen beim Hollerwehr. Die sind so schmal, dass man das Paddel in die Höhe heben muss. Aufregend, aber harmlos.
Leichten Puls verspricht auch das nahe Fronberg-Wehr, das man – alles so lieblich hier, inklusive grünen Inselchen – gar nicht als solches erkennt. Wohl aber den Sog spürt, der auf einigen Bootslängen zum beherzten Einstechen beim Queren Richtung Naab-Altarm animiert. Dort wartet das heutige Finale: Wir rauschen die nächste Rutsche hinunter, um direkt hinter dem Kehrwasser an dem von viel Grün umrankten Schwandorfer Kanu-Club-Gelände anzulegen – und die Zelte aufzuschlagen.
Der Tag beginnt mit Bratkartoffeln
Der Platz liegt grandios: mitten in der Stadt, mitten am Fluss. Mit sauberen Duschen, aber ohne Dauercampermief. Schließlich können hier gerade mal ein, zwei Dutzend Leute schlafen. Selbst Nichtmitglieder eines Kanu-Clubs zahlen weniger als einen Zehner. Der (wechselnde) Übernachtungsbeauftragte gibt uns nicht nur den Schlüssel fürs Tor, sondern auch Gastro-Tipps. Die „Gaststätte Baier“ etwa ist dank Uferterrasse ideal für alle, die selbst nach 20 Kilometern nicht genug vom Fluss haben. Drei Gehminuten in der anderen Richtung wartet die Altstadt mit Cafés, Restaurants, einem Irish Pub. Im Untergrund schlummert Bayerns größtes Felsenkellerlabyrinth.
Kann ein Tag schöner beginnen als mit Bratkartoffeln und „Cowboykaffee“ in der Sonne? Eben. Da stecke ich es auch weg, dass die erste Flussetappe eher mau ausfällt. Der ruhige Altarm weitet sich schon bald zu einer Art Stausee. Kaum Strömung, dafür Gegenwind. Wir überlegen, in Naabeck anzulanden – viel wurde von der Schlossbrauerei geschwärmt. Doch das ist angesichts fehlender Anlegepunkte nicht so leicht, zudem haben wir noch einiges vor. Also rasch weiter, die Kulisse ist eh nicht so schmuck. Doch bald lassen wir Strommasten, Kieswerke und das wuchtige Bayernwerkhaus des Ex-Braunkohlekraftwerks hinter uns und fühlen uns wieder wie Naturforscher.
Der Langsitz macht mir auf Dauer zu schaffen. Immer wieder Anflug von Beineinschlafpanik. Dann schnell die Spritzdecke weg und ein Bein hoch. Aber Achtung, erhöhte Kippgefahr. Wie peinlich wäre das bitte vor Luisa? Für die ist langes Sitzen bekanntlich ein Klacks, aber für muskelverkürzte Körperklause wie mich eine Herausforderung. Ich gebe zu: Es gibt Momente, in denen ich mich auf die Sitzbank eines Kanadiers wünsche. Diese Fortbewegung ist auf der Naab ja ebenfalls möglich, erst recht auf dem noch ruhigeren Unterlauf bis Mariaort an der Donau. Doch Luisa erinnert an die Kajak-Vorteile: „Schneller, schnittiger, sportlicher“. Und man ist näher dran am Wasser, an den Seerosen, Libellen, Schwänen.
Besonders viel los ist da zwischen Zielheim und Burglengenfeld, „für mich einer der schönsten Abschnitte auf der Naab“, sagt sie. Wir stimmen zu, so schön schlängelt sich der breiter werdende Fluss durch die sanft-hügelige Landschaft. Es ist aber auch schön, als wir in Burglengenfeld ankommen, der Heimat der größten Burganlage der Oberpfalz. 25 Paddelkilometer gehen in die Arme! Zum Bootraufwuchten auf den von Luisas Eltern geparkten Anhänger – „Logistik ist beim Paddeln das A und O!“ – reicht die Kraft noch. Und für eine abendliche Besichtigung von Kallmünz, Beiname „Perle des Naabtals“.
Als wir von der Terrasse einer Trattoria in den Sonnenuntergang blicken, sehen wir einen Storch durch die schilfbewachsene Staustufe staksen, dahinter einen Paddler mit Stirnlampe. Ob der heute noch zum Kloster Pielenhofen will? Gar bis Regensburg? Wohl kaum. Wir verschieben diese Etappe ebenfalls aufs nächste Mal.