Medikamententests kennen viele Menschen nur vom Hören. Aber wie lebt es sich als Versuchskaninchen? Eine Studie zu einem neuen Diabetes-Medikament hatte ungeahnte Nebenwirkungen.

Corona brachte für uns alle unerwartete Probleme. Eines davon: Während der Pandemie fuhr ich seltener zur Arbeit als sonst, monatelang gar nicht und dann auch noch mit dem Auto, statt sonst mit der Bahn plus Fußmarsch. Auch Spazierengehen war ja zeitweise sogar alleine untersagt, wenn man sich keinen Hund dazu auslieh. Also fehlte es an körperlicher Bewegung. Die Folge: Mein Hausarzt, der mich vorher gewarnt hatte, dass ich an der Grenze zum Diabetes stehe, eröffnete mir bei der nächsten Untersuchung, dass ich nun nicht mehr an der Grenze sei, sondern weit darüber hinaus und zum Diabetiker geworden sei. Immerhin genügte bei mir Metformin und das Ende der Lockdowns, um den Blutzucker zumindest wieder vom roten in den gelben Bereich herunterzubekommen.
Corona führte auch zu massiven Einnahmeausfällen – mein Hauptarbeitgeber ging in Kurzarbeit. Das musste ich durch zusätzliche selbstständige Arbeit wettmachen. Das gelang nach zwei Jahren, führte jedoch viel später, als die Steuererklärung für das betreffende Jahr bearbeitet worden war, noch zu Ärger: Mein Finanzamt ging nun davon aus, dass ich auch weiterhin in diesem Maße dazu verdiente – und forderte mal soeben auch als Vorschuss auf die folgenden drei Jahre pro Jahr eine vierstellige Summe ein.
Strenge Regeln und Kaffeeverbot
Leider hatte ich nur 2022 derart dazu verdient. Doch die Steuererklärungen der Folgejahre waren noch nicht bearbeitet und das Problem somit nicht kurzfristig lösbar. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als erneut zusätzlich zu verdienen, um die Steuerschuld zu begleichen.
Über Facebook-Werbung wird täglich alles Mögliche angeboten. Dahinter versteckt sich jede Menge Betrug, Unsinn und allerlei Gaunereien. Dementsprechend groß war das Misstrauen, als für eine Diabetes-Studie von der Firma Nuvisan eine durchaus nennenswerte Vergütung angeboten wurde. Doch tatsächlich stellte sich dies als seriöse Offerte heraus. Da ich schon im Studium an Medikamententests teilgenommen hatte – damals nahm ich ein Mittel gegen Heuschnupfen ein – hatte ich keine Sorgen um mein Wohlergehen: Solche Studien werden genauestens überwacht.
Ozempic, die „Wunderspritze aus Hollywood“, die auch im FORUM schon öfter Thema war, war bislang völlig an mir vorbeigegangen. Ozempic ist eigentlich ein Diabetes-Medikament; Abnehmen ist dabei nur eine Nebenwirkung, weil der gesamte Stoffwechsel umgestellt wird. Der Wirkstoff Semaglutid, der ähnlich wie das Darmhormon GLP 1 wirkt, verlangsamt die Verdauung und reduziert den Appetit, ohne größere Nebenwirkungen zu haben, von gelegentlicher Übelkeit und eventuellem Aufstoßen einmal abgesehen. Die Wirkung entspricht der einer Magenverkleinerung, jedoch ohne OP.
Ozempic ist jedoch nicht das einzige Medikament dieser Art, nur das bekannteste. Es gab bereits Vorläufer, die aber täglich gespritzt werden mussten. Nun reduzierte sich dies auf eine wöchentliche subkutane Injektion in den Bauch, was auch ohne medizinische Ausbildung unproblematisch ist. Natürlich wollen andere Medikamentenhersteller auch von dem neuen Boom profitieren und eigene vergleichbare Medikamente anbieten. Damit ein neues Medikament zugelassen wird, sind jedoch ausführliche Studien notwendig, um die richtige Dosierung zu ermitteln und um sicherzustellen, dass das Medikament möglichst frei von Nebenwirkungen ist. Und um genau eine solche Studie ging es nun.
In diesem Fall sollte das neue Medikament neben der GLP-1-Ähnlichkeit auch noch eine zweite Funktion erfüllen und damit wirksamer sein. Es war damit prinzipiell kein völlig unbekannter Wirkmechanismus mehr und der Job als Versuchskaninchen deshalb vom Risiko her überschaubar.
Der Weg zum Medikamententester ist indes relativ komplex: Nur wer gesund ist und nur der, bei dem alle Testwerte im Normbereich liegen, kann an der Studie teilnehmen. Nicht unbedingt, weil der Mensch andernfalls Schaden nehmen oder gar sterben könnte, sondern weil die Untersuchungsergebnisse vergleichbar sein sollen. Passt alles, landet der potenzielle Tester zunächst auf einer Warteliste, da üblicherweise mehr Probanden rekrutiert werden, als tatsächlich notwendig sind. Es könnten ja Kandidaten wegen Krankheit oder wegen beruflicher Verpflichtungen ausfallen. Zudem bestehen gewissen Einschränkungen: In meiner Studie durfte vor der Anreise und während der Untersuchungen kein Kaffee oder Tee getrunken werden. Alkohol und Zigaretten sind ohnehin tabu. Die Tester müssen nüchtern ohne Frühstück anreisen, und auch bisherige Diabetes-Medikamente müssen vorher abgesetzt werden. Die Tester müssen zunächst einmal pro Woche in der die Studie ausführenden Klinik erscheinen, hinzu kommen mehrere mehrtägige Übernachtungen. Bei eventuellen Nebenwirkungen und bei Erhöhung der Dosis sollen die Testpersonen schließlich stets genau überwacht werden. Es wird mit einer geringen Dosis gestartet.
Die Übernachtungen sind bei Nuvisan eher vom Stil „Jugendherberge“. Zudem sind die Testpersonen „eingesperrt“ – niemand soll heimlich auswärts essen oder Kaffee trinken und so die kontrollierte Ernährung verfälschen können. Wer zum Beispiel wegen der zahlreichen Einschränkungen die Teilnahme an der Studie beenden möchte, kann dies natürlich tun – aber dann nur endgültig. Umgerechnet und unter Berücksichtigung der Einschränkungen, der zahlreichen Autofahrten und mehr ist die Bezahlung für die Teilnahme an einer solchen Studie dann nicht mehr so beeindruckend. Doch es ist ja auch Hilfe für die Wissenschaft. Und eventuell hat der Tester auch selbst etwas davon – sofern er tatsächlich den Wirkstoff bekommt und nicht in einer Placebogruppe landet. Jene ist bei solchen Studien notwendig, um die tatsächliche Wirkung im Vergleich zu einer Behandlung ohne Wirkstoff bestimmen zu können.
Einige Probanden vergaßen, ihre eignen Medikamente vorher abzusetzen, keinen Kaffee zu trinken oder verschliefen und mussten so schon zu Beginn die Studie verlassen. Ich bekam tatsächlich das echte Medikament und nicht das Placebo. Das bemerkte ich sehr schnell: Der Appetit ließ spürbar nach. Später wurde mir übel und gegen Ende der Studie mit der Höchstdosis plagten mich gelegentliches Aufstoßen und Durchfall.
Viel unangenehmer war jedoch die enorme Anzahl von auch nächtlichen Blutentnahmen, die bei mir mangels Kaffee nicht nur mich, sondern auch die Ärzte und Schwestern zur Verzweiflung brachten, weil kein Druck auf den Venen war und so fünf erfolglose Versuche zu mit Pflastern übersäten Fingern, Händen und Armen führten.
Der Erfolg des Ganzen zeigte sich nach einem Dreivierteljahr: ein nun wesentlich besserer Langzeit-Blutzucker als zuvor, der Wert nun im grünen Bereich – und elf nebenbei abhanden gekommene Kilos. Das Dumme: Mit Abschluss der Studie wird das Medikament nicht mehr weiter verabreicht. Und es ist ja auch auf absehbare Zeit noch gar nicht verfügbar. Und das verlorene Gewicht würde sich sicher nach dem Absetzen der Spritzen bald wieder einfinden. Deshalb ließ ich mir vom Hausarzt ein bereits existierendes Präparat verschreiben, allerdings nicht Ozempic. Das ist ja wegen großer Nachfrage oft schwer zu beschaffen.
Sehr ähnliche Wirkstoffe
Wesentlich weniger bekannt ist Mounjaro, das mit dem Wirkstoff Tirzepatid ziemlich ähnlich wirkt und als Vorteil sogar noch eine weitere Wirkung hat, ähnlich dem noch unbenannten Präparat aus der Studie. Dieser Vorteil ist: Mounjaro ist wesentlich leichter zu bekommen, obwohl es genauso wie Ozempic auch zum Abnehmen verwendet wird. Für diese Anwendung – es wird auch unter dem Namen Zepbound verkauft – hat der Verbraucher allerdings selbst zu zahlen. Was sich dann auf ungefähr 300 Euro im Monat beläuft, ebenso wie bei Ozempic, wo die Variante zum Abnehmen Wegovy heißt. Beim Einsatz gegen Diabetes übernimmt dagegen die Krankenkasse die Kosten. Und von Mounjaro wird mir nicht mehr übel.

Auch hier sollte der Benutzer jedoch mit einer geringen Dosis starten und dann monatlich erhöhen. Vor allem jene, die zuvor noch nie ein solches Präparat eingenommen haben, sollten mit der geringen Dosis beginnen, um Übelkeit zu vermeiden. Im Paket enthalten ist ein Pen mit vier Dosen für einen Monat und Nadeln zum Aufschrauben sowie eine Anleitung, die sicher um das Zwanzigfache größer ist als die Spritze selbst. Nach zwei bis drei Durchläufen ist es aber auch ganz ohne Anleitung zu schaffen.
Der Einsatz als Versuchskaninchen hat sich zumindest für mich also mehrfach gelohnt: gesundheitlich, moralisch und finanziell. Es gibt auch andere Kliniken, die solche Studien zu allen möglichen Themen durchführen und wo Tester im Hotel oder zumindest im Einzelzimmer übernachten, was sicher angenehmer ist. Während der Untersuchungen auch nachts zur Blutentnahme zu erscheinen und viele Autofahrten auf sich nehmen zu müssen, das ist aber auch dort der Fall. Es gibt natürlich auch einfachere Studien, die nur wenige Termine erfordern, dann aber wiederum auch eine geringere Aufwandsentschädigung bieten.