Union Berlin schreibt im Europacup gegen Ajax Amsterdam erst Clubgeschichte, muss sich dann aber im Bundesliga-Spitzenspiel den Bayern klar geschlagen geben. Die Doppelbelastung war dem Team deutlich anzumerken.
Nach den zwei Kracher-Duellen mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen waren die sechs Tage Spielpause bei Union Berlin herzlich willkommen. Nach der „intensiven“ Phase müssten seine Spieler „mal durchatmen“, meinte Trainer Urs Fischer. Und Mittelfeld-Organisator Rani Khedira meinte: „Ich genieße es, alle drei Tage zu spielen. Aber manchmal passiert auch was im Kopf, dann fehlt die mentale Frische – und dann kommt so etwas zustande.“ Gemeint war das völlig verdiente 0:3 im Bundesligaspitzenspiel beim FC Bayern München drei Tage nach dem Highlight-Sieg in der Europa League gegen Ajax Amsterdam (3:1).
„Es war ein deutliches Spiel mit zwei, drei Klassen Unterschied. Das muss man sich dann auch eingestehen“, gab Fischer zu. Das womöglich einzig Positive dabei: Die ungeliebten Fragen nach der Meisterchance dürften sich vorerst erledigt haben. Union liegt zwar mit drei Punkten Rückstand auf Tabellenplatz drei weiterhin in Schlagdistanz zum deutschen Rekordmeister. Doch der Auftritt in München hat gezeigt, dass zwischen beiden Clubs Welten liegen.
Die Statistik bestätigt das. 19:4 Torschüsse, 65:35 Prozent Ballbesitz, 228:184 Sprints – die Bayern waren den Berlinern in nahezu allen Belangen haushoch überlegen. „Wenn man nach München fährt und was mitnehmen will, muss man rotzfrech auftreten. Das ist uns nicht gelungen“, sagte Khedira, der wie seine Teamkollegen kaum Zugriff auf Thomas Müller und Co. bekommen hatte. „Am Ende sind wir untergegangen“, meinte er. Dass es „nur“ 0:3 ausgegangen war, lag vor allem an Torhüter Frederik Rönnow, der Schlimmeres verhindert hatte. Seine Vorderleute waren dagegen weit von ihrer Topform entfernt.
„Wenn man den Ball selber behauptet und laufen lässt und für Entlastung sorgt, sieht es vielleicht anders aus. Aber heute waren wir chancenlos, wenn man ehrlich ist“, sagte Abwehrchef Robin Knoche. Dass man den Bayern-Stars zumeist hinterhergelaufen ist, konnte Knoche verkraften. Aber das Spiel mit dem Ball sei zu schwach gewesen, „und die Tore darfst du so auch nicht herschenken“. Das sah auch Fischer so. „Beim zweiten und dritten Tor laden wir sie ein“, meinte der Coach, „das ärgert mich wirklich“. Die Entstehung der Gegentreffer sei „unnötig“ gewesen, „und wenn du die Bayern einlädst, dann sagen die danke“.
Seine Spieler zeigten sich einsichtig und gelobten Besserung. „Wir werden das genau analysieren, woran es gelegen hat, und beim nächsten Spiel mit frischen Kräften und Köpfen antreten“, sagte Knoche. Am Samstag (4. März, 15.30 Uhr) geht es zu Hause in der Alten Försterei gegen den 1. FC Köln. Die Kölner haben die letzten beiden Spiele jeweils zu Null verloren und den Kontakt zu den Europacupplätzen etwas verloren. Köln ist ein Gegner auf Augenhöhe – die Bayern waren es nicht. Deswegen hakte Fischer die Pleite auch schnell ab, denn zu viel Grübeln könnte das neue Saisonziel Europacup gefährden. „Die Crunchtime beginnt langsam aber sicher“, sagte der Schweizer: „Die entscheidenden Spiele kommen auf uns zu.“ Das Erreichen von Platz sechs sei „ein ambitioniertes Ziel“, es warten „anstrengende Wochen“ auf das Team. Auch wenn die Unioner es nicht offen aussprechen wollten: Die Doppelbelastung der vergangenen Wochen machte sich in München klar bemerkbar.
Meisterzug scheint abgefahren
Der Meisterzug scheint abgefahren, doch selbst der Einzug in die Champions League wäre für Union „der Oberknaller“, wie der frühere Publikumsliebling der Eisernen, Torsten Mattuschka, bei „T-Online“ sagte: „Das wäre ein Meilenstein für den Verein.“ Und irgendwie auch surreal. „Die Königsklasse erreicht man normalerweise nicht mal beim Computerspiel Fußball-Manager mit Union“, sagte Mattuschka lachend. Die Club-Ikone ist hellauf begeistert von der bisherigen Saisonleistung: „Ich schüttele häufig den Kopf und denke mir: Das gibt’s doch gar nicht, irgendwann muss das doch mal vorbei sein. Aber diese Truppe ist so stabil und zieht das durch.“ Union setze seinen „klaren Plan überragend um“. Dass sich der Verein von einem Zweitligisten zu einem Champions-League-Anwärter entwickelt hat, empfindet Mattuschka als „völlig irre, damit hätte 2018 kein Mensch gerechnet“.
Für Lothar Matthäus war der Rückschlag in München keine Überraschung. „Bei allem Respekt: Ich sehe keinen einzigen bei Union, der ein Bayern-Spieler wäre“, sagte der deutsche Rekord-Nationalspieler. Selbst ein Sheraldo Becker, ein Rani Khedira oder Robin Knoche, die beim Tabellendritten absolute Leistungsträger sind, hätten im Starensemble der Bayern keine Chance. „Alles gute Bundesligaspieler – nur nicht für die Ansprüche der Bayern“, sagte der langjährige Münchner Kapitän. Union würden andere Dinge auszeichnen als individuelle Klasse. „Union lebt total von der mannschaftlichen Geschlossenheit, von Disziplin, und davon profitiert auch jeder einzelne Spieler“, sagte Matthäus.
Urs Fischer - Foto: IMAGO / Matthias Koch
Dies hätten die Unioner vor allem Trainer Fischer zu verdanken, meinte der Weltmeister von 1990: „Er fordert viel, vor allem Disziplin. Er weiß die Spieler zu nehmen.“ In seiner Mannschaftsführung erinnere Fischer ein wenig an die früheren Münchner Meistertrainer Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes und Hansi Flick, verglich Matthäus: „Er hat diese Ruhe, diese Souveränität wie ein Hitzfeld, ein Heynckes, wie auch ein Flick.“ Der mitunter stoische Schweizer sei kein Emotionsbolzen, findet Matthäus: „Wenn Fischer mal die Fäuste ballt, ist das schon ein Wutausbruch.“
Insider wissen: Der Schein trügt. Fischer kann intern sehr wohl auf den Tisch hauen – auch emotional, wenn es sein muss. Nach der Niederlage in München war Draufhauen aber der falsche Ansatz, zumal es sein Team zuvor gegen Ajax viel besser gemacht hatte. Der umjubelte Achtelfinaleinzug in der Europa League durch ein 3:1 im Rückspiel gegen die Niederländer war ein Highlight der Clubgeschichte. „Wenn ich überlege, wo wir nach den ersten beiden Gruppenspielen standen – und jetzt sind wir im Achtelfinale. Das ist ja Wahnsinn“, sagte Fischer über den größten internationalen Erfolg von Union. „Unser Name wird jetzt in Europa ein Stück größer, der Erfolg, den wir gerade haben, tut dem gesamten Verein gut“, sagte der torhungrige Abwehrspieler Danilho Doekhi. Und auch Winter-Zugang Josip Juranovic, der gegen Ajax das erste Pflichtspieltor für seinen neuen Club erzielt hatte, sprach von einem „speziellen Abend“ und einem „historischen“ Erfolg. „Wir leben gerade unseren Traum.“
Und der Europacup-Traum könnte noch etwas andauern. Das Los meinte es gut mit Union, der Achtelfinalgegner Union Saint-Gilloise ist allemal schlagbar. Gegen die Belgier verlor der Bundesligist in der Gruppenphase zu Hause 0:1, auswärts feierte er ein 1:0 durch ein Tor von Sven Michel und verhinderte damit ein frühes Aus. In den Duellen am 9. und 16. März erwartet Geschäftsführer Oliver Ruhnert „sehr offene Spiele zwischen zwei Mannschaften mit einem ähnlichen Spielstil“.
Nach dem Sieg gegen Ajax feierten die Fans das Team ausgiebig – mit einer klaren Forderung für das Bundesliga-Spitzenspiel in München: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ Doch das klappte überhaupt nicht.