Die Antarktis ist ein Sonderfall der Weltpolitik dank des Antarktisvertrags. Eigentlich gehört der Kontinent nur der Wissenschaft, von der Klima- bis zur Weltraumforschung.
Keine Angst vor Dunkelheit und Kälte, einen Abschluss in Humanmedizin und die Ambition, an außergewöhnlichen Forschungsprojekten mitzumachen? Wenn Sie dazu noch bereit sind, für viele Monate diese Welt quasi hinter sich zu lassen und mit einer Gruppe Gleichgesinnter praktisch in Isolation zu leben und zu forschen, dann haben Sie schon mal die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt.
Es klingt wie eine Stellenanzeige für einen Astronauten und eine Mission auf der ISS, oder vielleicht auf dem Mond oder sogar auf dem Mars. Zu dem Schluss könnte man auch leicht kommen, schließlich stammen die Sätze aus einer Stellenbeschreibung der ESA, der Europäischen Raumfahrtagentur.
Aber der Arbeitsort ist nicht irgendwo im All, sondern auf der Erde. Allerdings ist er mindestens so unwirtlich, einsam und isoliert wie draußen im Weltall. Die offizielle Adresse lautet: Station Dome Concordia (kurz: Dome C) Antarktisches Plateau. Höhe etwa 3.200 Meter über dem Meeresspiegel, Entfernung zum geografischen Südpol knapp 1.700 Kilometer. Temperaturen im „Sommer“ um die minus 30 Grad, im Winter um die minus 60 Grad, es wurden aber auch Temperaturen von weniger als minus 80 Grad gemessen, damit die kältesten auf dem Planeten. Die Bevölkerung in Dome C: im Sommer etwa 50, im Winter etwa 15 Personen.
Bedingungen wie im Weltall
Die Bedingungen sind also sehr vergleichbar mit denen, die Astronauten auf größeren Missionen erleben. Naheliegend also, dass auch die Esa dort Forschung betreibt über physiologische und psychologische Belastungen, denen Besatzungen in Isolation und den entsprechenden Stressbedingungen ausgesetzt sind. Die Concordia-Station gilt als eines der realen erdbasierten Analoga (Entsprechungen) für langfristige Weltraummissionen.
Die Anfänge gehen zurück auf das Jahr 1992, zunächst initiiert von Franzosen, ein Jahr später beteiligte sich Italien daran. 1996 errichtete ein französisch-italienisches Team ein Sommercamp. Schließlich wurde vor jetzt 20 Jahren (2005) in Station Concordia der ganzjährige Betrieb aufgenommen.
Betrieben wird es von Italien (Programma Nazionale di Ricerche in Antartide, kurz PNRA) und Frankreich (Institut Polaire Français Paul-Émile Victor).
Die Esa ist nicht direkt an der Station beteiligt, finanziert aber jedes Jahr die Stelle für einen Mediziner oder eine Medizinerin, mit einem jeweiligen biomedizinischen Forschungsprogramm. Die Ausschreibungen lesen sich dann eben fast wie für eine Astronautin. Zuletzt war die Schweizerin Jessica Studer im Rahmen der 20. Überwinterungsperiode dort im Einsatz mit Forschungen zu psychologischen, medizinischen und physischen Aspekten. Eine Rolle spielen aber auch soziale Aspekte beim Langzeitaufenthalt mit einem kleinen Team unter Isolationsbedingungen.
Ansonsten arbeiten Spezialisten aus den unterschiedlichsten Gebieten an Forschungsprojekten: Geologen, Astronomen und Klimawissenschaftler.
Ein herausragendes europäisches Forschungsprojekt auf Dome C ist EPICA (European Project for Ice Coring in Antarctica). Dabei geht um zwei Bohrungen durch das antarktisches Eis. Die geförderten Eiskerne geben Aufschluss auf die Klimaentwicklung.
Die erste Bohrung wurde in der vom Alfred Wegener Institut betriebenen deutschen Antarktis-Station (Kohnen-Station) durchgeführt und reichte 2.775 Meter tief. Der Eiskern liefert Klima-Informationen über etwa die vergangenen 150.000 Jahre Erdgeschichte. Die zweite Bohrung erfolgte dann am Dome C. Diese Bohrung erreichte 2004 eine Tiefe von 3.270 Metern und endete etwa fünf Meter vor dem berechneten Grund der Eisschicht. Diese Bohrung bringt Erkenntnisse über etwa 900.000 Jahre Erdgeschichte. Das Eis im Bohrkern gilt als das älteste je geförderte Eis.
Die deutsche „Kohnen-Station“ war im Zusammenhang mit den europäischen Eisbohr-Projekten vom Alfred-Wegener Institut Helmtholtz Zentrum für Polar- und Meersforschung (AWI) eingerichtet worden. Daneben sind auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Projekten in der Antarktis unterwegs.
Insgesamt betreiben 29 Nationen Forschungsstationen in der Antarktis. Und dabei geht es auf dem sechsten Kontinent – ganz im Gegensatz zur Arktis – politisch noch vergleichsweise friedlich zu.
Zu Zeiten der großen Entdecker und Abenteurer wie Amundsen, der vor mehr als einem Jahrhundert (1911) als erster Mensch den Südpol erreichte, gehörte es bei Expeditionen noch zur hehren Pflicht, Flaggen ins ewige Eis zu rammen. Ein gutes halbes Jahrhundert später sollte der Pionier Richard Byrd bei einem Flug über die Antarktis die Flaggen aller UN-Staaten über dem Eis abwerfen als Symbol, dass die Antarktis allen gehört.
Tatsächlich regelt ein Antarktis-Vertragssystem, dass der sechste Kontinent weitgehend losgelöst von der übrigen Weltpolitik ein friedliches Dasein hat. Nach längerem Streit über wirtschaftliche und politische Interessen wurde 1959 der Antarktisvertrag unterzeichnet, dem mittlerweile über 50 Nationen beigetreten sind.
Damit ist die Antarktis der einzige Erdteil, der nur zu wissenschaftlichen und friedlichen Zwecken genutzt werden darf. Die Planungen (wissenschaftlicher Expeditionen) werden gemeinsam koordiniert, die Antarktis steht als Kontinent unter besonderem Schutz. Alle Staaten verpflichten sich, Flora und Fauna zu erhalten, der Fischfang ist klar geregelt.
Ein Kontinent der friedlichen Kooperation
Dass unterschwellig dennoch alte Konflikt- und Interessenlagen nicht ganz ausgeräumt sind, zeigen die Ansprüche, die einige Länder mit Blick auf den Festlandssockel bei der UN geltend gemacht haben. Allerdings hat man sich darauf verständigt, solche Ansprüche erst nach dem Ende des Antarktisvertrags zu behandeln. Und der ist de facto im Grunde auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Trotzdem machen sich auch auf diesem friedlichen Kontinent die geopolitischen Entwicklungen zunehmend bemerkbar. Nicht nur Großmächte sind wieder in starker Konfrontation, auch ehemalige Schwellenländer, die inzwischen wirtschaftlich stark geworden sind (China, Indien, Süd-Korea) mache ihre Interessen durch verstärkte Forschungspräsenz in der Antarktis deutlich und engagieren sich immer stärker in den Gremien, in denen gemeinsam über die Entwicklungen in der Antarktis entschieden wird.
Da in diesen Gremien das Einstimmigkeitsprinzip gilt, können Entwicklungen durch das Veto eines einzelnen Staates blockiert werden (etwa bei strittigen Themen wie Meeresschutzgebieten). Weshalb auch über mögliche Reformen der gemeinsamen Verwaltung diskutiert wird. Das wiederum erinnert sehr an die Entwicklungen der EU.
Trotzdem zeigt die Antarktis, dass friedliche Kooperation auch zwischen Staaten gelingen kann, die sich ansonsten in anderen Teilen der Welt in Konfrontation einander gegenüberstehen. Was im Übrigen auch bei der ISS lange Jahrzehnte möglich war. Und Aufgaben, bei denen die Menschheit zusammenarbeiten muss, gibt es reichlich. Die Forschung liefert dafür die Grundlagen. Und vieles davon kommt aus den Antarktisaktivitäten.