City-Life und Outback, Weingüter und Traumstrände: In der Region rund um Melbourne gibt es die Vielfalt von „Down Under“ auf kleiner Fläche. Ein besonderes Naturerlebnis bietet der Great Ocean Walk: Der Wanderweg führt gut 100 Kilometer immer an der Küste entlang.
Irgend etwas hat gerade gegrunzt. Es ist früh am Morgen, die Sonne schläft noch hinterm Horizont. Es herrscht das diffuse Licht der Dämmerung. Schlagartig ist man wach, hält erschreckt still im Schlafsack, lauscht hinaus – und versucht sich auszumalen, welches gefährliche Tier hinter der in einem solchen Moment extrem dünnen Zeltwand gerade sein Unwesen treibt. Etwa ein Känguru mit Blähungen? Oder ein Ameisenigel auf der Rückkehr von einem nächtlichen Imbiss? Klingt alles ziemlich unwahrscheinlich. Wobei: Immerhin gab es gestern Abend eine Begegnung mit beiden Tierarten auf dem Weg zum Camp.
Kulissen wie aus dem Bilderbuch
Schlangen grunzen nicht, Spinnen schon gar nicht – ein Lebewesen, das dem Reisenden in der australischen Wildnis nach dem Leben trachtet, kann es also nicht sein. Mutig wie ein Eroberer will man sein, den Reißverschluss aufreißen und hinaus springen. Am Ende bleibt man vorsichtig, um erst mit einem, dann mit beiden Augen nach draußen zu spähen. Rund um das Zelt sieht man: nichts. Nur die Stämme der Eukalyptusbäume, unter denen das Zelt steht. Dann grunzt es wieder. Von oben! Zwei Koalabären frühstücken lautstark in den Ästen– und stören sich nicht daran, dass man unter ihrem Lieblingsbaum campt.
Goldgelbe Strände ohne eine Menschenseele zu sehen, auf den höchsten Klippen des Kontinents zu stehen, wilde Felsformationen in der Brandung zu erleben – und eben grunzende Koalabären über seinem Kopf: Diese Erfahrungen kann man sich nicht kaufen. Man muss sie sich erwandern: Auf dem „Great Ocean Walk“ 200 Kilometer westlich von Melbourne, der Hauptstadt von Australiens zweitkleinstem Bundesstaat Victoria.
Gut 110 Kilometer weit führt der Wanderweg vom Surfer-Örtchen Apollo Bay bis an die weltberühmten Felstürme der Zwölf Apostel, immer an der Küste entlang, durch den Busch und auf dem Sand, über Stock und Stein, Fels und Kies. Spektakuläre Aussichten gibt es indes nicht nur für uns Hardcore-Hiker, die wir unseren allabendlichen Muskelkater tapfer weglächeln und mehr als eine Woche unterwegs sind. Viele Buchten entlang des Great Ocean Walk lassen sich auch mit einem entspannten Spaziergang in ein paar Stunden erwandern, und Strände wie Johanna Beach und Blanket Bay haben Campingplätze, die sich über Schotterpisten auch mit einem kleinen Wohnmobil ansteuern lassen.
Schon diese Fahrt kann zum Highlight eines Australienurlaubs werden: Hundert Kilometer westlich von Victorias Hauptstadt Melbourne beginnt die Great Ocean Road, die als schönste Küstenstraße des Kontinents gilt. Angelegt wurde sie nach dem Ersten Weltkrieg. Fast 3.000 von den Kämpfen heimgekehrte Veteranen schufteten in einem großen Reintegrationsprojekt, um die abgeschiedenen Orte an der Küste erstmals mit einer Straße zu verbinden, die sich knapp 250 Kilometer lang von Torquay nach Warrnambool Bucht um Bucht an den Klippen entlang schlängeln sollte. Maschinen gab es keine – von Hand und mit der Hilfe von Pferden rodeten die Männer den Busch, schleppten Steine weg und befestigten den Untergrund für die Piste, die erst viel später asphaltiert wurde.
Allein mit sich und der wilden Natur
1932 feierte Australien endlich die Eröffnung der inzwischen im ganzen Land legendären Verbindung – nach 13 Jahren Bauzeit. Heute ist die Great Ocean Road ein beliebtes Ausflugsziel für das persönliche Road Movie zwischen Busch und Brandung – vor allem auf dem Abschnitt zwischen Lorne und Apollo Bay scheint die Straße jede Krümmung der Küste nachvollziehen. Aber nicht überall führt sie am Meer entlang: Zwischen Apollo Bay und den Klippen der Zwölf Apostel macht sie einen Bogen und verläuft zum Teil mehr als zehn Kilometer von der Küste entfernt. Hier sind die Wanderer auf dem Great Ocean Walk deswegen meist allein mit sich und der wilden Natur.
„Natürlich war die Arbeit an der Great Ocean Road hart. Viele Männer haben es aber auch genossen, in der Wildnis abseits der Zivilisation zu leben – hier konnten sie in ihrer freien Zeit schwimmen, fischen und jagen“, sagt der Historiker Donald Walker. Die Abgeschiedenheit hatte noch einen anderen Vorteil: Die Polizei war weit weg. Im Jahr 1924 lief vor der Küste ein Dampfschiff auf ein Riff. Kistenweise Bier und Schnaps landeten am Strand. Als die Männer darauf aufmerksam wurden, ruhte daraufhin die Arbeit ganze zwei Wochen lang.
Der enthusiastische Forscher hat auch die Geschichte des ersten Siedlers rekonstruiert, der 1845 an der Küste entlang wanderte. Allerdings tat er das nicht freiwillig wie heute die Naturfreunde, sondern mit einem klaren Befehl seiner Vorgesetzten. Er sollte einen Pfad von Melbourne zum Cape Otway finden, zum südlichsten Punkt des Kontinents, um dort einen Leuchtturm bauen zu können. „Charles Joseph La Trobe brauchte drei Anläufe, und er schaffte es am Ende nur, weil ihm einer der hier lebenden Ureinwohner den Weg zeigte“, sagt Donald Walker. Schon drei Jahre später, 1848, sendete der Leuchtturm am Cape Otway zum ersten Mal sein Lichtsignal aufs Meer. Das wurde dringend benötigt: Nicht von ungefähr nennt man diesen Teil Australiens „Küste der Schiffswracks“, und am Wreck Beach liegen noch die Anker zweier Schiffe, die hier zerschellten.
Wer heute entlang der Küste wandert, tritt also buchstäblich in die Fußstapfen des Mannes, den heute trotz seiner Pionierleistung kaum ein Besucher kennt. „Charles Joseph La Trobe musste sich bis zur Erschöpfung plagen, um am Cape Otway anzukommen. Zwischen Apollo Bay und dem Kap folgt der Weg des Great Ocean Walk nun seinem ursprünglichen Pfad“, erklärt Donald Walker.
Außergewöhnliche Campingplätze
Schweißtreibend sind manche Abschnitte des spektakulären Wegs noch immer – vor allem für jene, die auf der gesamten Länge von 110 Kilometern von Apollo Bay bis zu den Zwölf Aposteln als Selbstversorger im Zelt unterwegs sind und alle Vorräte für den einwöchigen Marsch sowie die Ausrüstung zum Zelten selbst tragen müssen. Doch das Meer ist nie weit, und am Station Beach sorgt zusätzlich das Wasser der Rainbow Falls für eine willkommene Erfrischung. Wer mehr Komfort möchte, kann an einigen Stellen – und sogar in den Häuschen der Leuchtturmwärter von Cape Otway – in Pensionen übernachten, die nur wenige Kilometer von der eigentlichen Route entfernt liegen. Inzwischen gibt es sogar Anbieter, die sich um den Transport des Gepäcks und die Verpflegung kümmern. So erwandert man sich die Küste ganz entspannt nur mit einem Tagesrucksack. Durch den Busch schlagen muss sich heute auch niemand mehr.
„Der Weg eignet sich für alle Besucher, die ein normales Fitnesslevel haben“, sagt Will Cox, verantwortlicher Ranger im Great Otway Nationalpark. Meist geht es am Strand oder über die Felsen entlang der Küste, oft auch auf halber Höhe am Hang entlang. An steilen Stellen wurden Treppen aus Naturstein und Holz gebaut, sodass niemand bei einer Tour Bergsteiger-Qualitäten mitbringen muss. Verirren ist nicht möglich – eine Beschilderung weist den Weg.
Auch für schöne Plätze fürs Zelt ist gesorgt: „Für die Wanderer auf dem Great Ocean Walk haben wir sieben außergewöhnlich gelegene Plätze zum Campen ausgewiesen. Dort gibt es Komposttoiletten, Unterstände und Tanks mit Regenwasser“, so der Ranger. Weil der Great Ocean Walk immer populärer wird, müssen Besucher, die mehrtägige Wanderungen entlang der Route planen oder die ganze Strecke absolvieren möchten, von Ost nach West wandern.
Die Zeltplätze sind gratis, müssen aber im Voraus reserviert werden – nur wer rechtzeitig bucht, hat seinen Platz also sicher. Alle Planung kann einen indes nicht darauf vorbereiten, abends mit Meersalz auf den Lippen die Sonne über dem Cape Otway untergehen zu sehen – und morgens mit Koalas zu frühstücken. Und zwar nicht im Zoo, sondern mitten in Australiens wildschöner Natur.