Auch bei ihrem Label-Debüt bleibt sich Phoebe Philo treu und begeistert mit zeitlos-elegantem Minimalismus. Ihre erste Kapsel-Kollektion besteht aus 150 Teilen und präsentiert dennoch viele innovative Elemente.
Die Premiere der Kapselkollektion von Phoebe Philo, die als eine der einflussreichsten Designerinnen seit der legendären Coco Chanel gilt, sorgte für großes Aufsehen. Innerhalb weniger Stunden nach dem Start der Website waren die begehrten Kollektionsteile größtenteils ausverkauft oder nicht mehr in allen Größen verfügbar. Dabei ist Phoebe Philos Erfolg alles andere als zufällig, sondern vielmehr das Resultat ihres beeindruckenden Werdegangs.
Im Dezember 2017 verkündete sie ihren Abschied von Céline. Zuvor hatte sie die Marke 2008 als Kreativchefin aus dem Dornröschenschlaf erweckt und wieder zu einem begehrten Aushängeschild im Luxussegment gemacht. Ihr Abgang löste einen regelrechten Schock in ihrer treuen Fangemeinde aus. Die damals 44-jährige Britin, die in Paris geboren wurde, aber schon im Alter von zwei Jahren mit ihren Eltern auf die Insel zurückgekehrt und im Londoner Stadtteil Harrow on the Hill aufgewachsen war, wollte sich als dreifache Mutter offenbar an der Seite ihres als Galeristen tätigen Ehemanns nur noch ihrer Familie widmen. Phoebe Philo schien sich komplett aus der schillernden Fashion-Branche zurückgezogen zu haben, dreieinhalb Jahre lang war sie in der Versenkung verschwunden. Ihre Céline-Pieces hingegen wurden in dieser Zeit beispielsweise auf Instagram unter dem Hashtag #oldceline geradezu enthusiastisch gefeiert und erzielten auf Vintage-Seiten atemberaubende, häufig weit über dem Neuwert liegende Verkaufsbeträge.
Im Juli 2021 sorgte Philo dann für einen wahren Paukenschlag in der Branche, als sie die Gründung eines eigenen Labels mit einer Minderheitsbeteiligung des Konzerngiganten LVMH verkündet hatte. Danach setzte das große Warten ein und bot Medien reichlich Zeit, die Vorfreude auf die neuen, noch fernen Philo-Kreationen durch diverse Rückblicke auf Phoebe Philos erfolgreiche Arbeiten für Chloé und vor allem Céline ausführlich zu würdigen. Die „Vogue“ sollte Philo als „Mode-Revolutionärin“ betiteln, „nur wenige Designer und Designerinnen hatten einen größeren Einfluss auf die Mode des 21. Jahrhunderts – Philo verwandelte Chloé und Céline während ihrer Amtszeit in It-Labels.“ Sie habe „den modernen Look einer Generation“ definieren können, dank ihrer ungewöhnlichen Fähigkeit, „das Anspruchsvolle mit dem Alltäglichen zu verbinden“. Alles gemäß des von Philo selbst bei ihrem Céline-Amtsantritt formulierten Mottos: „Es fühlte sich für mich besser an, an einer Idee für eine Garderobe zu arbeiten als an zu vielen Trends. Ich habe hart daran gearbeitet, Dinge zu kreieren, die die Zeit überdauern.“
Schon als sie 2001 ihre Studienfreundin Stella McCartney als Kreativchefin bei Chloé ablöste – beide hatten ihre Ausbildung an der renommierten Londoner Hochschule Central Saint Martins absolviert – schlug sie eine stilistische Neuorientierung der Marke ein: weg von rockigen Einflüssen hin zu lässiger Eleganz. Doch erst bei Céline sollte sie ihren eigenen, unverwechselbaren Stil entwickeln, weil sie sich unter dem Dach von LVMH den nötigen kreativen Freiraum hatte vertraglich festschreiben lassen, inklusive des eigenen Ateliers auf der Insel weit weg von der Pariser Zentrale. Sie stand bald für einen zeitlos-eleganten Minimalismus, für den in den 1990er-Jahren Jil Sander oder Helmut Lang verantwortlich gezeichnet hatten und der später zwischen 1997 und 2003 in der Hermès-Damenmode unter der Ägide von Martin Margiela anzutreffen gewesen war. Allerdings konnte Philo ihrem Minimalismus einen deutlich feminineren Touch verleihen.
Die Philo-Kreationen, natürlich komplett ohne Logos oder Branding gearbeitet, zeichneten sich laut der „Welt“ durch „eine intelligente Coolness“ aus „und waren aus hochwertigen Materialien rasant, aber frauenfreundlich und sogar figurgnädig geschnitten. Ihre Mode war nie vordergründig gefällig, anbiedernd oder gar sexy; vielmehr lieferte sie eine zeitlose Garderobe, in der sich berufstätige Frauen unterschiedlicher Altersstufen modisch up to date fühlen konnten.“ Wer auf der Suche nach auffälligem Glamour oder schnelllebigen Trends war, war bei Phoebe Philo daher an der falschen Adresse. Wer sich dagegen schlicht, elegant, praktisch und bequem kleiden wollte, konnte bei ihr fündig werden. Vor allem ihre strukturierten Mäntel, ihre Kleider, ihre schmeichelhaften Hosen, ihre dicken Strickwaren, ihre voluminösen Ledertops, ihre eleganten Blusen, ihre Schuhe oder auch ihre Handtaschen wurden schnell zu begehrten Stücken, bisweilen gelangen ihr auch verblüffende Innovationen wie die sogenannten Furkenstocks.
Zeitlose Garderobe zum Wohlfühlen
Phoebe Philo hat nun ausgerechnet Ende Oktober 2023, abseits der Aufgeregtheit der vier Fashion-Weeks, ihr in der gesamten Branche als „spannendstes Comeback“ deklariertes Marken-Debüt mit online betriebenem Direktverkauf gefeiert. Dies spart ihr hohe Distributionskosten und ermöglicht einen direkten Kontakt zu ihren Kundinnen und könnte für sie ein zeitlich ausgesprochener Glücksfall sein. Darauf hatte beispielsweise die „FAZ“ hingewiesen: „Die Lancierung von Phoebe Philo kommt zu einer Zeit, in der man an der Mode ganz ähnliche Kritik äußern kann wie die Designerin vor 15 Jahren. In der es seltener um die Trägerinnen geht und stattdessen um Hypes und Entertainment. Für diesen Herbst haben einige Designer das bereits selbstkritisch reflektiert. Auf dem Laufsteg zeigten sie tragbare Kleider, gemacht für den Alltag, weniger für Selfies. Dass sie diese Trendwende auch mit Hinblick auf das angekündigte Comeback von Phoebe Philo vollzogen, ist gut möglich.“ Sie habe seinerzeit als erste Designerin für den „female gaze“ gestanden, „dafür, wie Frauen sich fühlen und selbst sehen wollen“.
Auch die „Süddeutsche Zeitung“ attestierte der aktuellen Damenmode einen „Moment des Umbruchs“: „Der Maximalismus von Gucci ist auserzählt, der Agent Provocateur bei Balenciaga sowie der „Hoodie plus Sneakers“-Look ebenfalls. Covid ist weitgehend überstanden, nach den Jahren des kollektiven Sich-gehen-Lassens will man wieder eleganter werden, auf die Bequemlichkeit aber nicht mehr verzichten. Weibliche Selbstermächtigung ist auf den Laufstegen keine Nischenforderung mehr, es ist das A cappella der Mehrheit. Es könnte alles in allem keinen passenderen Zeitpunkt für die Designsprache von Phoebe Philo geben, und genau darin liegt auch eine Krux. Der Look gehört ihr längst nicht mehr alleine … Die hohe Kunst des Weglassens, die Philo bei Céline zelebrierte, erschließt sich auf dem Bildschirm nur bedingt. Die Philophiles dürften der Vergötterten die Treue halten, doch ob auch die Generation Z mitzieht, die Céline heute vielfach nur noch ohne Akzent kennt, man hat da seine Zweifel. Das ‚spannendste Comeback der Mode‘, es bleibt in mehr als einer Hinsicht abzuwarten.“
Auf sämtlichen Modeportalen und in den entsprechenden Magazinen sind solch nachdenkliche Anmerkungen, wie sie die „Süddeutsche Zeitung“ angestellt hat, natürlich Fehlanzeige. Es gibt ausschließlich Lobeshymen, wobei die deutsche „Elle“ fraglos den Vogel abgeschossen hatte: „Die britische Designerin Phoebe Philo übertrifft mit dem Launch ihres eigenen Labels alle Erwartungen.“ Das war doch reichlich übertrieben und wurde von der „Welt“ treffenderweise in einem informativen Beitrag korrigiert: „Phoebe Philo ist zurück – und macht, was sie am besten kann.“ Vieles erinnere an den früheren Stil von Philo bei Céline, auch wenn die inzwischen 50-Jährige einiges anders mache als früher. Es sei ja auch eher unwahrscheinlich gewesen, „dass Philo von dem Stil, der sie bekannt gemacht hat, komplett abweichen würde“, so die „Welt“. Viele der neuen Kreationen, mit denen Philo nahtlos an frühere Erfolge anknüpfen könne, könnten die Philophiles, die genügend Geld auf dem Konto haben, um für einen Blazer 3.000 Euro oder für eine XL-Handtasche 6.000 Euro ausgeben zu können, problemlos ihrer „Old Céline“-Garderobe beifügen. Das Konzept oder die Design-Philosophie ihrer Kollektion hatte Phoebe Philo schon mal vor vielen Jahren anklingen lassen: „Ich liebe die Idee einer Garderobe, die Idee, dass wir bestimmte Stücke etablieren und sie aktualisieren, indem wir nur die Farbe oder den Stoff ändern.“
Genau diese Idee hat sie nun mit ihrer ersten, stolze 150 Stücke umfassenden Kollektion umgesetzt, die am nagelneuen Londoner Standort des Luxusmodehauses samt Showroom und Atelier realisiert worden war. Von Anfang an möchte Philo sämtliche Wünsche ihrer Kunden bezüglich Klamotten und Accessoires erfüllen, alles soll gewissermaßen aus einer Hand kommen können. Wer es sich leisten kann, soll die Möglichkeit haben, sich komplett mit Phoebe Philos Kreationen versorgen zu können. Dass mal ein gewünschtes Lieblingsstück ausverkauft ist, dürfte häufiger der Fall sein. Denn Philo lässt im Sinne der Nachhaltigkeit ganz bewusst weniger Pieces herstellen als die Nachfrage erwarten lassen dürfte. Dann könnte frau versuchen, es in der nächsten Kollektion zu erwerben, weil das Sortiment eben nicht auf Schnelllebigkeit oder Trends ausgerichtet ist, sondern der Grundbestand langfristig erhalten bleiben wird. Die erste Kollektion wurde auf den Namen „A 1“ getauft.
Das Prozedere sieht vor, dass nach der ersten Tranche von Ende Oktober laut der „Vogue“ noch zwei weitere sogenannten Edits online lanciert werden sollen. Potenzielle Interessentinnen könnten sich dort mit weiteren Stücken (Kleider gibt es bis Größe 42) eindecken.
Im Frühjahr 2024 wird dann „A 2“ mit wieder insgesamt drei „Edits“ an den Start gehen (Ausblick für den kommenden Sommer: „Milanes Trousers“ aus beerenfarbenem Wollmohair oder Leggins aus schwarz glänzendem Polyamid mit weißem Wellenmuster).
Alle Teile sollen auf absehbare Zeit ausschließlich auf phoebephilo.com bestellbar sein. Sie sollen nach und nach zu einer Art von saisonlosem Anti-Trend werden, um laut Philo ganz im Sinne der „Quiet Luxury“ „ein Produkt zu schaffen, das Beständigkeit widerspiegelt“.
Nach wenigen Stunden ausverkauft
Bei der Masse an Pieces können natürlich nicht alle Teile der Kollektion hier vorgestellt werden. Laut der „FAZ“ zählen die „Blazer mit breiten Schultern und schmal geschwungener Taille, Blousons aus Leder mit abnehmbarem Schal und ein Kaschmirmantel mit seitlichen Schlitzen bis zu den Pattentaschen“ zu den besten Essentials. „Einige Mäntel, Röcke und Hosen sind mit gekämmten Fransen verziert“, so die „Welt“ weiter.„Dazu kommen die Überraschungen, die den eigentlichen Reiz der Entwürfe ausmachen: Hier eine Wollhose mit Reißverschlüssen entlang der Rückseite der Hosenbeine, die sich bis zum Bund öffnen lassen. Dort ein asymmetrisches Minikleid aus cremefarbenem Seidensatin mit eingearbeitetem Body. Das Leder der Pumps und Stiefeletten ist so fein, dass sich die Füße darin abzeichnen werden.“
Billig ist keines der Teile, die teuersten Offerten sind ein schwarzer Lammfellmantel für 12.000 Euro, der schon nach einer Stunde komplett ausverkauft war, sowie ein handgestricktes Kleid mit aufgestickten Pailletten für 14.000 Euro. Innerhalb einer Viertelstunde und somit am schnellsten ausverkauft war übrigens eine Buchstaben-Silberkette, bei der das Wörtchen „Mum“ eingearbeitet war. Natürlich waren auch die streng geschnittenen Mäntel wieder eine Augenweide, was auch für weite Rollkragen-Tops, ein Mantelkleid aus schwarzem Leder, asymmetrische Tops aus Stretch-Seidensatin oder meliertem Woll-Twill, Baggy-Hosen, dekonstruierte Cargo-Hosen samt passender Cargo-Jacke aus Seidenviskose-Canvas, oder eine Lederjacke mit Schößchen galt. Auch die Taschen – drei Modelle in neutralen Farben, die abgesehen von einigen Quasten und metallenen Schließen ganz ohne Ornamente auskommen – dürften wieder begehrte Sammelobjekte werden, wobei übergroße Tote Bags fraglos die Highlights darstellen. Und bei den Schuhen setzt Philo häufig auf hohe Absätze, beispielsweise Stiletto-Pumps.
Die Sonnenbrillen wecken Assoziationen an abschirmende Skibrillen. Breite Schals bestehen auf einer Seite aus weichem Shearling, auf der anderen Seite aus Leder. Auch für kleinere Geldbeutel dürfte es sicherlich bald etwas geben, weil die Fast-Fashion-Ketten natürlich längst an Kopien der Philo-Looks basteln. Wobei die rückwärtige Reißverschluss-Hosen-Lösung garantiert am schnellsten Nachahmer finden wird.