Sechs neue Trainer nach der Sommerpause der Fußball-Bundesliga sind nach Erfahrung der letzten Jahre ein normaler Wert. Die Besetzungen an sich verliefen aber alles andere als normal. Fünf der sechs Trainer sind sogar zum ersten Mal Chefcoach in der Bundesliga.
Der FC Bayern München hätte Thomas Tuchel fast noch behalten, begab sich dann aber doch auf eine schier endlose Suche und wurde teilweise verspottet. Bei Borussia Dortmund blieb der eingefleischte BVB-ler Edin Terzic trotz des Erreichens des Champions-League-Endspiels nicht. Beim FC St. Pauli ging der gefeierte Meistertrainer Fabian Hürzeler trotz des Aufstiegs freiwillig.
Beim SC Freiburg endete die zwölfjährige Ära von Christian Streich. Und beim VfL Bochum und Union Berlin durften die Interimstrainer Heiko Butscher und Marco Grote trotz dramatischer und erfolgreicher Rettungsmissionen nicht bleiben.
So sind es letztlich doch wieder sechs Vereine und damit ein Drittel der Clubs der Fußball-Bundesliga, die mit neuen Trainern in die Saison gehen. Dabei gibt es eine interessante Entwicklung. Denn außer Bo Svensson, der vor Union schon Mainz trainierte, war noch keiner dieser sechs Übungsleiter in der Bundesliga aktiv. Man kann den Vereinen also wirklich nicht vorwerfen, dass sie sich unkreativ unter den üblichen Verdächtigen auf dem Trainerkarussell bedient haben. Und auch nicht, dass sie nur die Liste der „Verfügbaren Trainer“ auf transfermarkt.de gecheckt haben, so wie das ein Funktionär eines Zweitligisten tatsächlich tat und nachher auch noch freimütig erzählte. Es sind kreative Lösungen herausgekommen, spannende Lösungen. Wenn auch – siehe Bayern – nicht immer ganz freiwillig. Selbstläufer werden das sicher nicht alle. Interessant wird es allemal. Und der ein oder andere Club wird für seinen Mut sicher auch belohnt werden. Wir schauen uns die sechs neuen Trainer im Einzelnen an:
Vincent Kompany (38 Jahre / FC Bayern München / vorher FC Burnley)
Xabi Alonso war die Nummer eins auf der Kandidatenliste des FC Bayern im Frühjahr. Julian Nagelsmann die zwei. Und Ralf Rangnick die drei. Das scheint gesichert. Die Reihenfolge dahinter ist schwer nachzuvollziehen. Bei Oliver Glasner wurde angefragt, über Roberto De Zerbi und Julen Lopetegui wurde nachgedacht, sogar Tuchel sollte zwischenzeitlich zum Bleiben überredet werden. Und dann kam irgendwer beim FC Bayern auf die Idee, doch mal einem jungen Trainer eine Chance zu geben. Vielleicht einen eigenen Alonso aufzubauen. Und so kam Vincent Kompany ins Spiel. Der Belgier war schon als junger Profi Führungsspieler, sein früherer Hamburger Coach Huub Stevens verglich ihn vom Auftreten mit Kaiser Franz Beckenbauer. Auch Pep Guardiola schwärmt nach gemeinsamen Jahren in Manchester in den höchsten Tönen von Kompany. Seine Trainer-Karriere beim RSC Anderlecht und mit dem sensationellen Aufstieg von Burnley in die Premier League begann verheißungsvoll. Weil er mit Burnley direkt wieder abstieg, fragte sich so mancher dennoch, was der ambitionierte FC Bayern mit diesem Trainer wolle. Doch wer Kompany in den ersten Tagen erlebt hat, wie selbstbewusst und gleichzeitig sympathisch er sich gab und wie positiv die Spieler auf ihn reagieren, der wird schnell sicher sein, dass ihm eine große Karriere als Trainer bevorsteht. Beweisen muss er trotzdem, dass der große Schritt nach München nicht am Ende etwas zu früh kam.
Nuri Sahin (35 / Borussia Dortmund / vorher Co-Trainer)
Seit der frühere Dortmunder Profi Sahin im Winter Assistent von Edin Terzic wurde, bezeichneten ihn viele schon als Schatten-Trainer. Schließlich hatte der Ex-Profi von Real Madrid und des FC Liverpool dafür seinen Job als Teamchef und Sportchef von Antalyaspor aufgegeben. Und irgendwann, vor ein paar Jahren, mal gesagt, dass es sein großer Traum sei, mal BVB-Cheftrainer zu werden. Dass es irgendwann so kommen wird, war also vorgezeichnet. Dass Sahin es nicht so schnell vorhatte, darf man ihm glauben. Schließlich muss er nun im Eiltempo noch einen Trainerschein nachholen. Doch weil Terzic nach ständiger Kritik an seiner Person ging, musste die logische Lösung eben sofort ran. „Das wird großartig“, sagte sogar Trainer-Ikone Jürgen Klopp, der den BVB mit Sahin 2011 zum Meister machte. Klar ist: Sahin ist ein kluger Kopf, trägt den BVB im Herzen und hat großes Talent als Trainer. Wie bei Kompany stellt sich letztlich nur die Frage: Kann er diesen großen Club, der mit allen Trainern seit Klopps Abschied 2015 wenn überhaupt nur kurz glücklich wurde, schon mit 35 nachhaltig wieder groß machen?
Julian Schuster (39 / SC Freiburg / vorher Verbindungstrainer)
Auch der dritte neue Coach ist noch keine 40. Doch in Freiburg schien es klar: Wenn Christian Streich nach zwölf Jahren einmal aufhört, kann ihm nur eine interne Lösung nachfolgen. Und Schuster, sieben Jahre Spieler und lange Kapitän unter Streich, und dann sechs Jahre sogenannter Verbindungstrainer zwischen dem Profi-Team und den Nachwuchs-Mannschaften, ist die logische Lösung. Obwohl er noch nie irgendwo Cheftrainer war. „Julian war schon als Spieler der längste verlängerte Arm eines Trainers, den ich je gesehen habe“, sagte der langjährige Mitspieler Nils Petersen. Die Fans haben Schuster übrigens einen eigenen Song gewidmet. „Unser Capitano legt sich gern mal in den Dreck, morgens isst er Müsli, abends geht er früh ins Bett. Oooh, Julian Schuster, du alter Gauner, schieß noch ein Toooor!“, heißt es dort. „Alter Gauner“, für einen Cheftrainer wirkt diese Bezeichnung noch lustiger als für einen Kapitän. Dass Schuster ein guter Trainer wird, da sind sich in Freiburg alle sicher. Den Verein kennt er sowieso aus dem Effeff. Doch die Frage nach dem „jetzt schon?“ stellt sich wie bei Kompany und Sahin natürlich auch.
Bo Svensson (45 / Union Berlin / zuletzt vereinslos)
Die Rückrunde der Saison 2020/21 hat den als Spieler schon sehr beliebten Dänen in Mainz unsterblich gemacht. Als Vorletzten mit sechs Punkten nach 14 Spielen hatte er die 05er übernommen und sie mit der besten Rückrunde der Vereinsgeschichte ohne Relegation gerettet. Nach zwei starken Saisons mit Platz acht und neun, ging der Start der vergangenen Runde aber voll in die Hose, und nach drei Punkten aus neun Spielen musste Svensson gehen. Genau zwei Wochen, bevor bei Union die Ära von Urs Fischer zu Ende ging. Nach zwei Aushilfs-Missionen von Marco Grote und Marie-Louise Eta sowie dem missglückten Griff mit Nenad Bjelica finden die beiden nun zusammen. Svensson soll Union nach dem krassen Absturz nach vielen Jahren des Aufschwungs erst mal beruhigen und sorgenlos die Klasse halten. Ihm zur Seite steht mit Horst Heldt ein neuer Sportchef, nachdem Oliver Ruhnert, wohl auch mit Blick auf eine politische Karriere, ins zweite Glied zurücktrat. Als Heldt an Bord kam, war Svensson schon kontaktiert. Doch der Ex-Manager von Stuttgart, Köln, Schalke oder Hannover fand die Idee auch mit Blick auf Svenssons leidenschaftliche Art des Coachens nach eigener Aussage sofort gut: „Das passt wie die Faust aufs Auge.“
Peter Zeidler (62 / VfL Bochum / zuvor FC St. Gallen)
Während sich bei vielen seiner neuen Kollegen – wie oben erwähnt – die Frage nach dem „jetzt schon?“ stellt, lautet sie bei Zeidler eher: „Jetzt erst?“ Denn auch er ist neu in der Bundesliga – und das mit 62! Der Schwabe, einst Co-Trainer von Rangnick während der Hoffenheimer Herbstmeisterschaft 2008, hat als Trainer schon viel erlebt. Inklusive Jobs als Spieler- und Co-Trainer ist der in Bochum sein 16. als Coach. Und es ist ein herausfordernder, denn nach der spektakulären Rettung in der Relegation gab es tief im Westen einen radikalen Umbruch in der Mannschaft. Wie viel Zeit das benötigen kann, ließ sich beim 0:1 bei Drittligist Regensburg erahnen, durch das Bochum vor dem Saisonstart als einziger Erstligist in der 1. Runde aus dem Pokal flog. Doch in Bochum vertrauen sie auf Zeidlers Ruhe und Erfahrung – auch wenn er sie überall anders als in der Bundesliga gesammelt hat.
Alexander Blessin (51 / FC St. Pauli / zuvor Royale-Union Saint Gilloise)
Pokalsieger, Vizemeister, Champions-League-Teilnehmer – eigentlich hatte Alexander Blessin in Belgien alles. Doch die Bundesliga reizte ihn einfach zu sehr. Deshalb folgte er dem Lockruf von Aufsteiger St. Pauli. Obwohl die Nachfolge des nach Brighton abgewanderten Meister-Trainers Hürzeler keine leichte ist. Und obwohl viele zweifeln, dass das Team nach dem Abgang seines Herzstücks Marcel Hartel überhaupt bundesligareif ist. Menschlich hat Blessin den Kiez jedenfalls im Sturm erobert, seine sympathische Art mochten schnell quasi alle. Und in der Vorbereitung sorgten Siege dann doch auch wieder für Optimismus.