Wenn es nicht einmal Regierungen schaffen, verbindliche Maßnahmen festzulegen, um die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß zu begrenzen, was kann der einzelne Mensch dann gegen die Klimakrise ausrichten? Katrin Groth pflanzt Bäume.
Mit Spaten und Pflanzsack beladen stiefele ich durchs Unterholz, über Äste, Totholz, Baumstümpfe. Unter mir knackt, kracht und birst es. Wälle aus Restholz schlängeln sich über die Kahlfläche. Trotz Wollsocken erstarren meine Zehen in den Gummistiefeln. Es ist 7.25 Uhr, die Sonne ist gerade erst aufgegangen und wenn ich atme, bilden sich weiße Wolken.
Ich stelle den Pflanzsack mit den jungen Erlen ab, schiebe Moos und Nadeln beiseite und ramme den Spaten in den Boden. Mit beiden Füßen steige ich auf die halbmondförmige Schaufel, sie soll tief in die Erde. Ich spalte Wurzeln und komme mir vor wie Rumpelstilzchen.
Zurück auf der Erde drücke ich den Spaten nach vorn, der Boden hebt sich, splittert und reißt. Ich hebe die Erde, feucht und dunkel liegt sie in der Schaufel, garniert mit Holzstücken, dick wie Unterarme. In einer Handvoll Erde leben mehr Mikroorganismen als Menschen auf der Erde.
Ich greife nach der Erle, hänge sie bis zu der grünlichen Stelle ins Loch, die Stamm von Wurzelwerk trennt. Wie Tentakeln baumeln die Wurzeln herunter. Erde rauf, festtreten. Zwei Schritte nach vorn, das nächste Loch, der nächste Baum. Rot-weiße Stangen markieren die Linie, auf der ich pflanze. 263 Bäume werde ich heute pflanzen. Für sie alle beginnt ein neues Leben. Und ich? Ich habe endlich das Gefühl, etwas zu tun. Gegen den Klimawandel. Und gegen meine Ohnmacht.
Bäume pflanzen ist Handarbeit auf unberäumten Flächen wie dieser. Forstrevier Buchenhorst, Vorpommerscher Landesforst. 3.000 Bäume sollen hier, rund elf Kilometer östlich von Ribnitz-Damgarten, auf dem einen Hektar großen Waldstück in die Erde. Die Eschen, die hier zuvor standen, wurden von einem Pilz dahingerafft: Eschentriebsterben. Es gibt Vermutungen, dass sich der aus Asien stammende Pilz aufgrund gestiegener Temperaturen auch hierzulande durchsetzen konnte.
Klimafolgen seit 70ern bekannt
Ich fühle mich ohnmächtig angesichts einer schier übermächtigen Gegnerin. Die Klimakrise verändert alles und ist doch nicht greifbar. Lässt sich nicht einfach wegschließen oder abbauen oder stoppen wie Bagger, die Braunkohle aus der Erde fördern. Der Klimawandel ist ein Prozess, so schleichend und geräuschlos, dass oft erst spät auffällt, wo er bereits eingedrungen ist. Wie eine Horde Borkenkäfer, die einen schwachen Baum erst anbohren und anschließend von innen auffressen.
Als Journalistin beschreibe ich, wo die Krise schon heute sichtbar ist. Aber reicht das? Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits möchte ich mehr tun. Andererseits begleitet mich dabei ständig ein ungutes Gefühl. Was kann ich allein schon ausrichten? Wenn Ölkonzerne wie Shell oder Gazprom ihre Arbeit einstellen würden, das wäre das eine. Ich bin nur ein einzelner Mensch. Ich kann diese Last doch gar nicht stemmen. Da ist sie wieder, die Ohnmacht. Sie mischt sich mit Angst. Was passiert, wenn nichts passiert?
Seit den 70er-Jahren weisen Forschende auf die Folgen der Erderwärmung hin, Hunderttausende protestieren mit Fridays for Future. Ich kann Flüge mit Geld kompensieren und beim Kauf von Bier und Schokolade Bäume für den Regenwald spenden. Aber politisch, gesamtgesellschaftlich? Geht alles sehr langsam. Helfen individuelle Taten in der Krise? Es ist die Hoffnung, die mich in den Wald treibt.
Zur Vorbereitung berechne ich meinen ökologischen Fußabdruck. Auf der Webseite des Umweltbundesamtes tippe ich die Daten ein: Wohnungsgröße, Alter und Zustand des Hauses, Heizung, Strom, Flüge, Ernährung, Einkommen. Ich wohne in einem alten Fachwerkhaus, meine Miniwohnung kommt auf nicht einmal 20 Quadratmeter. Mein Stromanbieter heißt „Fair“, liefert aber den gewöhnlichen Strommix. Ich esse kaum Fleisch, nur alle paar Wochen beiße ich in eine Stadionbratwurst. Im vergangenen Jahr kam ich auf zehn Flugstunden, ansonsten fahre ich Bahn und Fahrrad.
Viele Dinge sind für mich so selbstverständlich, dass ich kaum mehr darüber nachdenke. Fahrrad statt Auto, wenig Fleisch, am besten auch keine Kuhmilch, statt unzähliger Kurztrips besser lange in einem Land. Meine Sneaker habe ich schon 20-mal geflickt, mein Besitz passt in ein Vier-Quadratmeter-Lager. Ich weiß das, weil ich ihn für einen Umzug minimiert und in einem Lagerraum einquartiert habe.
Enter.
Der CO2-Rechner spuckt das Ergebnis aus: 7,95 Tonnen Kohlendioxid und andere, klimarelevante Gase wie Methan und Lachgas verursache ich jedes Jahr. Weniger als der deutsche Durchschnitt, immerhin. Der liegt bei 10,78 Tonnen pro Jahr. Weil Emissionen vielschichtig wirken, arbeiten CO2-Rechner mit Durchschnittswerten. Gebäude und Flüge fassen sie in Klassen und Stunden zusammen, dabei variiert der CO2-Ausstoß eines Fluges je nach Flugzeug- und Triebwerkstyp. Je differenzierter ein CO2-Rechner, desto besser. Nur so macht sich der Unterschied bemerkbar, ob man Milch vom Biohof oder aus intensiver Landwirtschaft kauft. Dem Klima aber bringt am meisten, was erst gar nicht ausgestoßen wird.
Bäume können das CO2 aus der Luft fischen, es binden, per Photosynthese in Sauerstoff umwandeln. Außerdem sind Bäume Wasserspeicher und Erosionsschützer, Wälder Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Und eine natürliche Klimaanlage. Elf Millionen Hektar Wald gibt es in Deutschland, etwa ein Drittel des Landes. Laut Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sind dort rund eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff gebunden.
Aber: Der Wald leidet, unter Stürmen, Trockenheit, Insekten. Von Januar 2018 bis April 2021 gingen in Deutschland über 500.000 Hektar Wald verloren, schätzt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt aufgrund von Satellitendaten. Das entspricht fast fünf Prozent der Waldfläche. Bei Waldbränden im vergangenen Sommer verbrannten weitere 4.200 Hektar. Und noch eine Zahl: Nur jeder fünfte Baum ist gesund.
Bäume binden Co2 aus der Luft
Abhängig von Alter, Baumart und Standort nehmen Wälder unterschiedlich viel CO2 auf. Eine Buche mehr als eine Fichte, Bäume in den Tropen mehr als Bäume in mitteleuropäischen Breiten, naturnahe Wälder mehr als Monokulturen, die dem schnellen Holzgewinn dienen. Die vereinfachte Faustformel lautet: Jeder Baum bindet zehn Kilogramm Kohlenstoffdioxid pro Jahr. Sein Leben lang. Das bedeutet: Um meine 7,95 Tonnen CO2 zu binden, sind 795 Bäume nötig. Da junge Bäume aber nur wenig CO2 binden, muss ein Baum durchschnittlich zehn Jahre alt werden, damit seine Klimabilanz positiv werden kann.
Um 8.15 Uhr sind fünf Roterlen in der Erde. Ich schnaufe, werfe meine Mütze beiseite und begutachte meine Bäumchen. Langsam kämpft sich die Sonne zwischen Ästen hervor, ein Bussard segelt davon, ein Hase springt über den Waldweg. Doch die Waldromantik mag nicht so recht zur harten Arbeit passen. Ich bücke mich zum nächsten Pflanzloch, der Rücken meckert. Aber das Loch muss tief sein, die Wurzeln gerade hängen. Nicht gedreht, nicht geballt. Noch mal schaufeln, Bäumchen rein. Ich schippe Erde auf die Wurzeln, trete sie fest.
Mir läuft der Schweiß über den Rücken. Ich hänge meinen Pullover über einen toten Ast, der Wind trägt den Mief davon. Mit der Wärme des Tages werfen auch Bienen, Hummeln und Falter ihre Motoren an. Ein Zitronenfalter flattert, aus der Winterstarre aufgetaut, ins Licht. Ich fühle mich wie eine echte Waldarbeiterin, als ich mittags mit dreckigen Fingernägeln und Stulle in der Hand über den Wald sinniere. Wie friedlich es hier draußen ist. Zwei Graureiher segeln über die Bäume, Kraniche drehen sich am Himmel, steigen höher. Ein Seeadler flattert aufgeregt davon.
Für einen kurzen Moment frage ich mich, warum ich mir das antue. Warum ich nicht einfach Geld zahle, um meine Emissionen zu kompensieren. Bequem von zu Hause. Die Auswahl an Projekten ist riesig, schwarze Schafe inklusive. Und so bleibe ich fürs Erste beim Selberpflanzen.
Pflanzen ist schwer, tut weh, ist wie ein Rausch, es macht den Kopf frei, verbindet mit der Natur, es erdet, macht wahnsinnig froh und glücklich. So formuliert es Dirk Vegelahn, der mir das Pflanzen beibringt. Vegelahn ist Forstingenieur und Umweltpädagoge, 52 Jahre alt. Er pflanzt aus Überzeugung. „Ich habe nichts davon, außer Geld und Arbeit. Ich mache das für die nächste Generation.“ Mehr als 480.000 Bäume hat er in seinem Leben schon in die Erde gebracht. „Wenn jeder 1.000 Bäume pflanzen würde, wäre schon viel gewonnen“, sagt er.
Friedrich Bohn, der am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zum Wald in der Klimakrise forscht, schränkt die Aussage ein: So seien die Bäume nur wirklich zählbar, wenn neuer Wald gepflanzt wird – nicht dort, wo Bäume erst geerntet und dann wieder aufgeforstet werden. Außerdem sei der Kreislauf wichtig. Landet ein Baum nach 60 Jahren im Wald für 20 Jahre als billiges Möbelstück in unserem Wohnzimmer und dann auf der Müllhalde, ist der Kohlenstoff nach 80 Jahren wieder in der Atmosphäre. Nachhaltig ist das nicht.
Bäume pflanzen fürs Klima. Es ist eine vermeintlich einfache Lösung für ein komplexes Problem. Ein paar Bäume in die Erde, dann sind meine Emissionen kompensiert. Selbst große Unternehmen denken so. Dabei produzieren wir immer noch viel zu viel Kohlendioxid, Menschen, Unternehmen, Staaten. „Würde die gesamte Weltbevölkerung so vorbildlich leben wie du, bräuchten wir nur 2,1 Planeten“, schreibt mir der WWF, bei dem ich meinen ökologischen Fußabdruck auch ausrechnen lasse. Nur zwei Erden.
„Ein gutes Gefühl, ein grüneres Gewissen“
Meine Hände sind braun, die Hose dreckig, in meinen Stiefeln steht das Wasser. Drei Bündel von je 25 Erlen habe ich mittlerweile eingegraben, meine Pausen werden länger, trotz Handschuhen spüre ich die Schwielen an den Händen. Und immer wieder: bücken. Loch buddeln, Bäumchen reinhängen, Loch zuschaufeln. Mein Körper jammert, mein Rücken ächzt, aber für das Gedankenkarussell ist die Arbeit wie ein Pausenknopf: Kopf aus, pflanzen. Bis die Knospen aufplatzen, kann man junge Bäume im Frühjahr setzen, dann erst wieder im Herbst, wenn das Laub abgeworfen ist.
Um eine große Buche mache ich einen Bogen, sie lässt zu wenig Licht zur Erde, die Erle hätte keine Chance. Einige Schritte weiter ramme ich den Spaten wieder in den Boden, springe darauf herum. Der Boden ist hart wie ein Brett. Ich heble mit aller Kraft und dem ganzen Körper. Der Aushub: dicht, dunkel und feucht. Lehm. Ein gutes Heim für eine junge Erle. Sie mag es feucht. Doch der klebrige Lehm und die relativ großen Erlen rauben Energie. Kleine Bäumchen wären besser, sagt Dirk Vegelahn, aber kleine Bäume waren aus in der Forstbaumschule Güstrow. Auch das eine Folge der Dürre: Die Bäume sparen sich die Blüte, es gibt weniger Samen.
Was macht das Pflanzen mit mir? Ein gutes Gefühl, ein grüneres Gewissen. Ein paar Punkte fürs Karma. Was sonst können meine paar Bäume ausrichten? Und doch: Das Pflanzen hilft, der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen. Die Klimakrise beende ich zwar nicht, dafür sind Entscheidungen an ganz anderer Stelle nötig. Aber ich tue etwas.
„Wieder ein Stück Wald gerettet“, sagt Dirk Vegelahn, als wir am Nachmittag die letzten Erlen einbuddeln. Ein Kolkrabe krächzt zur Bestätigung. Vegelahn will wiederkommen, wie ein Täter zum Tatort, wie er sagt. Gucken, wie es den Bäumen geht, seinen „Babys“. Zwei Tage waren wir im Wald, insgesamt 263 Bäume habe ich gepflanzt. „Und?“, fragt Dirk Vegelahn, „Kommst du noch mal mit?“
Ich denke an meinen Rücken. Und zögere. Doch die Frage lässt mich nicht mehr los. Zahlen kriegen mich und die Aufgabe erscheint machbar. Ich spüre, wie mein Ehrgeiz geweckt ist. 532 Bäume fehlen noch, dann kompensieren die von mir gepflanzten Bäume, was ich an Kohlendioxid verursache. Und zwar jedes Jahr. Es ist ein Anfang.