Seit dem Bruch der Ampel-Koalition hat Deutschland eine Minderheitsregierung. Der Bundestag kann weiter Gesetze verabschieden – wenn sich dafür eine Mehrheit findet. Eine Gratwanderung zwischen Notwendigkeiten, Verantwortung und Wahlkampfstrategien.
Dass es die Änderung der sogenannten Höfeordnung einmal bundesweit in die Schlagzeilen bringen würde, wäre vor wenigen Wochen noch äußerst unwahrscheinlich gewesen. Dass es etwas wie die Höfeordnung überhaupt gibt, dürfte kaum jemandem außer den unmittelbar Betroffenen vorher bekannt gewesen sein. Die mediale Aufmerksamkeit verdankt sie dem Bruch der Ampel-Koalition.
Seither amtiert eine rot-grüne Minderheitsregierung. Und die ist bei Gesetzesvorhaben auf Zustimmung anderer angewiesen. So wollte es die Tagesordnung, dass die Höfeordnung das erste Gesetz war, das nun mit Zustimmung der Opposition verabschiedet wurde.
Ansonsten geht die muntere Diskussion darum weiter, welche Gesetzesvorhaben und Projekte aus der Zeit der Ampel-Koalition trotz Wahlkampf noch eine Mehrheit im Bundestag finden könnten.
Mal geht es um Projekte, in denen es eigentlich ohnehin weitgehend übereinstimmende Positionen gibt (Beispiel Stärkung des Verfassungsgerichts), bei anderen Projekten drängt schlicht die Zeit (Beispiel Deutschlandticket). Das würde auch für eine ganze Reihe anderer Themen gelten, aber da sind die inhaltlichen Positionen zu weit auseinander, als dass sich eine Verständigung in Wahlkampfzeiten abzeichnen könnte. In der Regel sind das auch die Themen, die in der kurzen Wahlkampfzeit eine Rolle spielen dürften (Beispiel Rente).
Manche Dinge dulden keinen Aufschub
Eine Verfassungsänderung zur Absicherung des Bundesverfassungsgerichts wird es auf jeden Fall noch geben. Erstens ist darüber ohnehin schon Verständigung zwischen der ehemaligen Ampel und der Union erzielt worden, und zweitens ist sie jetzt noch möglich. Ob es dafür in der nächsten Legislaturperiode eine Zwei-Drittel-Mehrheit geben wird, ist nach Stand der Dinge eher unwahrscheinlich.
Einigung wird es wohl auch bei anderen Themen von übergeordnetem nationalem Interesse geben, die keinen Aufschub dulden. Dazu könnten auch Mandate für Einsätze der Bundeswehr im Ausland gehören. So laufen beispielsweis die Mandate im Mittelmeer (Sea Guardian) oder im Roten Meer (Schutz von Handelsschiffen) im Februar beziehungsweise März nächsten Jahres aus.
Bei den meisten anderen, vor allem innenpolitischen Themen wird es schon unübersichtlicher. Die Union hat kein sonderliches Interesse daran, dass von der Ampel mühsam ausgehandelte Projekte wie Rente oder Krankenhausreform noch zum Abschluss kommen. Das hat teilweise inhaltliche Gründe, hat aber auch viel mit Wahlkampftaktik und Machtspielen zu tun. Letzteres zeigen vor allem die gegenseitigen Forderungen, wer zuerst welchen Schritt tun müsse, damit man im Anschluss über dies oder jenes verhandeln könne.
Damit will sich die Union als treibende Kraft präsentieren und hat in der Tat auch in der jetzigen Situation die nötigen Druckmittel dazu.
Aber Friedrich Merz weiß auch, dass das eine Gratwanderung ist. Bei einer reinen Blockadepolitik würde die Union als bloße Verweigerungspartei da stehen, was ihr alles andere als nutzen würde. Gleichzeitig wird Merz natürlich versuchen, die Union als Retterin für eine Rest-Regierung darzustellen. Aber wirklich eigene Akzente wird sie in den Projekten, die im Grunde ausverhandelt kurz vor der endgültigen Verabschiedung standen, nicht mehr setzen können. Was wiederum Rot-Grün in die Lage versetzt, zeigen zu können, dass sie eben doch noch Projekte durchkriegen können. Das alles war am Beispiel des Deutschlandtickets im Grunde recht exemplarisch zu studieren, vom anfänglichen Nein aus Bayern bis zum Signal der Zustimmung.
Wirklich bemerkenswert sind aber erste Andeutungen von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hinsichtlich der Schuldenbremse. „Selbstverständlich“ könne man die Regeln reformieren. Mehr Geld für Konsum- und Sozialausgaben lehne er zwar kategorisch ab, sagte Merz, aber: „Ist das Ergebnis: Es ist wichtig für Investitionen, es ist wichtig für Fortschritt, es ist wichtig für die Lebensgrundlage unserer Kinder? Dann kann die Antwort eine andere sein.“ Damit hat er einerseits einige Parteifreunde vor den Kopf gestoßen, anderseits aber dem Rechnung getragen, was aus den Ländern längst zur Diskussion gestellt worden ist, bislang aber ziemlich abgebügelt wurde. Merz dürfte nicht entgangen sein, dass eine strikte Schuldenbremse kaum noch mehrheitlich zu vermitteln ist. Die Menschen sehen täglich den dringenden Investitionsbedarf. Zudem hat auch in Wirtschaft und Wissenschaft darüber schon lange ein Umdenken eingesetzt.
Befürworter einer Reform der Schuldenbremse (es geht nicht um komplette Abschaffung) hatten schon vor Monaten geahnt, Merz werde umdenken, wenn er die Handlungsfähigkeit einer künftigen und womöglich von ihm geführten Regierung in den Blick nehme. Konsequenterweise hatte die SPD sofort nach den ersten Andeutungen Gespräche über eine Reform angeboten. Was dann wiederum CDU-Generalsekretär Linnemann erstmal zurückwies.
Keine Abstimmung über den Haushalt
Dass Bewegung in diese Frage kommen würde, hatte sich also schon länger abgezeichnet. Ob es in Wahlkampfzeiten darüber eine Verständigung geben könnte, ist eher unwahrscheinlich. Dafür sind auch die ideologischen Positionierungen zu verhärtet. Was letztlich auch mit zum Bruch der Ampel beigetragen hat. Andererseits ist für eine Reform eine Änderung des Grundgesetzes nötig. Auch vor diesem Hintergrund könnte die Diskussion im Wahlkampf an Dynamik gewinnen.
Einen Haushalt für das kommende Jahr wird es aber nicht geben. Üblicherweise wird der im Dezember verabschiedet. Zunächst ist das kein Problem, das die unmittelbare Handlungsfähigkeit des Staates in Frage stellt. Die ist, anders als beispielsweise in den USA, durch gesetzliche Regelungen sichergestellt (Stichwort: vorläufige Haushaltsführung). Trotzdem sorgt dieser Zustand für eine ganz erhebliche Unsicherheit, weil im Grunde die Zukunft aller nicht gesetzlich festgelegter Aufgaben jetzt offen ist. Es kann derzeit keine neuen Programme und Projekte geben, und die Förderung für Projekte gerade im Sozialbereich ist völlig offen. Das betrifft Freiwilligendienste ebenso wie Migrationsdienste und Demokratieförderprojekte. Sozialverbände warnen deshalb vor „erheblichen Folgeschäden“. In den Ländern und Kommunen hat man sich deshalb längst daran gemacht, alles unter dem Aspekt zu durchforsten, was jetzt unsicher geworden ist. Diese Unsicherheit trifft dann auch die vielen Mitarbeitenden in diesen Bereichen. Und die dürfte auch noch mehr als ein halbes Jahr andauern.
Im günstigen Fall könnte mit einem verabschiedeten Haushalt vor den nächsten Sommerferien Klarheit herrschen. Das setzt voraus, dass nach der Wahl am 23. Februar die anschließenden Koalitionsverhandlungen zügig zu einem Ergebnis kommen (eine Alleinregierung einer Partei gilt nach Lage der Dinge als ausgeschlossen) und eine neue Regierung etwa Ende April/Anfang Mai gebildet sein könnte.