Die Ampel-Koalition wird ein weiteres Mal um die Verteilung knapper Geldmittel ringen müssen. Finanzminister Lindner hat Vorgaben gemacht – aber nicht alle Ressorts wollen dem folgen und fordern mehr Geld.
Sie haben geliefert. Pünktlich Anfang Mai haben die Ministerien ihre Finanzplanungen an Christian Lindner geschickt. Dass nicht in allen Paketen das drin ist, was der Bundesfinanzminister bestellt hat, ist wenig überraschend. Eigentlich liegt es sogar in der Natur der Sache.
Der Bundesfinanzminister hat enge Grenzen gesetzt für den Haushalt 2025. In den Ministerien braucht man aber Geld, um politisch gestalten zu können. Wer in Verhandlungen geht, setzt seine Forderungen naturgemäß gerne etwas höher an, um am Ende noch etwas rausholen zu können.
Dass dann erst einmal heftig gerungen wird, bis das Gesamtpaket geschnürt werden kann, gehört folglich zum politischen Geschäft. Genauso wie zu erwarten ist, dass die Diskussionen umso intensiver ausgetragen werden, wenn es um den Haushalt für ein Jahr geht, in dem auch Wahlen auf der Agenda stehen.
Einmal hatte der Bundesfinanzminister die Abgabefrist für die Vorlagen aus den Ministerien bereits verlängert, dabei aber gleich klargestellt: Entwürfe, die seinen vorgegebenen Rahmen überschreiten, könne er „nicht akzeptieren“. Das habe er so auch mit Kanzler und Vizekanzler, Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne), abgeklärt. Was einzelne Ressorts nicht daran hinderte, sich nicht ganz daran zu halten. Außen-, Entwicklungs- und vor allem Verteidigungsministerium haben jeweils mit Hinweis auf die außen- uns sicherheitspolitische Lage mehr Mittel gefordert. Was der Finanzminister zunächst (noch) nicht öffentlich kommentieren wollte. „Es gibt noch nichts zu sagen“, erklärte er am Abgabetag. Dass die Haushaltsdebatten zunehmend beschwerlicher würden, war von vornherein klar und hat Gründe.
Erstens werden die Aufgaben nicht kleiner. Das wird am augenfälligsten beim Verteidigungsetat, gilt aber auch für eine ganze Reihe weiterer Bereiche, vom Klimaschutz bis zu sozialen Fragen, etwa die Rente. Zweitens dümpelt die Wirtschaft seit geraumer Zeit vor sich, was sich auf Sicht auch auf die Einnahmeseite auswirken dürfte (worüber die Steuerschätzung Mitte Mai Auskunft geben wird) und gleichzeitig Maßnahmen erfordert, um Deutschland wieder vom Rand der Rezession wegzubringen.
Debatten um Entlastungen
Der Finanzminister hat für das kommende Jahr einen Ausgabenrahmen von 452 Milliarden Euro gesteckt, gegenüber 477 Milliarden in diesem Jahr. Womit allein schon deutlich wird, dass es straff zugehen wird. Vermutlich wird die Lücke nicht bei den 25 Milliarden liegen. Zunächst wird nämlich noch mit steigenden Steuereinnahmen als Nebeneffekt der Inflation, aber auch gestiegener Löhne nach den Tarifverhandlungen gerechnet. Unter Experten geht man von einer Lücke von etwa 15 bis 20 Milliarden Euro aus.
Jedenfalls sind die fetten Jahre erst einmal vorbei. Weil das allen Beteiligten klar ist, hat es schon im Vorfeld heftige Debatten gegeben, bei denen jeder der drei Koalitionspartner für sich einigermaßen klare Linien abgesteckt hat, in denen sich wiederum die Kernanliegen (und Profile) der Regierungspartner spiegeln.
Die SPD will keine Kürzungen im Sozialbereich mitmachen, auch nicht indirekte wie etwa eine faktische Rentenkürzung durch Abschaffung der Rente mit 63. Das hatte die FDP gefordert, die auch gleichzeitig auf ihrem Parteitag ein sogenanntes Wirtschaftspapier beschlossen hat, in dem manche geradezu eine Kampfansage gegen die beiden anderen Koalitionspartner gesehen haben.
Die FDP würde gerne den Solidaritätszuschlag, der hauptsächlich noch von Unternehmen gezahlt wird, ganz abschaffen zur Entlastung der Wirtschaft; SPD und Grüne wollen ihn beibehalten, weil das Geld dringend gebraucht wird. Die Liberalen wiederum betonen, man könne in den Verhandlungen nicht alle Sozialleistungen von vornherein „für sakrosankt erklären“.
Ein Entlastungspaket für die dümpelnde Wirtschaft scheint auch angesichts des globalen Wettbewerbs für alle Ampel-Partner durchaus angezeigt. Aber dafür an den Sozialbereich zu gehen, wie es die FDP will, machen die beiden anderen nicht mit.
Es zeichnet sich im Kern eine Debatte darüber ab, die in der Alternative mündet: Entweder bekommen die Menschen weniger Leistung, oder sie müssen mehr (Steuern) bezahlen. „Dass das eine erfreuliche Operation wird, kann niemand glauben“, wird Vizekanzler Habeck zitiert.
Nun gäbe es auch noch einen anderen Weg, aber auch der ist heftig umstritten, ebenfalls weil die Haltung dazu eng mit Parteiprofilen verknüpft sind, die wiederum keiner ein Jahr vor der Wahl verwässern oder gar aufgeben will. Es geht – einmal mehr – um die Schuldenbremse. Christian Lindner hat das zu einem Profilkern der FDP erklärt, will folglich keinen Millimeter davon abweichen.
Aber die strengen Schuldenbremsenbefürworter bekommen zunehmend heftigeren Gegenwind. Dass der von SPD und Grünen kommt, ist nichts Neues. Aber es gibt auch zunehmend Wirtschafts- und Finanzexperten, die sich zumindest eine Teiländerung vorstellen können. Der Staat habe immer mehr strukturelle Aufgaben wie digitale und ökologische Transformation, Verteidigung und Infrastruktur zu leisten, stellte der Wissenschaftliche Beirat im Bundewirtschaftsministerium bereits im letzten Jahr fest und forderte eine Neuausrichtung der Finanzpolitik: Erstmalige Investitionen, die die wirtschaftliche Substanz erweitern, sollten durch Schulden finanziert werden dürfen.
Aktuell hat auch die OECD, in der sich die Industriestaaten organisiert haben, an Deutschland appelliert. Die OECD hat in ihrem Ausblick für Deutschland gerade mal ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent für dieses Jahr in Aussicht (was mit anderen Prognosen übereinstimmt) und hat aus Sorge um die deutsche Wirtschaftsentwicklung eine Änderung der Schuldenbremse angeregt. Das sei nötig, „um den Spielraum für Nettoinvestitionen zu erhöhen“, so der OECD-Deutschlandexperte Robert Grundke.
Steigender Druck auf Schuldenbremse
Damit steigt der Druck, die nunmehr knapp 15 Jahre alte Schuldenbremse zu reformieren. Die war 2009 in Kraft gesetzt worden als eine Folge der Finanzkrise 2008/2009, um die Schulden öffentlicher Haushalte in den Griff zu bekommen. Kritiker hatten sie schon immer als „Investitionsbremse“ gesehen.
Da die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen wurde, wäre folglich eine neue Grundgesetzänderung mit einer Zweidrittelmehrheit erforderlich. Und die ist in dieser Legislaturperiode nicht in Sicht. Obwohl inzwischen auch innerhalb der Union intensiv darüber debattiert wird. Insbesondere auf Länderebene häufen sich die Stimmen, die für eine Reform plädieren. Parteichef Friedrich Merz hat dies aber bislang kategorisch zurückgewiesen.
Der aktuelle Deutschlandtrend (ARD, Mai 2024) wird die Parteien auch eher dazu ermutigen, an ihren bisherigen Positionierungen festzuhalten. Denn genau die werden von den jeweiligen Anhängern auch mitgetragen.
70 Prozent der FDP-Anhänger (und 63 Prozent der CDU-Anhänger) sind für die bisherige Schuldenbremse. Das umgekehrte Bild bei SPD- beziehungsweise Grünen-Anhängern, die zu 55 beziehungsweise 70 Prozent für eine Lockerung sind.
Das Ringen um den Haushalt wird sich also in den entsprechenden Rahmen bewegen, soweit nicht findige Haushaltspolitiker noch andere Wege ausmachen. Spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende letzten Jahres zur Umwidmung von Geldern aus Sondervermögen dürften aber alle auf der Hut sein.
Das heftige Ringen um die Verteilung der Steuergelder geht also in die nächste Runde. Wofür Geld da ist und wofür nicht, sind politische Wertentscheidungen, um die gerade vor einer Wahl besonders gerungen wird. Und weil die Lücke zwischen Wünschenswertem und Finanzierbarem ein weiteres Mal auseinanderklafft, dürfte die Debatte umso heftiger ausfallen.
Daraus dann eine tragfähigen und von allen Koalitionären tragbaren Haushalt 2025 hinzukriegen, ist nach Worten von Robert Habeck „eine anspruchsvolle Aufgabe“. Eine ziemlich diplomatische Formulierung für die erwartbaren Auseinandersetzungen.