Namibias erste Oper „Chief Hijangua“ feiert ihre Europa-Premiere in Berlin. Künstler aus verschiedenen Nationen arbeiten bei diesem Projekt harmonisch zusammen.
Für Opernfreunde ist der afrikanische Kontinent ein weißer Fleck auf der Landkarte. Opernhäuser gibt es nur in Ägypten, Algerien und Südafrika. Zu sehen sind hier meist die abendländischen Klassiker von Mozart bis Verdi. Eine Sensation war es daher, dass 2022 in Namibias Hauptstadt Windhoek die neue Oper eines einheimischen Komponisten uraufgeführt wurde. Die Produktion „Chief Hijangua“, deren Handlung im kolonialen Deutsch-Südwestafrika spielt, kommt nun nach Berlin.
Genau genommen handelt es sich um eine deutsch-namibische Oper: Der Komponist Eslon Hindundu stammt aus Namibia, der Librettist Nikolaus Frei kommt aus München. Regie führt Kim Mira Meyer, die als Geschäftsführerin der Münchener Momentbühne das Projekt in die Wege leitete. Gesungen wird auf Otjiherero und Deutsch. Auf der Bühne stehen Sängerinnen und Sänger verschiedener Hautfarben – aus Namibia, Südafrika und Deutschland.
Die Saat für diese einzigartige Produktion wurde 2019 beim Opernfestival Immling im Chiemgau gelegt. Hier war Kim Mira Meyer als Regie-Assistentin tätig. Eslon Hindundu flog als Chorleiter aus Windhoek ein. Die beiden hatten die Idee für ein gemeinsames Opernprojekt.
Neue Möglichkeiten für namibische Musiker
„Das war eigentlich eine ziemlich verrückte Idee, denn Oper ist auf dem afrikanischen Kontinent eine Seltenheit“, erzählt Komponist Hindundu. „Wenn ein Namibier in die Oper gehen will, muss er ins südafrikanische Kapstadt reisen. Meine Motivation war es, den Namibiern die klassische europäische Musik zu zeigen und neue Möglichkeiten für namibische Musiker zu schaffen. Es gibt so viel musikalisches Talent in Namibia, das aber verloren geht.“
Zugleich ging es Eslon Hindundu darum, das musikalische Erbe seiner Heimat zu bewahren. „Unsere Musik ist nicht gut erforscht und dokumentiert“, erklärt er. „In letzter Zeit verliert sie an Bedeutung. In Schulen und in der Öffentlichkeit werden die alten Volkslieder nicht mehr gesungen; es besteht die Gefahr, dass wir dieses kulturelle Erbe verlieren. Mit der Komposition einer Oper wollte ich auch einen Teil unserer Musikgeschichte bewahren.“ Die Corona-Pandemie legte der Verwirklichung Steine in den Weg, doch schließlich ging im September 2022 die Uraufführung von „Chief Hijangua“ im ausverkauften Nationaltheater von Windhoek über die Bühne. Es musizierte das Namibian National Symphony Orchestra, wo Profis und Amateure gemeinsam an den Pulten sitzen.
Da es in Namibia keine Tradition des Operngesangs gibt, wurden Solisten aus Südafrika engagiert. Die Chorsänger hat Eslon Hindundu, der in Südafrika studierte, persönlich in die klassische Gesangstechnik eingewiesen. „Wir kombinieren den klassischen Operngesang mit der herkömmlichen Art und Weise, wie die Namibier singen“, erzählt er. „Diese Mischung ist ganz erstaunlich. Wir haben einen tollen Klang erreicht.“
Auch mit der Resonanz auf die Aufführungen in Windhoek ist er zufrieden. „Bei mir haben sich anschließend mehrere namibische Sänger gemeldet, die in den USA, Südafrika oder Deutschland arbeiten. Sie wünschen sich mehr namibische Opern und möchten sich einbringen.“
Um die Produktion nach Deutschland zu bringen, wurde das Siemens Arts Program mit ins Boot geholt. In dessen Räumlichkeiten am Berliner Gendarmenmarkt trafen sich die Beteiligten im Februar 2023 zu einem Konzeptions-Workshop, an dessen Ende eine deutliche Weiterentwicklung des Stücks stand. „In Namibia hatten wir eigentlich nur an der Oberfläche gekratzt“, meint Eslon Hindundu. „Man konnte zwar die Schönheit des Ganzen erkennen. Aber als sich in Berlin das gesamte Team jeden Aspekt noch einmal gründlich vornahm, haben wir aus dem Stück noch viel mehr rausgeholt.“
Vom 15. bis zum 17. September läuft die Europa-Premiere von „Chief Hijangua“ im Berliner Haus des Rundfunks. Eslon Hindundu dirigiert das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Eine Fassung für Kinder wird vom 21. bis zum 23. September im Humboldt Forum gezeigt. Die Hauptrolle des Prinzen übernimmt der südafrikanische Bariton Sakhiwe Mkosana, der die Partie auch schon in Windhoek gesungen hat. Mkosana startete seine Karriere am Opernhaus von Kapstadt, inzwischen ist er Mitglied des Opernstudios Frankfurt und gewann mehrere Gesangs-Wettbewerbe.
Die Handlung von „Chief Hijangua“ vereint Sagen und Geschichten, die in Namibia über Generationen hinweg mündlich überliefert wurden. „Das Geschehen spielt sowohl in einem mythischen Zeitalter als auch irgendwann im 19. Jahrhundert in der realen Landschaft Namibias“, sagt der Librettist Nikolaus Frei.
Bei Bühne, Kostümen und Maske verbindet sich eine europäische mit einer sowohl traditionellen als auch zeitgenössischen namibischen Gestaltung. Afrofuturistisches Design geht einher mit einer multimedialen Bereicherung durch die namibische Künstlerin Isabel Katjavivi.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein namibischer Prinz. Er liebt das schönste Mädchen seines Dorfes, das aber seinem älteren Bruder versprochen ist. Daher geht er in die Fremde, wo er allerlei Abenteuer erlebt und bei der Familie eines deutschen Missionars hängen bleibt. Obwohl er schließlich getauft wird, gibt es kein Happy End. „Mein erster Impuls war es, die brutale Kolonialgeschichte darzustellen, um historische Aufarbeitung zu leisten“, erinnert sich der Librettist Nikolaus Frei. Im Hinterkopf hat er den Massenmord an den Herero, der unter der Kolonialherrschaft des Deutschen Reiches stattfand. „Doch je mehr ich Eslon Hindundu zuhörte, desto klarer wurde mir: Eine Oper ist dafür nicht das richtige Genre.“
Nun lässt sich die Geschichte vom „Chief Hijangua“ eher als ein Gleichnis auf den Kolonialismus lesen. Eslon Hindundu, der den englischen Part des Librettos in seine Muttersprache Otjiherero übersetzte, hat auch für eine gehörige Prise Herzschmerz gesorgt. „Ich wollte den Stoff etwas würzen“, lacht er.
Handlung vereint Sagen und Geschichten
Hindundu studierte Musik im südafrikanischen Bloemfontein und verdient sein Geld als Chordirigent in Windhoek. „Ich leite einen eigenen Chor, die Vox Vitae Singers, mit dem ich häufig bei Regierungsveranstaltungen oder in Firmen auftrete. Außerdem probe ich mit dem Chor meiner Kirche“, erzählt der 27-Jährige. „Als Vollzeitmusiker in Namibia zu überleben ist sehr schwierig. Aus diesem Grund ist die namibische Musik auch nicht so entwickelt, wie sie es sein könnte.“ Besonders kritisch war die Lage während der Pandemie. „Ich habe von der Regierung zumindest eine kleine Kompensation bekommen und nutzte die Zeit, ein halbstündiges Oratorium zu schreiben“, erzählt Hindundu, der sich sehr für die europäische geistliche Musik aus Renaissance und Barock interessiert. Johann Sebastian Bach war eine Inspirationsquelle für seine Oper. „Bach nahm die alten Choräle und erweckte sie zu neuem Leben“, meint Hindundu. „Also dachte ich mir, ich könnte etwas Ähnliches mit den namibischen Gesängen anstellen.“ Ein ganz neuer Opern-Klang sei da entstanden, verspricht der Komponist: eine Verbindung zwischen klassischer europäischer Musik und traditionellen namibischen Elementen. „In der namibischen Musik gibt es besondere Tonleitern und Rhythmen“, so Hindundu. „All das hört man in der Oper.“
Hindundu setzt auf die in Europa entstandenen Harmonien in Dur und Moll. So kann sich das Orchester am einfachsten einfügen. Außerdem werden diese Harmonien von allen Namibiern verstanden. „Ich möchte in der multikulturellen Gesellschaft Namibias jeden erreichen“, erklärt Hindundu. „Buren, Deutschnamibier, Ovambo, Südafrikaner, Tswana – alle dürfen sich angesprochen fühlen.“ Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit spielt für ihn keine vordergründige Rolle. Hindundu ist sogar ein wenig verwundert. „In allen Gesprächen hier kommt dieses Thema auf“, erzählt er beim Berliner Workshop im Februar. Ihn beflügelt vor allem das gemeinsame Reden, Nachdenken, Musizieren.