Seit Monaten fordern Städte und Gemeinden vom Bund mehr finanzielle Unterstützung, vor allem bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten. Nach einem Gipfel in Berlin heißt es beim Kanzler: warten bis Ostern.
In den ersten zwölf Monaten des Krieges sind mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland angekommen. Auch wenn die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung groß ist: Städte und Gemeinden kommen bei der Unterbringung und Versorgung der Kriegsflüchtlinge nicht mehr hinterher. Der Landrat des Kreises Märkisch-Oderland, Gernot Schmidt, bringt die Schwierigkeiten klar auf den Punkt: „Das Kernproblem ist, dass Land und Bund es sich sehr einfach machen, vom Bund wird über die Länder delegiert. Die reichen die Vorgaben weiter, wir müssen dann in den Gemeinden sehen, wie wir klarkommen", so der SPD-Mann, der seinem Brandenburgischen Kreis seit 18 Jahren vorsteht. 5.000 Geflüchtete hat seine Kommune, östlich zwischen Berlin und der Oder gelegen, seit 2015 aufgenommen. Vor allem Familien mit Kindern wurden in seiner Region sesshaft. Doch nun sei Wohnraum nicht nur knapp, es gibt ihn einfach nicht mehr. Außerdem fehlen Kitaplätze, und in den Schulen ist es schon seit langem schwierig. „Es hängt alles vom Ausbau der Infrastruktur ab, um den Menschen hier bei uns eine vernünftige Perspektive bieten zu können, doch das kostet Geld, viel Geld". Gernot Schmidt hat eine deutliche Forderung, hier muss der Bund helfen. So wie ihm geht es vielen Landräten, Bürgermeistern und Ortsvorstehern.
Perspektiven hängen von Infrastruktur ab
Unisono sind sich die Kommunalvertreter einig, dass jetzt schnell mehr Investitionen nötig sind mit weniger Bürokratie, damit zum Beispiel schneller gebaut werden kann. Doch selbst wenn gebaut werden kann, droht Ärger, wie dies gerade der Landrat von Nordwestmecklenburg Tino Schomann erleben muss. Sein Plan war, im verwaisten Gewerbegebiet der Kreisstadt Grevesmühlen bei dem kleinen Dorf Uphal ein Containerdorf für Flüchtlinge aufzubauen, da es sonst im Landkreis Nordwestmecklenburg überhaupt keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr gibt. Alle Liegenschaften von Land und Bund sind bereits belegt. Doch nun fühlen sich die nicht mal 1.000 Einwohner in Uphal mit der Ansiedlung von Flüchtlingen überfordert, immerhin sollen 400 bis 500 Menschen im Gewerbegebiet untergebracht werden. Eines der Argumente in Grevesmühlen klingt nachvollziehbar. Da auch hier zum größten Teil mit Frauen und Kindern gerechnet wird, braucht es Kitas und Schulen und, nicht zu vergessen, ärztliche Grundversorgung. Doch schon allein diese drei Punkte können überhaupt nicht erfüllt werden. Nordwestmecklenburgs Landrat Schomann ist das auch klar. Auf Antworten auf seine entsprechenden Nachfragen im Innenministerium in der Landeshauptstadt Schwerin wartet er noch heute. Selbst die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan räumt gegenüber FORUM ein, Integration könne nur in der Mitte der Gesellschaft gelingen und nicht in Containerdörfern in irgendwelchen Gewerbegebieten. Diese Weisheit ist nicht neu und begleitet die Debatte um Flüchtlingsaufnahme und Integration spätestens seit dem Sommer 2015.
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Dr. Gerd Landsberg warnt schon seit Beginn des Ukrainekrieges vor einem Jahr, dass nun schnell Unterbringungskapazitäten geschaffen werden müssten. „Eine Tatsache, die von der Bundesregierung einfach nicht gesehen wird: Viele der Unterkünfte, die nach dem Flüchtlingsansturm 2015/16 geschaffen wurden, sind immer noch teilweise mit den Erstbewohnern belegt". Landsberg spielt gegenüber FORUM damit auf das Argument von Bundesinnenministern Nancy Faeser an, wonach der Bund den Ländern und Kommunen in den letzten sieben Jahren ja bereits sehr viel Geld für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten bereitgestellt habe. Faeser verweist dabei auf die 3,5 Milliarden im vergangenen Jahr und die für dieses Jahr bereitgestellten 2,75 Milliarden Euro. „Die Zahlen sind unstrittig", so der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager.
„Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass von diesem bereitgestellten Geld nur zirka 60 Prozent tatsächlich in den Städten und Gemeinden ankommen". Der Rest werde für Aufgaben der Länder bei der Verteilung der Flüchtlinge gebraucht. Zum Beispiel für den Bau von zentralen Aufnahmezentren und für den bürokratischen Apparat, um dann die vom Land aufgenommenen Menschen in die Städte und Gemeinden des Landes zu verteilen.
Unterdessen ist der politische Druck gerade von den Kommunen so groß geworden, dass sich federführend Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu einem Migrations-Gipfel entschloss. Unklar war bis zum Beginn der Zusammenkunft von Bund, Ländern und Kommunen, ob es nun ein „Migrations"- oder doch ein „Flüchtlings-Gipfel" sein sollte. Zwei entsprechende Einladungen aus dem Bundesinnenministerium kursierten im Vorfeld des Treffens. Dort wurde extra der große Sitzungssaal im ersten Stock des Hauptgebäudes für den Flüchtlings- oder eben Migrationsgipfel gebucht. Das war auch nötig, denn allein die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände kamen schon mal auf gut 100 Personen. Dazu dann noch die zuständigen Vertreter des Bundes, angeführt von Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Doch die kam mit leeren Taschen und hatte nur Ankündigungen im Gepäck. Wie zum Beispiel die Einrichtung eines digitales „Dashboard" zur Migration bis auf die Landkreis-Ebene hinunter. Dieses Dashboard soll für Transparenz sorgen, so Faeser.
Die kommunalen Vertreter nannten dieses weitere Bürokratie-Instrument übereinstimmend einen schlechten Witz. Vor allem, weil bis zum heutigen Tag nicht klar ist, was dieses Dashboard bewirken soll. „Wir brauchen nicht noch zusätzliche Verwaltungsaufgaben, sondern konkrete finanzielle Hilfen", so der Präsident des Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg. Doch Vereinbarungen, oder auch nur die Aussicht auf zusätzliches Geld vom Bund für die Unterbringung und Versorgung für die Kommunen gibt es nicht. Dagegen behauptet Bundesinnenministerin Faeser, sie habe einen klaren Fahrplan, um die Finanzierung weiter zu regeln und Bilanz zu ziehen. „Hierüber werden auch der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten an Ostern weiter verhandeln", so Faeser.
Verhältnis Bund zu Kommunen angespannt
Die anwesenden Landräte, Ortsvorsteher und Bürgermeister fühlten sich in Anbetracht der Probleme nun endgültig auf die Schippe genommen. Spätestens auf der anschließenden Pressekonferenz platzte dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags, Hans-Günter Henneke, der Kragen. Hamburgs Innensenator Andy Grote, ein SPD-Parteifreund von Bundesinnenministerin Faeser, versuchte in seinem Statement dem Flüchtlingsgipfel noch etwas Gutes abzugewinnen. Darauf rief Hauptgeschäftsführer Henneke „Heuchelei" und verließ schnurstracks den Saal.
Das Verhältnis zwischen Bund und Kommunen scheint nach diesem Migrations-, oder auch Flüchtlings-Gipfel endgültig einen Tiefpunkt erreicht zu haben. Doch der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, gibt die Hoffnung nicht auf. „Wir erwarten bei der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler eine deutliche finanzielle Unterstützung der Städte und Gemeinden, die über die bisherigen Zusagen hinausgeht und die höheren Kosten für Unterkunft, Schule, Kita und Integration wirklich deckt." Doch Bundesfinanzminister Lindner dämpfte direkt nach dem Spitzentreffen von Bund, Ländern und Kommunen gleich mal die Erwartungen. Im laufenden Haushalt gäbe es wenig Spielraum für weitere finanzielle Hilfen, ließ Lindner per Staatssekretär mitteilen. Doch auch für die Kommunen gilt: Die Hoffnung stirbt bekanntlich immer zuletzt.