Mit dem Sieg gegen Bayern gelang Rüdiger Ziehl der bisher größte Erfolg seiner Trainer-Karriere. Im FORUM-Interview gibt er Einblicke über die Partie gegen den Rekordmeister und blickt auf den bisherigen Saisonverlauf zurück.
Herr Ziehl, als nach dem Schlusspfiff gegen die Bayern die absolute Ekstase ausbrach, wirkten Sie ruhig und in sich gekehrt. War Ihnen in diesem Moment bereits bewusst, dass etwas ganz Besonderes geschehen ist?
Wenn man mehr als 90 Minuten an der Linie steht, fällt nach dem Schlusspfiff zuerst die Anspannung weg. Da geht jeder anders mit um. Ich gehe nach dem Spiel normalerweise zuerst auf den Platz. Diesmal bin ich direkt in die Kabine. Natürlich denkt man in dem Moment daran, dass dies ein besonderer Sieg war. Aber ich glaube, die ganze Tragweite, die haben die Beteiligten erst in den Tagen danach realisiert. Nach so einem Spiel gratulieren Dir unglaublich viele Menschen, die Spieler haben sich zu Recht feiern lassen. So richtig einordnen konnten wir das erst, als wir in den Tagen danach wieder für uns waren. Das ist den Jungs auch bewusst geworden. Wenn Marcel Gaus in 30 Jahren ins Saarland kommt, wird sich jeder an seinen Treffer erinnern. Die Leute werden wissen, dass Manuel Zeitz Kapitän dieser Mannschaft war, und vielleicht wird sich der eine oder andere daran erinnern, dass der Ziehl damals auf der Bank gesessen hat.
Direkt nach dem Abpfiff ist von einem historischen Sieg gesprochen worden. Was bedeutet dieser Sieg für den Verein? Und wie ordnen Sie ihn in der Vereinshistorie ein?
Es wurde direkt der Vergleich mit dem 6:1 aus dem Jahr 1977 gezogen. Man muss berücksichtigen, dass man damals in einer Liga gespielt hat und die Bayern am Ende nur Siebter wurden. Sie hatten in der Saison elf Niederlagen, davon eine in Saarbrücken. Ich glaube, die Höhe des Ergebnisses war damals so außergewöhnlich. Wenn man als Drittligist gegen den amtierenden Meister gewinnt, dann ist das vom Grad der Sensation her schon anders. Ich bin noch nicht so lange hier, aber man bekommt natürlich schon mit, dass es Spiele gibt, die einen hohen Stellenwert haben. Man wird oft auf das 6:1 angesprochen. Die Menschen erzählen häufig vom 2:0 gegen Kaiserslautern 1992 mit den beiden Toren von Eric Wynalda. Natürlich sind die Erinnerungen an die Pokalsaison von 2020 noch präsent, mit den fünf gehaltenen Elfmetern von Daniel Batz. Dieses Spiel gegen die Bayern wird ab sofort dazugehören. Wir haben Geschichte geschrieben.
Sie haben das Pokal-Wunder von vor drei Jahren angesprochen. Damals hießen die Bundesligisten Köln und Düsseldorf. Hinzu kam die besondere Situation im Völklinger Exil. Ganz ehrlich: Kein Journalisten-Kollege, kein Fan, mit dem ich vorher gesprochen habe, hat einen Sieg gegen die Bayern auch nur ansatzweise im Bereich des Möglichen gesehen. Wie ist es Ihnen gegangen?
Ganz genauso. Klar, als Trainer überlegst Du Dir, was man machen kann, um irgendwo eine minimale Chance zu sehen. Aber ich habe gewusst, dass wir, wenn die Bayern dieses Spiel richtig ernst nehmen, keine Chance haben werden. Also haben wir uns auf uns konzentriert. Ich habe der Mannschaft gesagt, dass wir das tun müssen, was wir beeinflussen können. Dass wir eine absolute Topleistung brauchen.
Die Partie begann gut, in der ersten Viertelstunde war man ebenbürtig. Dann traf Thomas Müller quasi aus dem Nichts. Doch Ihr Team hat die Köpfe nicht hängen lassen, sondern weiter Gas gegeben. War das der Schlüssel zum Erfolg?
Ich glaube, der Grundstein wurde direkt am Anfang gelegt. Wir hatten in den ersten drei, vier Minuten einige Balleroberungen und recht viel Ballbesitz. Dadurch ist das Selbstvertrauen gestiegen. Ich habe den Führungsspielern gesagt, dass nach einem Gegentor die Köpfe sofort wieder hochgehen müssen. Wir wussten ja nicht, wie Bayern reagiert. Bekommen sie Spaß am Spiel? Haben sie plötzlich Lust, Tore zu schießen? Man hat ja vier Tage vorher gesehen, wie das gegen Darmstadt geendet ist.
In den letzten zehn Minuten vor der Pause hatte Ihre Mannschaft plötzlich Chancen. Und dann ist der Ausgleich gelungen. Was haben Sie dem Team in der Halbzeit gesagt?
Man hat vorher auf der Bank gemerkt, dass die Unzufriedenheit gewachsen ist. Wir waren gut im Spiel, und normalerweise bekommt man gegen die Bayern nicht so viele Chancen. Das war der Moment, wo man schon gedacht hat, heute könnte was gehen. Ich gehe in der Pause immer mit meinem Staff zuerst in meine Kabine und wir schauen uns ein paar Videosequenzen an. Da haben wir uns angeschaut und gefragt: „Was passiert hier gerade?“ Ich bin dann rüber zur Mannschaft und habe die Jungs eher beruhigt. Das Spiel war vorher sehr wild, die Euphorie groß. Es war wichtig, dass wir zur gewohnten Ordnung zurückkommen.
Nach 60 Minuten hat Ihr Kollege Thomas Tuchel plötzlich drei Nationalspieler eingewechselt. Die TV-Bilder zeigen, dass sie fast ungläubig rübergeschaut haben. Was haben Sie in dem Moment gedacht?
(lacht) Das war schon ein bisschen surreal. Es steht 1:1 und dann wechselt der solche Raketen ein. Ich habe zu meinem Co-Trainer gesagt: „Mein Gott, was machen wir jetzt?“
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Die Bayern haben das Saarbrücker Tor belagert, und Ihr Team hat dann in der Nachspielzeit den einzigen Torschuss der zweiten Halbzeit zum Siegtreffer genutzt. Plan voll aufgegangen, könnte man sagen …
Wenn man es so sehen möchte. Es war doch klar, dass wir dieses Tempo nicht ewig hätten durchhalten können. In der Verlängerung hätten die Bayern uns vermutlich abgeschossen. Ich habe offensiv gewechselt. Wir haben auf eine Standardsituation spekuliert oder den einen Konter. Es war klar, dass wir maximal diesen einen Abschluss bekommen würden. Die Situation haben wir allerdings mutig und perfekt ausgespielt.
Im Achtelfinale kommt nun Eintracht Frankfurt. Kein ganz so großes Kaliber wie die Bayern, aber schon gehobene Bundesliga-Klasse. Wie sehen Sie die Chancen?
Es gilt das Gleiche wie vor dem Bayern-Spiel. Nehmen sie das Spiel hundertprozentig ernst und haben sie eine gute Tagesform, ist es eine Aufgabe, die ein Drittligist kaum lösen kann. Aber wir werden uns genauso vorbereiten und versuchen, eine Topleistung zu liefern. Wir haben jetzt das Selbstvertrauen, weil wir gezeigt haben, dass wir es können. Auf der anderen Seite sind die Frankfurter natürlich gewarnt.
Wie schätzen Sie den Gegner ein?
Sie hatten im Sommer einen gewaltigen Umbruch und sind dafür schon sehr weit. Die Resultate stimmen. Sie haben vielleicht nicht mehr auf allen Positionen die ganz großen Namen in ihren Reihen, aber neben einigen gestandenen Spielern haben sie unglaublich viele junge, hungrige Spieler mit enormem Potenzial. Dazu kommt eine überragende Fan-Base. Das ist ein ganz spannendes Projekt, was da in Frankfurt derzeit entwickelt wird.
Der Pokal-Coup gegen die Bayern hat ein wenig vom tristen Liga-Alltag abgelenkt. Was ist in dieser Saison noch drin?
Die ersten beiden Mannschaften haben einen enormen Vorsprung. Wir hätten aufgrund des Potenzials mehr Spiele gewinnen müssen. Da sind wir jetzt in der Pflicht. Unser Ziel muss es sein, dass wir schnellstmöglich ein gutes Polster nach unten schaffen. Mittelfristig müssen wir uns auf einen einstelligen Tabellenplatz hocharbeiten. Erst danach können wir über weitere Ziele sprechen.
Kritiker werfen Ihnen eine verfehlte Kaderplanung vor. Das Aufgebot wäre zu klein. Was entgegnen Sie diesem Argument?
Wir hatten bisher in jedem Spiel die Option auf vier qualitativ gute Auswechslungen. Das ist ausreichend. Dann sind natürlich Dinge passiert, die man nicht beeinflussen kann. Der Unfall von Patrick Schmidt hat uns hart getroffen. Sportlich und auch von der Mentalität her. Richard Neudecker hat sich während eines Spiels verletzt, bei Bjarne Thoelke waren wir sicher, dass er früher zurückkommt. Wir haben auch mit Sebi Jacob gerechnet, der uns leider nun die gesamte Runde fehlen wird. Und Kasim Rabihic hatte dann nicht mehr die Form wie im Frühjahr. Wenn solche Sachen gebündelt auftreten, kann es Probleme geben. Es war auch viel Pech dabei.
Durch die Pokal-Erfolge wurde ordentlich Geld in die Kasse gespült. Gehen Sie im Winter auf Einkaufstour?
Man darf nicht vergessen, dass die Brutto-Einnahmen nicht netto in den Kader fließen. Wir zahlen ja auch sehr gute Prämien für diese Erfolge. Natürlich haben wir jetzt Spielräume. Wir haben den Markt die ganze Zeit beobachtet. Aber ich bleibe dabei, dass wir nur Dinge machen, die Sinn ergeben. Ich hätte kurzfristig gerne einen zentralen Stürmer geholt, aber es war leider nichts dabei, was zu realisieren war. Im Winter ist die Marktlage eine andere.
Was werden Sie tun?
Es steht außer Frage, dass wir nach den Ausfällen von Schmidt und Jacob vorne reagieren wollen. Wir wissen um das Anforderungsprofil und sind in Gesprächen. Nur weil nichts nach außen dringt, heißt es nicht, dass wir untätig sind. Das ist die Position, wo man von der Faktenlage her sagen kann, dass wir da etwas tun müssen. Ansonsten ist die Überlegung, in der Winterpause auch noch jemanden für die Dreierkette zu holen, auf jeden Fall da.