Der Angriff der US-Regierung auf die freie Wissenschaft geht weiter. Unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau und Kulturkampf sollen mächtige Institutionen per Geldentzug gefügig gemacht werden.

Tausende Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden und der Entwicklungsbehörde USAID sind entlassen, die USA sind aus der Weltgesundheitsorganisation ausgetreten. Der Angriff der Trump-Regierung auf die freie Wissenschaft stürzt die amerikanische Hochschul- und Forschungslandschaft in ein Chaos ungeahnten Ausmaßes. Die renommierte Rechtsfakultät der Columbia-Universität sammelt in ihrem „Silencing Science Tracker“ Angriffe der US-Regierung auf die Wissenschaftsfreiheit, die seit 2016 ausschließlich aus den Reihen der Trump-Regierungen kamen. Seitdem hat sie bis Ende April 619 Fälle dokumentiert: von Entlassungen über zensierte oder abgeschaltete Webseiten bis hin zu entzogenen oder zurückgehaltenen Bundesmitteln in Milliardenhöhe. Zu den angegriffenen Forschungsthemen gehören unter anderem die Klimaforschung, einschließlich kritischer Energieprojekte, die medizinische und Gesundheitsforschung, insbesondere in Bezug auf Impfungen und solche mit geschlechtsspezifischen Auswirkungen, Umweltschutzthemen, die Lehre der Evolutionstheorie in Schulen oder die Forschung zur Waffenkontrolle.
Mit einer Art Scheckbuchpolitik greift die Regierung tief in das Selbstbestimmungsrecht der Universitäten ein – frei nach dem Motto, wer mitbezahlt, bestimmt auch mit. Nun wurde die Columbia selbst prominentes Opfer: Anfang März drohte Trump mit dem Entzug von 400 Millionen US-Dollar Bundesgeldern, wenn sich die Uni nicht seinem Dekret beuge – offiziell im Kampf gegen Proteste von Studierenden gegen Israels Gaza-Feldzug, unter die sich oft antisemitische Parolen mischen. Der jährliche Etat der Universität betrug 2024 6,6 Milliarden Dollar. Die Columbia knickte ein, erließ Disziplinarmaßnahmen gegen protestierende Studierende auf dem Campus und erlaubte, dass das Heimatschutzministerium dort nun frei agieren darf. Das nächste Ziel Trumps, die ebenso renommierte Harvard University, zieht gegen den geplanten Entzug von 2,3 Milliarden Dollar Bundesmittel vor Gericht.
Vermehrt Klagen gegen US-Heimatschutz
Der erste Verfassungszusatz schützt jedoch das Recht von Studierenden an öffentlichen Hochschulen und Universitäten, ihre Meinung zu äußern, auch wenn andere mit den geäußerten Ansichten oder der Ausdrucksweise nicht einverstanden sind; an privaten Unis gilt dies, je nach Bundesstaat, aber nicht. Nicht nur gesprochene und geschriebene Worte sind in allen anderen Fällen davon abgedeckt – der erste Verfassungszusatz schützt auch andere Ausdrucksformen wie symbolische Kleidung, Sit-ins, das Verteilen von Flugblättern und Streiks. Studierende wurden dennoch an öffentlichen Universitäten teils ohne Vorwarnung verhaftet, ihre Visa entzogen. Bis zum 23. April haben über 270 Colleges und Universitäten mehr als 1.730 internationale Studenten und Absolventen identifiziert, deren Rechtsstatus vom Außenministerium geändert wurde. Auch diese ziehen nun vermehrt vor Gericht, derzeit gebe es 16 Klagen. In einer Klage gegen das Heimatschutzministerium in Indiana heißt es, die Maßnahmen seien „willkürlich, launenhaft, ein Ermessensmissbrauch und auch sonst nicht im Einklang mit Gesetz und Verfassung“.
Aber nicht nur Universitäten haben mit der Politik nach Gutsherrenart zu kämpfen, auch Bundesforschungseinrichtungen und andere Institutionen, die unter anderem mit Regierungsgeldern arbeiten. Ein konkreter Fall: „Eine der ersten Maßnahmen der Regierung war die Erklärung, dass Aktivitäten im Zusammenhang mit Diversität, Equity (ungefähr als Gleichberechtigung übersetzt) und Inklusion künftig unerwünscht sein würden“, so berichtet es eine Leiterin eines amerikanischen Krebsforschungsinstitutes, die anonym bleiben möchte (Name der Redaktion bekannt). „Dies hat dazu geführt, dass eine einfache Wortsuche in Drittmittelanträgen durchgeführt wurde, um zu überprüfen, welche nicht mit den Prioritäten der Regierung übereinstimmen. Einige der markierten Anträge beziehen sich auf ‚diverse Pflanzen in der Landwirtschaft‘.“ Die Folge: Ein bedeutender, bereits bewilligter biomedizinischer Antrag über mehr als 35 Millionen Dollar wurde gekündigt – wegen problematischer Worte in der Zusammenfassung. „Dieses Großprojekt finanziert zahlreiche klinische Studien und medizinische Ausbildung sowie über 100 Mitarbeitende. Wir haben Wochen damit verbracht, den Politikern, den Medien und anderen Interessengruppen den korrekten Umfang des Antrags zu erklären und entsprechende Daten zusammenzustellen, was schließlich zum Glück zu einer Rücknahme der Kündigung führte.“
Was früher selbstverständlich war, muss nun neu erklärt werden – auch, weil Wörter schlicht falsch verstanden werden, wenn den Kulturkriegern der Regierung der erforderliche fachliche Hintergrund fehlt. Trump selbst erwähnte in seiner ersten „State of the Union“-Rede „Transgender-Mäuse“ als Beispiel für „verrückte“ Forschungsvorhaben, gegen die man vorgehen müsse. Dahinter stecken jedoch sogenannte transgene Mäuse, in deren Organismus fremde DNA künstlich übertragen wird, um beispielsweise auf diese Weise Krankheiten am lebenden Objekt zu erforschen.
Das neue, antiintellektuelle und antielitäre Vorgehen der US-Regierung stellt Forscherinnen und Forscher nun vor bisher ungeahnte Probleme: Worte, die die vorherige Regierung in Förderanträgen wohlwollend beachtete, sind ab sofort tabu, da entsprechende Anträge sonst sofort „markiert“ werden. Die Folgen des Kulturkrieges sind weniger Studierende, weniger neue Mitarbeiter, weil weniger Gelder in die Forschungsinfrastruktur fließt oder gar kostspielige Gerichtsverfahren gegen die Einschränkungen anhängig sind. Die Bedingungen für Spitzenforschung, und im Vergleich sind die USA in vielerlei Forschungszweigen bis jetzt weltweit führend, verschlechtern sich.

Wörter wie „Frauen“ und „Status“ sind tabu
„Aufgrund der finanziellen Unsicherheit haben verschiedene Departments an unserer Universität beschlossen, in diesem Jahr gar keine oder weniger Studierende in die respektiven Studiengänge aufzunehmen“, so die Krebsforscherin. „Für die jungen Menschen ist das besonders schwierig, und ich mache mir Sorgen, dass mit dieser Entwicklung der wissenschaftliche Nachwuchs bald keine Zukunft mehr in der Forschung sehen wird. Wir hoffen, dass die Lage im nächsten Jahr stabiler sein wird.“
Hinzu kommt die Entlassungswelle in staatlichen Forschungsbehörden, dem National Institute of Health (NIH) und dem National Cancer Institute. Von einem Tag auf den anderen fehlten Personen mit Expertise, Entscheidungen konnten nicht getroffen werden. Nun steht die Kündigung von 20.000 weiteren Mitarbeitenden im Gesundheitsministerium bevor. „Es sind Kürzungen bei Forschungsmitteln am NIH, die klinische Studien und andere wichtige Forschungsaktivitäten fördern sowie die externe Kommunikation und Webseiten unterstützen. Die Auswirkungen auf die gesamte Gesundheitsforschung in den USA werden leider bald sichtbar sein“, so die Forscherin. Das NIH pumpt jährlich 48 Milliarden Dollar in die Forschungslandschaft der USA.
Prominentester Fall der Krebsspitzenforschung: Ein neuartiges Mikroskop an der Harvard Medical School könnte zu entscheidenden Durchbrüchen in der Krebserkennung führen. Die Wissenschaftlerin, die die dafür notwendigen Computerskripte entwickelte, sitzt nun seit zwei Monaten im Gefängnis der Einwanderungsbehörde: Gegen Kseniia Petrova wurde ein Deportationsverfahren eröffnet, obwohl sie ein gültiges Visum besitzt. Sollte sie deportiert und nach Russland zurückgeschickt werden, drohen ihr dort jahrelange Haft, denn sie hatte öffentlich gegen den Ukrainekrieg protestiert.
Dr. Sven Grimm ist Leiter der Abteilung Wissenskooperation und Training am German Institute of Development and Sustainability (IDOS), einer Denkfabrik für internationale Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit in Bonn. Für ihn ist die Entwicklung in den USA Ausdruck einer zunehmenden Politisierung von Wissenschaft. „Die zweite Trump-Regierung hat mit Blick auf die Wissenschaftsfeindlichkeit und einen ,Kulturkampf‘ eine neue Stufe erreicht, einschließlich der Veränderung von Datensätzen durch politische Direktiven.“ Die Auswirkungen sind somit nicht nur auf die USA begrenzt, Wissen und Wissenschaft sind global vernetzt und nutzen Daten untereinander. „So gefährden etwa Massenentlassungen von Mitarbeitern im Ministerium für Gesundheit wichtige Forschungsarbeiten in den USA“, erklärt Grimm. „Darüber hinaus erhöht ein Angriff auf das National Institute of Health – eine wichtige Einrichtung für öffentliche Forschung und ihre Finanzierung – und das Center for Disease Control (CDC) effektiv auch die globalen Risiken, da sich Infektionskrankheiten wieder ausbreiten könnten, insbesondere in Ländern mit schwachen öffentlichen Gesundheitssystemen. Drastische Kürzungen der US-Hilfsgelder haben langfristige Folgen, zum Beispiel in Form einer reduzierten Forschung zur globalen öffentlichen Gesundheit. Die De-facto-Abschaffung der Entwicklungsagentur USAID betrifft unter anderem auch Maßnahmen zu HIV/AIDS und vulnerable Gruppen.“ Grimm erwartet schwerwiegende Folgen für weitere Forschungen auf dem Gebiet, aber auch für die individuelle Gesundheit vieler Betroffener.
Gleichzeitig durchforstet die Nationale Forschungsstiftung der USA ihre Fördermittel nach künftig verbotenen Wörtern. Dazu gehören unter anderem Begriffe wie „Frauen“, „Behinderung“, „Voreingenommenheit“, „Status“, „Trauma“ und Wörter im Zusammenhang mit hispanischstämmigen oder afroamerikanischen Gemeinschaften.
„Dies ist letztlich ein Frontalangriff auf die Wissenschaftsfreiheit und die Wissenschaft als solche, die mit eigenen Qualitätskontrollmechanismen arbeitet. Der Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse zu kontrollieren beziehungsweise in bestimmten Themen zu unterdrücken, ist offensichtlich – trotz aller ,Freiheits‘-Rhetorik rechtsradikaler Ideologen“, so Grimm.
Auch Prof. Dr. Julia Pongratz ist besorgt. Die Direktorin des Departments für Geografie an der Ludwig-Maximilians-Universität München beobachtet eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem Klimawandel. „Die Annahme, dass die Alternative zu Klimaschutz der Status quo sei und nicht massive Klimaschäden, die Menschenleben kosten und wirtschaftliche Schäden erzeugen, ist nicht nur allein aus den USA zu hören. Anderswo führt diese irrige Annahme vielfach zu mangelnder Ambition oder Fokus auf andere Krisen; der Regierungswechsel in den USA hingegen hat zu einer Kehrtwende in der Klimapolitik geführt.“ Zwar könne Trump nicht aufhalten, dass zunehmend unrentable Kohlekraftwerke zugunsten erneuerbarer Energien abgeschaltet würden. „Aber der Industrie wieder Anreize zur Ausweitung der Förderung von Öl und Gas zu geben, ist gegen jede Vernunft.“ Schon gar nicht ökonomisch. „Erste Abschätzungen gehen davon aus, dass durch Trump im Jahr 2030 vier Milliarden Tonnen an Treibhausgasen – also CO2-Äquivalente – mehr ausgestoßen werden, als das unter Biden der Fall gewesen wäre. Vier Milliarden Tonnen sind etwa so viel, wie die EU und Japan zusammen derzeit in einem Jahr emittieren.“
Nasa-Wissenschaftlerin gefeuert
Der wesentliche Nachteil derzeit aber sei die Vorbildfunktion, die das Land bis jetzt innehatte. „Auch im Klimaschutz schritt die USA – immerhin nach China aktuell der zweitgrößte Emittent der Welt – halbwegs ambitioniert voran“, so die Professorin. „Der Ausstieg aus dem Pariser Abkommen, den Trump als eine seiner ersten Amtshandlungen verkündete, ist damit auch ein Signal an andere Großemittenten, dass historische Beiträge zum Klimawandel, technologische Überlegenheit oder wirtschaftliche Macht keinerlei Verpflichtung bedeuteten, für sein Handeln Verantwortung zu übernehmen. Umso mehr lastet nun auf Staaten wie Deutschland die Verantwortung, hier eine führende Rolle ein- und ernst zu nehmen.“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürfen teils nicht einmal mehr an digitalen Treffen teilnehmen, manch US-Kollege darf höchstens noch privat zu Kongressen. „In allen Gesprächen der vergangenen Wochen berichteten meine amerikanischen Kolleg:innen, dass sie um die Stellen ihrer Mitarbeitenden und oft auch um ihre eigenen fürchten. Einfach, weil inzwischen Projektfinanzierung als ‚woke‘ zurückgezogen wird, wenn bisher selbstverständliche Begriffe wie Diversität oder Einbindung des Globalen Südens darin auftauchen.“

Auch hierbei machten prominente Fälle Schlagzeilen, etwa der der Nasa-Wissenschaftlerin Kate Calvin, die als Leiterin einer der drei Arbeitsgruppen des Weltklimarats (IPCC) in den kommenden Jahren maßgeblich die Entwicklung des nächsten Sachstandsberichts zum Klima vorantreiben sollte. „Sie darf nicht mehr zu entsprechenden Treffen reisen, auch weitere Finanzierung für den IPCC – etwa der Technical Support Unit – in den USA wurde zurückgenommen.“ Auf der Haben-Seite: Die Einschränkungen, die durch die Kahlschlag in den USA entstehen, könnten teilweise durch andere Nationen aufgefangen werden, so Pongratz. Gravierender sei vermutlich, dass damit implizit an den Grundfesten von Institutionen wie dem IPCC gerüttelt wird. „Diese wurden aus eklatanten Notwendigkeiten wie dem Klimawandel heraus über Jahrzehnte hinweg aufgebaut, haben mühsam, aber mit Erfolg, einen klaren wissenschaftlichen Konsens erarbeitet, auf dem robuste und nachhaltige Klimapolitik beruhen konnte. Die Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger der Weltklimaratsberichte werden von allen teilnehmenden Regierungen anerkannt.“
Klimawandel aber interessiert Trump nicht, diesbezügliche Regulierungen schmälern in seiner Welt den Profit. Daher unterzeichnete er zum Beispiel ein entsprechendes Dekret, um den „Clean Power Plan“, der Grenzwerte für Kohlendioxid-Emissionen für bestehende fossil befeuerte Kraftwerke festlegt, umgehend zu überprüfen und gegebenenfalls ein neues Verfahren zur Aussetzung, Überarbeitung oder Aufhebung des Plans einzuleiten.
Mittlerweile haben 100 amerikanische Hochschulen, darunter Princeton, die Universität von Kalifornien und das weltweit anerkannte MIT, einen Protestbrief an die Regierung unterzeichnet. Man würde sich konstruktiven Reformen und legitimen Eingriffen nicht widersetzen, das gegenwärtige Auftreten der US-Regierung jedoch sei beispiellos übergriffig und politisch motiviert. In dem Brief heißt es: „Den Preis für die Einschränkung der entscheidenden Freiheiten des amerikanischen Hochschulwesens werden unsere Studierenden und unsere Gesellschaft zahlen.