Deutschland ist beim Ausbau erneuerbarer Energien inzwischen ganz ordentlich unterwegs. Aber sobald irgendwo eine neue Windkraftanlage geplant wird, regt sich Widerstand. Die Motive dafür haben nicht nur mit der konkreten Planung zu tun, sie spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen.
Eigentlich läuft es gar nicht so schlecht. Im ersten Halbjahr 2024 lag der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch in Deutschland bereits bei 57 Prozent. Ein Blick auf die inländische Stromproduktion zeigt ein noch deutlicheres Bild: 61,5 Prozent des hierzulande erzeugten Stroms kommt aus Wind-, Solar- und Wasserkraft sowie Biomasse, hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet. Das sind neun Prozent mehr als im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres.
Haupttreiber war der enorme Zuwachs an Solarenergie. Über eine Million neuer Solaranlagen im vergangenen Jahr ist neuer Rekord. Und mit der Entwicklung in diesem Jahr wurden die Ziele für 2024 bereits im Mai erreicht. 88 Gigawatt waren angepeilt, inzwischen liegt die Leistung (Stand: Juni) bereits bei 90 Gigawatt. Allerdings ist es noch ein Stück bis zum Ziel für 2030. Dann sollen nämlich 315 Gigawatt aus Solaranlagen kommen.
Windenergie ist zwar die wichtigste erneuerbare Energiequelle mit einem Anteil von einem Drittel an der inländischen Stromproduktion, aber hier ist „der Nachholbedarf am größten“, räumt selbst die Bundesregierung auf ihren Webseiten ein. Das soll sich durch das „Wind-an-Land“-Gesetz ändern. Demnach sind alle Bundesländer verpflichtet, zwei Prozent ihrer Fläche für Windenergieanlagen zur Verfügng zu stellen. Die meisten Bundesländer haben das bereits in ihrer Landesplanung berücksichtigt.
Außerdem werden die Genehmigungsverfahren beschleunigt. Sie sollen jetzt im Schnitt vier Monate schneller erledigt sein als noch vor einem Jahr. Im ersten Halbjahr 2024 seien aufgrund dieser Maßnahmen rund 70 Prozent mehr Genehmigungen erteilt worden als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres.
Was diese Zahlen und Statistiken nicht beschreiben: Windkraftanlagen sind nach wie vor in aller Regel heftig umstritten und in der politischen Debatte deshalb ein prominenter Streitpunkt.
Die Kritikpunkte sind seit Jahren hinlänglich bekannt: Verschandelung der Landschaft (manche reden von „Verspargelung“), Schattenwurf und Lärm, Flächenverbrauch und die „Vogel- und Fledermausproblematik“ werden ins Feld geführt, das alles für eine Stromausbeute, die eben davon abhängt, ob überhaupt Wind weht.
Besonders spannend ist das Konfliktfeld Klimaschutz vs. Naturschutz. Windkraftanalagen benötigen unbestritten viel Platz, entsprechend groß ist der Landschaftsverbrauch. Darin unterscheidet sich die Windkraftanlage aber prinzipiell nicht von anderen Eingriffen, die menschliche Nutzung mit sich bringt und deren potenzielle Folgen in Genehmigungsverfahren zu berücksichigen sind. Unbestritten werden beim Betrieb Tiere (Vögel und Fledermäuse) getötet. Der Verweis, dass durch andere menschliche Aktvitäten wie etwa Autoverkehr unvergleichlich viel mehr Tiere ums Leben kommen, hilft da wenig. Aber er gibt einen Hinweis darauf, dass in der Ablehnung von Windkraftanlagen mehr steckt als bloß sachliche Argumente.
Ein Beispiel könnte lehrreiche Aufschlüsse geben. Bayern liegt bei der Windkraftnutzung seit jeher im Ländervergleich am Ende. 2023 war es Platz 13. Damit wurde Bayern selbst vom kleinen Saarland (Platz 12) geschlagen. Nun sollte im Landkreis Altötting das bislang größte Windkraftprojekt in Bayern entstehen: 40 Windräder sollten ein Zehntel des Energiebedarfs im bayerischen Chemiedreick liefern. Ein Bürgerentscheid in einer der betroffenen Gemeinden (Mehring) brachte ein klares Ergebnis: Zwei Drittel der Bevölkerung waren dagegen. Der Windkraftverband vermutet: Die CSU-geführte Bayrische Staatsregierung war in der Vergangenheit alles andere als ein glühender Windkraftbefürworter. Auch wenn man in München den Kurs inzwischen geändert hat, was die Windparkplanung belegt, sitzt offensichtlich bei den Menschen (und vielen Kommunalpolitikern) die Skepsis gegen Windräder immer noch ziemlich tief. Und das wirkt nachhaltig.
Bürgerbeteiligung erhöht die Akzeptanz
Ein knappes halbes Jahr später (im Juni) haben sich Bürger in der Gemeinde Marktl, die ebenfalls von diesem Projekt betroffen ist, mit 60 Prozent für den Windpark ausgesprochen. Zwischenzeitlich hat sich Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger um das Projekt gekümmert. Die Planungen wurden angepasst. Auf etliche Standorte wurde verzichtet, es sollen statt 40 nun 27 Anlagen gebaut werden (was immer noch das größte Projekt in Bayern wäre), und der Minister sagte auf Bürgerversammlungen zu, den Mindestabstand von 1.000 auf 1.200 Meter zu erhöhen.
Letzteres ist sicher ein Stück Symbolik, aber die ist in sensiblen Projekten nicht zu unterschätzen. Das Beispiel lehrt: Wenn man mit Bürgern direkt spricht und auch schon mal bereit zu Korrekturen ist, steigt die Akzeptanz.
Ein weiterer Aspekt: Wenn Bürgerbeteiligungen wie in Bayern nur in einzelnen Orten durchgeführt werden, ist die Wahrscheinlichkeit ablehnender Haltung deutlich größer, als wenn eine solche Beteiligung etwa auf Kreisebene erfolgt. Dann kommen offensichtlich zusätzliche Erwägungen als nur die unmittelbare Betroffenheit zum Tragen, zum Beispiel das Arbeitsplatzargument (wie im bayerischen Chemiedreieck) oder andere übergeordnete Argumente.
Der schon zitierte bayerische Wirtschaftsminister wies selbst auch auf eine andere Erfahrung hin: „Es ist natürlich immer so, wenn neue Windparks entstehen, dass die Bürger verunsichert sind. Häufig ist es aber auch so, wenn Windräder irgendwo stehen, dann sagt man: So schlimm ist es doch nicht gewesen“, so Aiwanger zu BR24.
Das bestätigt auch eine Forsa-Umfrage von Ende vergangenen Jahres im Auftrag der Fachagentur Windenergie an Land, einem eingetragenen Verein, dessen Mitglieder nach eigenen Angaben der Bund, die Länder, kommunale Spitzenverbände sowie Umwelt- und Wirtschaftsverbände sind. Demnach äußern knapp 40 Prozent der Befragten, die keine Windkraftanlage in unmittelbarer Nähe ihres Wohnumfeldes haben, Bedenken gegen Windkraftausbau. Bei Menschen, die eine Anlage sozusagen vor der Haustür haben, sind es nur halb so viele (17 Prozent), die Bedenken äußern. Die Umfrage bestätigt im Übrigen, dass über 80 Prozent der Befragten Nutzung und Ausbau von Windkraft für „eher wichtig“ bis „sehr wichtig“ halten.
Spannend an dieser Studie ist noch ein anderer Befund: Von den Menschen, die Windkraft ablehnen, halten weniger als die Hälfte wissenschaftliche Expertise für eine glaubwürdige Quelle. Ganz anders bei Befürwortern, die zu über 90 Prozent wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptieren.
Diese Spaltung der Gesellschaft mit den entsprechenden Einstellungen findet sich auch in vielen anderen politischen und gesellschaftlichen Feldern. Zu diesem Befund passt, dass Forschende des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) in Tübingen zeigen konnten, dass der Glaube an Verschwörungstheorien einen entscheidenden Anteil an der Ablehnung von Windrädern hat. „Falschinformationen und Verschwörungstheorien über Windräder – beispielsweise über scheinbare negative gesundheitliche Folgen – sind in sozialen Medien weitverbreitet“, erklärt Dr. Kevin Winter, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Soziale Prozesse am IWM.
Gleichzeitig zeigt die bereits zitierte Forsa-Studie, dass Menschen oft eine falsche Einschätzung darüber haben, wie die Stimmung in Sachen Windenergie im eigenen Ort wirklich ist. 43 Prozent schätzten, dass die allgemeine Stimmung gegen Windkraft wäre. Tatsächlich lag die Ablehnung weitaus geringer, nämlich bei 17 Prozent.
Die Diskrepanz könnte möglicherweise daraus entstehen, dass sich Anti-Windkraft-Aktivisten lauter bemerkbar machen und der überwiegende Teil der „passiven Befürworter“, wie es die Studie nennt, eher eine „schweigende Mehrheit“ ist.