Gezielte Lebensstilveränderung ist die beste Prophylaxe
Ich werde 100, koste es, was es wolle.“ So oder ähnlich könnte man den Gesichtsausdruck des älteren Herrn im Fitnessstudio interpretieren, der stoisch die Beinpresse bearbeitet. Er trägt Kompressionsstrümpfe, eine Pulsuhr und vielleicht trackt er auch seine Sauerstoffsättigung im Blut. An einem anderen Gerät stöhnt bei der sechsten Wiederholung eine jüngere Frau – und scrollt gleichzeitig auf ihrem Handy nach der neuesten Detox-Kur. Jeder will alt werden, aber niemand will alt sein.
Der Wunsch nach Langlebigkeit – oder soll ich besser von Longevity sprechen – ist allgegenwärtig. Die Wege dorthin sind vielfältig, und die Angebote selten mit Evidenz gesegnet. Der eine möchte sich kontrolliert optimieren. Die heutigen technischen Möglichkeiten erlauben eine nahezu permanente Überwachung der eigenen Körperdaten. Die andere lässt sich die Hautfalten mit Hyaluron auffüllen. Haltbarkeit versus Verpackung, am besten beides. Vieles ist inzwischen eine Lifestyle-Entscheidung geworden.
Wollen wir wirklich länger leben, oder wollen wir nur länger jung erscheinen? Ich habe gelernt, durch regelmäßiges körperliches Training kann man 20 Jahre lang 40 bleiben. Heute heißt es, 80 ist das neue 70. Die Altersdefinitionen haben sich verschoben. Die optimistischen Aussagen implizieren, ein längeres Leben gehe auch mit Gesundheit einher. Ist das tatsächlich so? Mehr Jahre sind nicht automatisch bessere Jahre. Die Medizin kann uns Lebensjahre schenken. Aber unser Lebensstil wird entscheiden, wie wir die zusätzlichen Jahre verbringen.
Wie käuflich ist Anti-Aging? Der Markt boomt – wer etwas auf sich hält, optimiert nicht nur seine Work-Life-Balance, sondern auch sein biologisches Potenzial. Das Angebot reicht von unzähligen Supplementen bis hin zu teuren Hormonersatztherapien. Doch bei den als Wunderpillen gepriesenen Präparaten bleibt der Nachweis ihrer Wirksamkeit oft vage. Soweit überhaupt Studien existieren, stützen diese sich meist auf Labor- oder Tiermodelle, belastbare Beweise am Menschen fehlen. Am Ende bleibt die Frage, ob wir uns wirklich vor den Zeichen des Alters schützen oder nur einem Mythos hinterherjagen. Da hilft auch nicht die Eminenz des Nobelpreisträgers Linus Pauling, der hochdosierte Vitaminpräparate als Krebsprophylaxe propagierte.
Auch jüngere Erwachsene sind nicht gefeit vor dem naiven Glauben an die Magie von Nahrungsergänzungsmitteln. Wer beispielsweise hart trainiert, greift oft zu allerlei Supplementen in der Hoffnung, dem Körper das zu geben, was er vielleicht nur ungenügend ersetzen könnte. Auch wenn die Industrie mit verführerischen Versprechen lockt, der tatsächliche Nutzen bleibt fraglich. Manche wähnen sich auch im Nachteil, wenn sie etwas nicht nehmen, was andere einnehmen.
Jenseits der kommerziellen Versprechungen liegt die wahre Frage: Wie wollen wir altern? Viele Menschen der Babyboomer-Generation werden voraussichtlich das 95. Lebensjahr und darüber hinaus erreichen. Fluch oder Segen? Mehr Jahre im körperlichen Verfall oder mehr Jahre in guter Gesundheit? Die zunehmende Krankheitslast im Alter muss uns nicht hilflos machen. Denn wir haben in der Hand, wie wir altern – durch gezielte Lebensstilveränderungen. Zahlreiche im Alter häufiger auftretende Erkrankungen lassen sich durch modifizierbare Risikofaktoren beeinflussen: Cholesterin, Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Alkohol gehören genauso dazu wie unser Bewegungsverhalten. Regelmäßige körperliche Aktivität ist eine der effektivsten, evidenzbasierten Anti-Aging-Faktoren und kann Krankheiten vorbeugen oder lindern. Entscheidend ist in diesem Kontext weniger, welcher Sport betrieben wird, sondern dass man sich bewegt.
Noch einmal, wollen wir ewig leben? Eine Frage, die uns alle früher oder später umtreibt. Noch gibt es keine Pille gegen das Altern, doch die Forschung ist dran. Es wird ernsthaft erwogen, ab einem mittleren Lebensalter Medikamente zu schlucken, die ein langes Leben ermöglichen. Altern als heilbare Krankheit, die Diskussion ist bereits in vollem Gange.