Das von Yoko Ono und John Lennon gesungene Lied sollte zur berühmtesten Hymne der Friedensbewegung werden. Was ist jetzt, mehr als 50 Jahre später, aus der pazifistischen Bewegung geworden? Eine Spurensuche.
März im Jahr 1969: Yoko Ono und John Lennon haben gerade in Gibraltar geheiratet und verbringen ihre Flitterwochen in einer Suite im „Hilton Hotel" in Amsterdam. Das Brautpaar will die mediale Aufmerksamkeit um seine Hochzeit nutzen, um gegen den Vietnamkrieg und für den Frieden zu protestieren. Anstatt die Woche in trauter Zweisamkeit allein zu verbringen, machen die beiden aus ihren Flitterwochen eine einwöchige Pressekonferenz an ihrem Hotelbett. Journalisten durften von 9 bis 21 Uhr vorbeikommen, um das im Bett liegende Künstlerpaar interviewen. Zwei Monate später wiederholen die beiden ihre Bed-in-Aktion als Form des gewaltfreien Protests in einem Hotel im kanadischen Montreal. Auf die Frage eines Reporters, was sie mit ihrer Aktion bezweckten, erwiderte der ehemalige Beatles-Sänger: „Alles, was wir sagen ist: Gebt dem Frieden eine Chance." Aus dieser Antwort komponierte John Lennon spontan ein neues Musikstück, das er mit Yoko Ono und anderen Prominenten am letzten Tag der Aktion einspielte. Damit war der Song „Give Peace a Chance" geboren.
Februar 2023, Berlin-Mitte. Der Boden vor dem Reichstagsgebäude ist matschig. Aufgeweicht von den ersten wärmenden Sonnenstrahlen, trotz frostiger Temperaturen. Hunderte Menschen sind vor dem Plenargebäude zu einer Friedensdemo zusammengetroffen. Nenas Lied „99 Luftballons" läuft vom Band. Dann wird „Give Peace a Chance" eingestimmt. Die Aufschriften auf den Schildern und Bannern, die die Demonstranten tragen, klingen immer noch so ähnlich wie damals, bei der dritten, der größten Friedensdemo während des heißen Herbstes im Bonner Hofgarten vor fast genau 40 Jahren, im Oktober 1983.
Doch das Publikum an diesem kalten, aber sonnigen Februartag 2023 hat gar nichts mehr mit dem von damals zu tun, als Altkanzler Willy Brandt den über 500.000 Menschen unter frenetischem Jubel zurief: „Wir brauchen in Deutschland nicht mehr Mittel zur Massenvernichtung, wir brauchen weniger." Es war die Zeit der atomaren Nato-Nachrüstung mit strategischen Pershing-II- und Cruise-Missile-Marschflugkörpern auf deutschem Boden. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, nach drei Jahrzehnten „Friedensdividende" durch den Zusammenbruch der Sowjetunion, ist nun eine völlig veränderte Friedensszene auf den Plan getreten.
Völlig andere Friedensszene
Da sind ehemalige Afghanistan-Veteranen der Bundeswehr, Reste der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung aus der ehemaligen DDR, ehemalige Genossen der SED, später PDS und wieder später Die Linke. Dazu haben sich einige wenige, altgewordene Friedens-Hippies aus Bonner Zeiten hierher verirrt. Konterkariert wird das wiederum durch Vertreter der AfD, der Freien Sachsen, aber auch einige Reichsbürger haben sich daruntergemischt. Die grüne Klientel, also die eigentliche Keimzelle der Friedensbewegung in Deutschland, fehlt völlig.
Auch von der SPD sind keine Vertreter dabei. Die Friedensbewegung von einst ist also wesentlich homogener geworden. Die Grenze zwischen „links und rechts ist in der Friedensfrage in Europa offensichtlich aufgehoben, hier geht es vor allem um einen vernünftigen Umgang auch mit Russland", bringt es Peter Brandt, Historiker und Sohn von Ex-Kanzler und Ex-Außenminister Willy Brandt, im FORUM-Gespräch auf den Punkt. Eine Forderung von Yoko Ono hätte sich damit also erfüllt. Frieden geht alle an. Man muss ihn sich aber erst einmal vorstellen. „Imagine Peace. Think Peace, Act Peace, Spread Peace", heißt es denn auch auf den Social-Media-Kanälen der Künstlerin, die sich auch noch Jahrzehnte nach den Bed-in-Aktionen unermüdlich für den Frieden starkmacht.
Zurück zum Bonner Hofgarten. Eine, die vor 40 Jahren mit dabei war und heute mit ihrem massiven Zweifel am Friedenswillen der Grünen nicht hinter dem Berg hält, ist Antje Vollmer. Die heute fast 80-jährige Mitgründerin der Grünen forderte bereits vor anderthalb Jahren, also noch vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs und dem Eintritt ihrer Partei in die Ampel-Regierung, mehr Augenmerk auf Dualität in der Diplomatie.
Vor allem der heutige Wirtschaftsminister Robert Habeck stand schon damals in der Kritik von Vollmer: „Was aber auch ganz wichtig ist, man sollte seine Aktionen auch immer kritisch überdenken. Die Grünen sollten schon hinterfragen, ob es wahnsinnig klug war, dass Robert Habeck in die Ukraine gereist ist, jetzt beim Höhepunkt der Konfrontation der Lage. Aber wenn er schon in die Ukraine reist, dann sollte er doch direkt im Anschluss auch nach Moskau fliegen. Das wäre der grüne Impuls zum Frieden gewesen, mit beiden Seiten sprechen und nicht nur mit einer." Zur Politik der grünen Außenministerin Annalena Baerbock will sich Antje Vollmer auf Nachfrage aktuell nicht äußern, dazu fehle ihr mittlerweile der internationale Überblick. Doch die kritische Distanz zu ihrer Parteikollegin ist beim Telefonat deutlich herauszuhören.
Kritische Distanz zu der eigenen Partei
Ein anderer aus der alten Friedensbewegung, das grüne Urgestein Christian Ströbele, äußerte sich in einem seiner letzten Interviews ähnlich kritisch. Ströbele verstarb am 29. August vergangenen Jahres. Sein Kommentar gegenüber FORUM: „Frieden ist immer nur möglich, wenn alle Beteiligten miteinander sprechen. Diesen Weg muss man sich immer offenhalten." Eine urgrüne Position, die nun auch von der aktuell prominentesten Politikerin der Linken adaptiert wird: Sahra Wagenknecht. Zusammen mit der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer forderte sie Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Februar in ihrem „Manifest für den Frieden" umgehend zu Verhandlungen mit Russland, der Ukraine und den USA auf. In der Erklärung mahnen die Politikerin und die Frauenrechtlerin vor einer Eskalation des Ukrainekriegs. Etliche Prominente aus Politik, Kirche und Unterhaltung gehören zu den Erstunterzeichnern. Darunter die Theologin Margot Käßmann, Liedermacher Reinhard Mey, EU-Abgeordneter Martin Sonneborn, Oskar Lafontaine (ehemals Linke/SPD), Brigadegeneral a.D. Erich Vad, der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD). Bei den Erstunterzeichnern des „Manifests für den Frieden" konnten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer die personelle Ausrichtung ihrer Initiative noch steuern, doch spätestens bei der Freischaltung der Online-Petition brachen alle Dämme. Innerhalb von wenigen Tagen unterzeichneten laut eigenen Angaben mehr als 500.000 Menschen. Unter anderen, beinahe geschlossen die gesamte AfD-Bundestagsfraktion, allen voran Parteichef Tino Chrupalla. Die linke Gallionsfigur Sahra Wagenknecht war logischerweise wenig begeistert vom Zuspruch aus dieser Ecke. Ihre Feststellung: „Frieden geht eben alle an, egal aus welchem politischen Spektrum sie kommen." Gregor Gysi (Die Linke), der einige Tage später auch seine Unterschrift unter das Manifest gesetzt hat, kritisierte, dass AfD-Anhänger, die für eine Aufrüstung der Bundeswehr und die Wiedereinführung der Wehrpflicht seien, „schon deshalb auf einer Kundgebung für Frieden" nichts zu suchen hätten.
Demonstrationen auch in den USA
Auch jenseits des großen Teiches erwacht Widerstand gegen die Kriegspolitik der eigenen Regierung. Vergangenes Wochenende gab es in mehreren amerikanischen Großstädten von Washington, D.C. bis zu San Francisco und Los Angeles mehrere Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine und den Imperialismus der eigenen Regierung. „Keinen weiteren Penny für den Krieg in der Ukraine", lautet die Hauptforderung der Aktivisten. „Es ist eine Forderung, die betont, was wir in den USA tun können, um den Krieg zu beenden, und nicht, was andere tun können", heißt es dazu in einem Artikel von John V. Walsh im Antikriegsmagazin Antiwar.com. Schließlich sei die einzige Regierung, die die Amerikaner beeinflussen könnten, die eigene. Getragen wird die wiedererwachte Friedensbewegung von der Libertären Partei (Libertarian Party) und der erst 2020 gegründeten Partei MPP (Movement for a People’s Party). MPP-Gründer Nick Brana ist einer der Hauptorganisatoren des Protestes und war im Jahr 2016 nationaler Koordinator der Präsidentschaft von Bernie Sanders. Die neue Bewegung unterscheide sich „deutlich" von den bisherigen Protesten, schreibt John V. Walsh weiter. Das markiere auch einen neuen Aufbruch für „Anti-Kriegs- und Anti-Imperiums-Kräfte hier in den USA". Bei den Protestierenden handele es sich um das, was ein Großteil der Presse als eine „Rechts-Links-Koalition" bezeichnen würde, so Walsh weiter. Sie decke ein Spektrum ab, das breit genug sei, um den „Stellvertreterkrieg in der Ukraine" tatsächlich zu einem Ende zu bringen. Die Friedenaktivistin Yoko Ono setzt ihr Engagement unterdessen auf ihre Art fort: Im März 2022 erinnerte sie auf öffentlichen Werbetafeln in etlichen Metropolen von Melbourne über New York City bis nach Berlin einen Monat lang an ihr Anliegen: Imagine Peace. Stell dir vor, es ist Frieden.