Ralph Fiennes und Isabella Rossellini über den fesselnden Klerus-Krimi „Konklave“, über ihren persönlichen Glauben, warum Gewissheit manchmal doch wichtig ist und die Macht des Schweigens.
Mrs. Rossellini, Mr. Fiennes, was hat Sie an Ihren Rollen besonders gereizt?
Ralph Fiennes: Ich liebe es, komplexe Menschen darzustellen. Und Kardinal Lawrence ist sicher so ein Mensch. Er muss sich mit vielen Widersprüchen in seinem christlichen Leben auseinandersetzen. Er findet zum Beispiel keinen Trost mehr im Gebet und denkt sogar daran, den Vatikan zu verlassen, um sich in ein Kloster zurückzuziehen und dort ein kontemplatives Leben zu führen. Da bekommt er plötzlich die schwierige Aufgabe zugewiesen, die nächste Papst-Wahl zu organisieren. Er soll dafür sorgen, dass das Konklave – also die Versammlung der Kardinäle – den richtigen Papst auswählt, was Lawrence in einen großen inneren Konflikt stürzt. Denn nach Außen hin muss er ja seine Pflicht erfüllen und seine Fassade aufrecht erhalten. Für einen Schauspieler wie mich ist das eine sehr interessante Rolle.
Isabella Rossellini: Ich wurde in Rom geboren und bin auch dort aufgewachsen. Und natürlich wurde ich katholisch erzogen. Als kleines Mädchen ging ich sogar auf eine Schule, die von Nonnen geleitet wurde. Und obwohl Frauen in der katholischen Kirche – bis heute! – leider nicht viel zu sagen haben, hatten diese Nonnen eine große Autorität. Die Erinnerung daran, wie sie damals auftraten, war für meine Rolle eine große Inspiration. Ich wusste, um Führungskraft und Würde auszustrahlen, muss man nicht unbedingt viel reden. Ich habe Schwester Agnes mit großer Hingabe gespielt.
„Auf meinen Instinkt verlassen“
Die Rede, die Kardinal Lawrence über Gewissheit und Unsicherheit, über Glaube und Zweifel hält, ist sicherlich das Kernstück des Films. Wie kommen Sie persönlich mit Glaube und Zweifel in Ihrem Leben zurecht?
Rossellini: Auch für mich ist diese Rede das Herzstück. Im ganzen Film geht es doch darum, wie wichtig auch der Zweifel für den echten Glauben ist. Denn nur dann, wenn wir unseren Glauben immer wieder hinterfragen, ist er doch etwas wert. Mit diesen Fragen setze ich mich auch in meinem wirklichen Leben auseinander. Aber in „Konklave“ geht es ja nicht nur um Religion, sondern auch um Politik, Macht, Intrigen und den Kampf zwischen den konservativen und fortschrittlichen Kräften in der katholischen Kirche. Es ist auch ein Film über die Möglichkeit, einen Wandel herbeizuführen. Ich finde das alles sehr spannend. Und das überraschende Ende hat mich sehr berührt.
Fiennes: Das Spannungsverhältnis zwischen Glaube und Zweifel begleitet mich schon mein ganzes Leben. Um im Leben funktionieren zu können, muss man Entscheidungen treffen. Zum Beispiel habe ich mich entschlossen, dass ich Lawrence als gläubigen Menschen darstelle und nicht als Skeptiker oder ihn gar ins Lächerliche ziehe. Lawrence ist ein Mann von intellektuellem Kaliber. Bei dieser Entscheidung habe ich mich – wie übrigens auch sonst in meinem Leben – auf meinen Instinkt verlassen. Aber natürlich frage ich mich jetzt: War das so richtig? Oder hätte ich ihn vielleicht mit mehr Humor ausstatten sollen?
Sie gehören also nicht zu den Schauspielern, die stolz behaupten „I nailed it“ – „Ich habe es auf den Punkt getroffen“?
Fiennes: Nie im Leben würde ich so etwas behaupten! Da sind immer Zweifel. Ich bin mir nie ganz und gar sicher, ob ich richtig liege. Mich immer wieder als Mensch und auch in meinem Beruf in Frage zu stellen, ist eminent wichtig für mich. (lacht) Wenn ich allerdings ein Haus bauen lasse, dann möchte ich sicher nicht, dass mein Architekt voller Selbstzweifel ist, sondern ganz genau weiß, was er tut. Oder mein Klempner. Da will ich auf jeden Fall sicher sein, ob es funktioniert oder nicht. Es gibt also im Leben durchaus auch einen Platz für Gewissheit.
Wie kommen Sie eigentlich mit Hierarchien zurecht?
Fiennes: Hierarchien gibt es ja nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Politik, bei Wirtschaftsunternehmen und in anderen Lebensbereichen. Es geht doch vor allem darum, herauszufinden, wer die jeweils am besten geeignete Führungskraft ist. Für mich muss sich dieser Mensch seiner großen Verantwortung bewusst sein. Und wichtig ist sicher auch die Bereitschaft zu dienen – und zwar mit reinem Herzen zu dienen und sich für andere Menschen einzusetzen. Und nicht etwa seine Führungsposition zu missbrauchen, indem man alles seiner Karriere unterordnet und nur darauf aus ist, noch mehr Macht anzusammeln und noch mehr Einfluss zu haben. Wenn ich mich in der Weltgeschichte so umschaue, passiert aber genau das viel zu oft … Wenn ich zur Wahl gehe, will ich Politiker, die ehrlich und integer sind und einen klare Vision haben von dem, was sie wollen.
Sie haben in Rom auf vielen öffentlichen Plätzen gedreht, aber nicht in der Sixtinischen Kapelle, in der die Papstwahl abgehalten wurde …
Rossellini: … nein, ganz sicher nicht! (lacht) Die Sixtinische Kapelle und auch diverse andere Sets wurden im berühmten Filmstudio Cinecittà in Rom nachgebaut. Das ist ein fantastisches Studio, in dem schon Fellini, Visconti und natürlich auch mein Vater Roberto Rossellini Filme gedreht haben. Als ich mir dort den Nachbau angesehen habe, sind mir fast die Tränen gekommen. Da haben die Set-Designer ganz wunderbare Arbeit geleistet.
Sixtinische Kapelle wurde nachgebaut
Fiennes: Heutzutage kann man ja jeden Film irgendwo auf der Welt drehen, mit all den Computeranimationen und dem Bluescreen. Ich war begeistert, dass wir tatsächlich überwiegend in Rom drehten und ich jeden Tag den Weg zum Petersdom gehen und die Energie dieser unglaublich schönen Stadt fühlen konnte. Außerdem habe ich natürlich auch viele Kirchen besucht und mir die Gemälde von Michelangelo und Caravaggio angesehen. Das half mir sehr, in die richtige spirituelle Stimmung für die Rolle zu kommen.
Sie haben einen Theologieprofessor und Benediktinerpater in Ihrer Familie – hat das auf Sie abgefärbt?
Fiennes: Meine Mutter war sehr religiös, und Gespräche über Gott und Glauben fanden ganz natürlich an unserem Küchentisch statt. Das hat mich auf gewisse Weise schon geprägt. Aber auch meine Neugier angestachelt. Was mich nach wie vor sehr beeindruckt, sind die Lehren von Jesus.
Aber Sie sind immer noch Agnostiker, richtig? Oder hat sich durch die Arbeit am Film „Konklave“ daran etwas geändert?
Fiennes: Eher nicht. (lacht) Aber während der Dreharbeiten habe ich mich mit vielen echten Kardinälen unterhalten, die uns als Berater zur Seite standen. Die meisten von ihnen sind ja Intellektuelle, und die Diskussionen mit ihnen über Glaubensfragen waren sehr hilfreich und spannend für mich.
„Große Wirkung durch Stille“
Und Sie, Mrs. Rossellini, sind Sie religiös?
Rossellini: Meine Großmutter war sehr religiös. Und meine Eltern hatten großen Respekt vor der katholischen Religion. Mein Vater hat sogar einige Filme über Heilige gedreht, wie den Heiligen Augustin und den Heiligen Franziskus. Sein letzter Film war über Jesus Christus. Er war – als echter Italiener – dem katholischen Glauben kulturell sehr verbunden. Und mit meiner Mutter (die große schwedische Schauspielerin Ingrid Bergman; Anm. d. Red.) hat er den Film „Europa 51“ gedreht, in dem sie eine moderne Heilige spielte. Was mich betrifft: Ich bin durchaus vertraut mit dem Konzept von Schuld und Sühne, Verdammung, Nächstenliebe. Diese Werte haben für mich auch heute noch ihre Gültigkeit. Aber als junge Frau habe ich natürlich gegen viele Dinge rebelliert, so auch gegen die Kirche. Doch als ich vor einiger Zeit in Jerusalem war, habe ich dort diese vielen Menschen gesehen, die alle tiefgläubig waren. Und da dachte ich: Wer bin ich denn, dass ich es besser weiß?
Und bei Ihnen, Mr. Fiennes, welches Werte- und Normen-System ist für Sie gültig im Leben?
Fiennes: Ich bin neugierig auf viele spirituelle Glaubenslehren. Im Grunde meines Herzens bin ich jemand, der sich eher zu den buddhistischen Weisheiten hingezogen fühlt. Ich finde auch, es gibt durchaus starke Ähnlichkeiten zwischen dem, was Jesus gepredigt hat, und den buddhistischen Prinzipien. Es steht natürlich außer Frage, dass Menschen im Namen der Religion furchtbare Dinge getan haben und immer noch tun. Deshalb schrecke ich auch vor religiösen Dogmen zurück. Vor allem Religionen, die darauf bestehen, dass nur sie allein die wahre Religion sind, stoßen mich ab. Aber ich glaube auch, dass es in diesen Religionsgemeinschaften Menschen gibt, die durch und durch spirituell und transzendent sind und absolut nichts von Indoktrinierung halten.
Was sollen die Zuschauer aus dem Film „Konklave“ mitnehmen?
Rossellini: Ich würde mir wünschen, dass sie durch den Film viele neue Denkanstöße bekommen. Und da bin ich auch sehr offen für die verschiedensten Interpretationen des doch sehr komplexen Themas. Und in Bezug auf meine Rolle als Agnes: Auch durch Stille kann man eine große Wirkung erzielen.
Fiennes: Ich habe mir den Film noch einmal angesehen und bin mit mehr Fragen als Antworten aus dem Kino gekommen. Das ist doch ein sehr guter Ausgangspunkt für Gespräche. Was ich mir aber wirklich wünsche, ist mehr Spiritualität in unser aller Leben.