„Der Weinlobbyist“ setzt mit seinem Herbst-Menü neue kulinarische Akzente und verwöhnt seine Gäste mit edlen Tropfen aus heimischen und österreichischen Gewächsen.
Als Serhat Aktas seinen Traum von einer eigenen Weinbar verwirklichen wollte, ahnte er noch nicht, was ihm alles im Weg stehen würde. Er hatte gerade den Mietvertrag an der Kolonnenstraße 62 unterschrieben und wollte schon loslegen. Doch es war Februar im Jahr 2020. Die Zeit von Jo-Jo-Lockdowns, Abstandsregeln und 2G-Regelungen. Keine leichten Jahre für einen angehenden Gastronomie-Unternehmer. Doch Serhat Aktas ist die Wellen der Unsicherheiten mitgegangen und sein Lokal hat sich gut behauptet. „Ich bin nicht an den Start gegangen, um gleich wieder aufzugeben“, sagt der Wahl-Berliner, der vor mehr als 20 Jahren als Kind mit seinen Eltern aus dem türkischen Izmir nach Deutschland kam. Nach seinem Schulabschluss machte er eine Ausbildung als Restaurantfachmann im „Aigner“ am Gendarmenmarkt unter der Federführung von Herbert Beltle. Später kam eine Ausbildung als Sommelier dazu.
Mittlerweile ist nicht nur Serhat Aktas Lokal, sondern auch er selbst stadtbekannt. „Der Weinlobbyist“ hat seit seiner Eröffnung vor mehr als drei Jahren mehrere Auszeichnungen erhalten. Allein in diesem Frühjahr erhielt der Weinexperte gleich mehrere Preise. Im April verlieh ihm der Verband Deutscher Prädikatsweingüter den Sonderpreis für die beste Offerte einheimischer Winzersekte. Knapp einen Monat später nominierte ihn die „Meisterküche“-Jury für zwei Titel in den Kategorien Berliner Gastgeber 2022 und Berliner Barkultur 2022. Im Frühsommer lobte der einflussreiche französische Restaurantführer Gault-Millau Aktas Konzept und zeichnete dessen Küchenchef Ronny Marx mit einer Kochmütze aus.
Winzersekt perlt angenehm leicht
Grund genug, einmal selbst in Serhat Aktas Lokal vorbeizuschauen. Gelegen an der eher unwirtlichen Kolonnenstraße nahe der Julius-Leber-Brücke empfängt einen das Bistro mit einer Mischung aus moderner Leichtigkeit und erdender Behaglichkeit. Der lang gezogene Raum mit hellem Holzmobiliar und Regalen voller Weinflaschen vermittelt einem sofort das Gefühl von Casual Dining. Ungezwungen ist übrigens auch die Dame vom sympathischen Trio am Nachbartisch. Nach einem neugierigen Blick auf ihren Teller lässt sie mich ein Stückchen von ihrem Flammkuchen kosten, während wir auf unser Essen warten.
Was soll ich sagen? Die französische Spezialität unter der Regie von Ronny Marx überzeugt als hausgebackener Sauerteigboden aus dem Steinofen, überaus schmackhaft belegt mit Ziegenkäse, Walnüssen, Rucola und Honig. Dann nehme ich einen Schluck von dem Sprudeligen, den mir der Chef des Hauses einschenkt. „Das ist zweifelsfrei einer der besten Riesling-Sekte vom Winzer, er hat kaum Restzucker“, kündigt Serhat Aktas an. Er hat nicht zu viel versprochen. Der extra trockene Winzersekt perlt angenehm leicht am Gaumen und stimmt uns wunderbar auf den weiteren Verlauf des Abends ein.
Ein erster Blick in die Karte schafft erst einmal Erleichterung. Zumindest, was die Speisen im Bistro betrifft. In diesem Punkt ist die Karte unkompliziert übersichtlich und dabei doch für unterschiedliche Präferenzen geeignet. Fleischliebhabern etwa dürfte das Signature Dish mit Schweinebauch vom Thüringer Duroc an Rettich-Kimchi entgegenkommen. In Sachen Flammkuchen gibt es außer der von mir getesteten vegetarischen Ziegenkäse-Variante noch drei weitere Optionen: den Klassiker Elsässer Art mit Steirischem Schinken, die vegane Option mit getrockneten Tomaten und Rucola-Pesto sowie eine weitere, fernöstliche Option mit Ente und Frühlingslauch an Hoisin-Soße und Szechuanpfeffer. Möglich sind auch andere Wein-Pairings wie eine Käse- oder Schinkenplatte. Für den kleinen Hunger gibt es Snacks wie zum Beispiel hausgebackenes Sauerteigbrot mit Kürbiskernölbutter, Oliven oder Artischocken.
Mein fotografierender Begleiter und ich schöpfen an diesem Abend aus dem Vollen. Und so entscheiden wir uns für das fünfgängige Menü. Das gibt es wahlweise als vegetarische sowie als abgespeckte, dreigängige Option. Was wir nicht wissen, ist, dass die fünf Gänge streng genommen sieben sind. Damit gibt es nicht nur ein süßes Extra-Schmankerl nach dem Nachtisch, sondern vorab auch eine Amuse-Gueule in Form einer jahreszeitgerechten Kürbissuppe mit Miso-Croûtons. Der Appetithappen ist angemessen scharf und wunderbar wärmend an diesem kühlen Herbstabend.
Ich bin dankbar, dass uns der Sommelier mit seiner Expertise zur Seite steht. Denn anders als nach dem Blick in die Speisekarte bin ich beim Studieren der Weinkarte völlig verloren. Meine Entscheidungsfreude droht in einem Meer an Möglichkeiten zu ertrinken. Und das, obwohl sich Serhat Aktas Wein- und Sektauswahl „nur“ auf deutsche und österreichische Gewächse konzentriert. „Wir haben über 600 Weine“, sagt der Schöneberger und erzählt nicht ohne Stolz, dass er jeden Winzer persönlich kenne. Dann schenkt er uns einen Riesling vom Weingut Gutzler aus dem rheinland-pfälzischen Gundheim ein. Der weiße Lagenwein zählt zu Aktas Hausweinen, den er sich extra für sein Berliner Lokal hat abfüllen lassen. Trotz meines Faibles für Rotweine überzeugt mich der fruchtig-leichte Weißwein gleich beim ersten Schluck. Die Passion des Sommeliers hat Serhat Aktas übrigens zu seinem eigenen Weinwettbewerb geführt. So hat der Weinliebhaber schon 2018 den Lagen-Cup ins Leben gerufen, den er seitdem zweimal im Jahr organisiert.
Biss für Biss wird es immer leckerer
Kulinarisch geht es weiter mit dem ersten Gang, der zugleich schon erste lukullische Träume wahr werden lässt: Das Ensemble aus Sauerteigknödeln mit fermentiertem Gemüse und geschmorten Zwiebeln, halb versunken in weißem Schokoladenschaum, ist perfekt orchestriert samt seiner facettenreichen Geschmacksnuancen. Auch der eingelegte Staudensellerie an Wacholder-Sorbet mit Tomatenstreuseln im nächsten Gang lässt uns staunen und genießen. „Der Küchenchef wird immer besser“, befindet der begleitende Fotograf, der nicht zum ersten Mal hier ist, voller Anerkennung. Begeistert ist mein Begleiter auch vom nächsten Kapitel unserer kulinarischen Mission. Als Vegetarierin traue ich mich nur an den überaus vorzüglichen Blumenkohlstrudel heran. Serviert wird die Köstlichkeit mit tiefenaromatischem Kapern-Pesto und einer nicht weniger überzeugenden Velouté aus weißen Bohnen. Dazu gesellen sich Oktopus und Chorizo als weitere Mitspieler des Ensembles, die sich mein fleischliebender Kollege sichtlich schmecken lässt. Wieder völlig fleischfrei wird es dann beim zart schmelzenden Käse-Gang mit Kartoffelstroh und edlen Trüffeln. Biss für Biss entfaltet sich am Gaumen ein vollmundiger Umami-Geschmack.
Schließlich kommt das Dessert, welches auf der Karte relativ unprätentiös als Ziegenkäse-Milchschnitte angekündigt wird. Sofort schießen mir Erinnerungen aus früheren Zeiten in den Kopf, als es in Schul- und Arbeitspausen öfters Milchschnitten gab. Jene Snacks, die stets süß und immer eine Spur zu fettig waren und die es dabei doch nie vermocht hatten, einen satt zu machen. Doch nach nunmehr vier Gängen hier in Schöneberg bedürfte es auch gar keines Extra-Sattmachers mehr. Und sei er noch so süß. Die Nachspeise von Ronny Marx aber offenbart sich als ein exquisiter Gaumenschmaus, der wenig mit den industriell gefertigten Milchschnitten gemein hat. Die Basis ist ein Schokoladen-Biskuit mit einer üppigen Krone aus Ziegenkäse-Mousse und Honig-Eis. Abgeschmeckt ist das kulinarische Kleinod mit fermentiertem Pfeffer an schockgefrosteten Himbeeren und ein paar Klecksen Passionsfrucht-Soße.
Zum Abschied gibt es nicht nur ein paar Schlückchen vom Scharzhofberger Kabinett, sondern noch drei, vier Bissen vom Mandelküchlein mit Marshmallows sowie einen Hinweis auf den künftigen Weihnachtsmarkt. Er soll ab dem 27. November parallel zu den Öffnungszeiten der Weinbar im schönen Innenhof des Bistros stattfinden und „Berlins kleinster aber feinster Weihnachtsmarkt“ werden, wie Serhat Aktas ankündigt. Dort soll es Süßes und Herzhaftes geben – und selbstverständlich auch exquisiten Glühwein. „Der Weinlobbyist“ will seinem Namen schließlich alle Ehre machen.