Sie gehört zu einem der umstrittensten Gesetze der Ampelregierung – die Cannabis-Liberalisierung. Herausgekommen ist ein hoch kompliziertes Gesetzes- und Verwaltungswerk.
Für Berlins Kiffer ist es die Nacht der Nächte, vom 16. auf den 17. April. Von Dienstag auf Mittwoch um Mitternacht glimmen am Brandenburger Tor hundertfach die Joints, Cannabis ist legalisiert, zumindest teilweise. Seither darf jeder Erwachsene 25 Gramm zum persönlichen Bedarf mit sich führen und auch öffentlich konsumieren. Nach Möglichkeit nicht alles auf einmal.
Lange hatte man in der Bundesregierung und auch im Bundestag darum gerungen, selbst Karl Lauterbach (SPD), ursprünglich Befürworter der Cannabis-Freigabe, war in seiner jetzigen Funktion als Bundesgesundheitsminister nicht ganz so wohl in seiner Haut. Immerhin handelt es sich um die Legalisierung eines Betäubungsmittels. Vor allem konservative Kritiker fürchteten, dass gerade bei jungen Menschen eine wahre Cannabis-Epidemie ausbricht.
Beschaffung nach wie vor eingeschränkt
Dazu ist es bislang bundesweit definitiv nicht gekommen. Fast kann man ein altes Sprichwort abwandeln: Kein Joint wird so heiß geraucht, wie er angezündet wird. Was offensichtlich auch an dem Gesetz selbst und seinen Verordnungen liegt.
Entgegen allen Beteuerungen zur Entbürokratisierung hat der Gesetzgeber vor allem für die Beschaffung des berauschenden THC-Produkts einige Verwaltungshürden aufgebaut. Abgesehen von den drei weiblichen Cannabispflanzen, die jeder Bundesbürger bei sich zu Hause oder im Garten zum Eigenbedarf anbauen darf, ist die Beschaffung von Gras nicht ganz so einfach, wie sich das viele Hanffreunde erhofft hatten. Um im größeren Rahmen in die Eigenproduktion einzusteigen, muss ein Cannabis-Verein gegründet werden, und dieser darf dann an seine Mitglieder pro Monat 50 Gramm Cannabis abgeben. Eine Menge, die bei Dosierung von 0,3 Gramm für gut 160 Joints ausreicht. Über die Abgabe muss der Vorstand des Cannabis-Vereins penibel Buch führen und auch einen Drogenbeauftragten aus seinen Reihen benennen. Die dem legalen Kiffen gegenüber ganz offensichtlich kritisch eingestellten Ministerialbeamten, die diese Gesetzesvorgaben erarbeitet haben, waren bei der Verhinderung der flächendeckenden Cannabis-Verbreitung erfolgreich.
Allein die Hürde, einen Cannabis-Verein zu gründen und eintragen zu lassen, kostet bei den bekannten Personalengpässen in den zuständigen Ämtern viel Zeit und ist obendrein auch recht kostspielig. Je nach Bundesland und Gebührenordnung können nur für die Antragstellung Kosten von bis zu 3.000 Euro entstehen.
Antragstellung heißt bekanntermaßen noch lange nicht, dass dem Antrag auch stattgegeben wird. Wer auf der sicheren Seite sein will, stellt ihn gleich besser mit juristischer Unterstützung, was wiederum weitere Kosten bedeutet. Es sei denn, der beratende Anwalt ist Gründungsmitglied des zukünftigen Cannabis-Vereins. Darum wundert es wenig, dass es Mitte Oktober genau einen einzigen Cannabis-Verein in der Vier-Millionen-Hauptstadtmetropole gibt.
Doch um an Cannabis auf legalem Weg zu gelangen, muss man auch gar nicht erst einen Verein gründen oder Mitglied werden, ein Arzt tut es auch. Seit 2017 ist Cannabis als Medikament in Deutschland bei ganz besonders schweren Fällen zugelassen, allerdings nur auf Betäubungsmittelrezept. Mit der Teillegalisierung des Cannabis im Frühling ist der Betäubungsmittel-Passus beim Rezept allerdings gefallen. Das heißt, Ärzte können Cannabis als Privatrezept verschreiben, wenn sie zu der Diagnose kommen, ihrem Patienten ist mit Cannabis mehr geholfen als mit einer Medikamentierung, die die Schulmedizin empfiehlt. Cannabis auf Privatrezept heißt, der Patient muss sein verschriebenes Medikament in der Apotheke aus eigener Tasche bezahlen, die Krankenkassen sind dabei völlig außen vor. Was zur Folge hat, dass es damit auch keine ständige Kontrolle über die Cannabis-Abgabe über die Apotheken mehr gibt. Was beispielsweise im Park oder Club weiterhin verboten ist, nämlich der Verkauf von Cannabis, funktioniert über die Apotheke mit einem Privatrezept.
Erhebliche Nachfrage in der Apotheke
„Das ist ein echter Graumarkt, der da juristisch entstanden ist. Aber ich als Apotheker bin da auf der sicheren Seite, da jede Cannabis-Abgabe in meinem Geschäft genau erfasst und damit auch nachvollziehbar ist. Vom Produzenten bis zum Patienten“, umschreibt es Marcel Neumann. Der 33-Jährige hat im Januar 2022 eine echte Kiezapotheke im gut bürgerlichen Wilmersdorf mit drei Mitarbeiterinnen übernommen, also gut zwei Jahre, bevor das Cannabis-Geschäft auf Privatrezept losging. Der studierte Pharmazeut hatte sich schon seit längerem mit alternativen Heilmitteln auf Kräuterbasis beschäftigt, wozu auch die Cannabis-Behandlung gehört. Durch Zufall wurde Neumann auf die Privatrezept-Regelung im Zuge der Cannabis Teillegalisierung aufmerksam. „In Anbetracht der Komplexität bei der Versorgung mit Cannabis durch das Gesetz habe ich geahnt, dass dies zu einer erheblichen Nachfrage bei uns führen wird, und mich darauf spezialisiert“, sagt er.
Er sollte recht behalten. Aus den drei Mitarbeitenden sind mittlerweile 24 geworden. Es sind immer 50 bis 100 Sorten Cannabis auf Lager, je nachdem, wofür es gebraucht wird: Eher belebend, beruhigend oder schmerzstillend. Der Eckladen mit gut 200 Quadratmetern Verkaufs-, Logistik- und Laborfläche platzt mittlerweile aus allen Nähten. Neben seiner „Schmargendorf Apotheke“ gibt es bislang laut Neumann in Berlin noch drei weitere Kollegen, die sich ebenfalls spezialisiert haben.
Die Preise pro Gramm Gras liegen zwischen fünf und 15 Euro, also ohne weiteres mit den bisherigen Schwarzmarktpreisen vergleichbar. Der 33-Jährige wehrt diesen Hinweis aber sofort ab: „Alles, was hier rausgeht, ist von hoher pharmazeutischer Qualität, ist geprüft, hat einen definierten THC-Gehalt, ist nicht verdünnt oder mit irgendwelchen anderen Stoffen verunreinigt, also mit Straßenware überhaupt nicht vergleichbar.“ Nun ist es in Deutschland nicht so schwierig, an ein Privatrezept zu kommen. Wie schützen sich die Apotheker gegen möglichen Missbrauch? Apotheker Neumann legt die Stirn in Falten. „Wenn wir einen Missbrauch vermuten, weil zu hohe Mengen, zu oft, oder Verdacht auf gefälschte Rezepte besteht, können wir nur begrenzt eingreifen und die Herausgabe verweigern. Wir dürfen wegen des Patientenschutzes und der Therapiehoheit des Arztes bei Zweifeln nicht mal hinterfragen“.
Generell gilt auch für Cannabis die Rezepthoheit, und jegliche Verantwortung, die daran hängt, liegt einzig und allein beim Arzt. Der Apotheker verkauft es nur und baut es auch übrigens nicht selber hinten in seinem Garten an. Über Großhändler kommt das fertige Cannabis nach Deutschland, das dann über Zwischenhändler unter anderem an die Apotheken geliefert wird. Hauptanbauländer für den deutschen Markt sind Kanada, Portugal und Israel. Deutschland spielt bei der Cannabis-Ernte nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn der Pro-Kopf-Verbrauch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten anderes vermuten lässt. Allerdings gibt es hier nur Schätzungen anhand der beschlagnahmten Mengen durch die Sicherheitsbehörden.