In seinem vom Gault&Millau ausgezeichneten Fine-Dining Restaurant „Prism“ verwöhnt Gal Ben-Moshe seine Gäste – mit weltoffener Fusion-Küche aus der Levante-Region.

Gedanken-Reisen können manchmal die schönsten Reisen sein. Vor allem, wenn sie von intensiven Sinneseindrücken begleitet werden. So erging es mir vor Kurzem bei einem mehrstündigen Ausflug in die Levante-Region – ich durfte eintauchen in die Welt der Aromen von Israel über Jordanien und den Libanon bis nach Syrien.
An jenem Sommerabend besuchten mein heutiger Begleiter und ich das „Prism“ in Berlin-Charlottenburg. Kaum, dass wir die Räumlichkeiten des ehemaligen „Fräulein Fiona“ an der Fritschestraße betreten, sind wir beide schon von der subtilen Eleganz des Fine-Dining-Restaurants in seinen Bann gezogen. Puristisch, unaufdringlich und gleichzeitig mysteriös, findet mein aufmerksamer Begleiter. Auf mich wirkt das vom Berliner Innenarchitekten Patrick Batek gestaltete Interieur angenehm meditativ, ja beinahe ein bisschen klösterlich. Zu den anthrazitfarbenen und blauen Wänden gesellt sich ein glänzend grauer Betonboden. Akzente setzen eine mit goldbraunem Samt bezogene Bank und einzelne, mit Nussbaumholz vertäfelte Bereiche. Die messingfarbenen Wand- und Deckenstrahler geben dem Raum eine warme Beleuchtung. „Wie Kerzenlicht“, meint Gründer und Inhaber Gal Ben-Moshe im Gespräch mit uns. Für die Beleuchtung müsse er eigens Glühbirnen aus der Türkei importieren, da die Leuchtmittel im EU-Raum nicht mehr verfügbar sind, erzählt er uns.
Neue Sprache der levantinischen Küche

Gal Ben-Moshe betreibt das Restaurant gemeinsam mit seiner Frau Jacqueline Lorenz. Aufgewachsen in Israel absolvierte der Gourmet-Koch erst seinen verpflichtenden, dreijährigen Militärdienst. Dann startete er seine kulinarische Laufbahn unter großen Köchen wie Jason Atherton, Marcus Wareing und Grant Achatz. Er kochte in Tel Aviv im „Mul Yam“ und im „Orca“. Danach arbeitete der kreative Kopf in der Küche des „Maze“ und „Hibiscus“ in London, gefolgt vom „Alinea“ in Chicago. 2012 zog er nach Berlin und eröffnete mit dem „Glass“ an der Uhlandstraße sein erstes eigenes Restaurant. Sechs Jahre später schloss Gal Ben-Moshe das „Glass“ wieder und hob dafür das „Prism“ aus der Taufe.
Der Israeli wurde mit 16 Punkten im Gault&Millau ausgezeichnet. Er wurde für seine meisterhafte Handwerkskunst sowie für seine einzigartige Küche für die Auszeichnung zum Berliner Meisterkoch nominiert. Seine Partnerin Jacqueline Lorenz zählt zu den besten 50 Sommeliers Deutschlands. Die gebürtige West-Berlinerin hat jeden einzelnen Wein der mehr als 200 Positionen umfassenden Karte persönlich ausgesucht und steht uns mit ihrer ausgezeichneten Expertise zur Seite. Ihr Fokus liegt auf dem Mittelmeerraum. Damit komme ich in den Genuss von wundervollen, jordanischen und libanesischen Tropfen.

Da mein Begleiter am nächsten Tag an einem Box-Wettkampf teilnehmen und nüchtern bleiben will, lässt er sich den feinperligen Proxies „Hibiscus“ vom dänischen Hersteller Far & Søn empfehlen und genießt die mit Zitronengras, Kaffirlimettenblättern und Kräutern komponierte Erfrischung. Ich beginne mit einem spritzig-fruchtigem Cider aus dem Libanon, während ich später zu einem unaufdringlichen, trockenen Shiraz aus Nord-Jordanien und anderen liquiden Finessen übergehe.
Im Gespräch mit Gal Ben-Moshe erzählt uns der Wahl-Berliner, dass er die kulinarischen Traditionen aus ihren Ketten und Ländergrenzen befreien möchte. So seine Mission. In den vergangenen Jahren habe er einige Syrer kennengelernt, ihre Geschichten haben ihn so tief berührt, dass er einen Teil seiner Gerichte auch der kriegsgeschüttelten Stadt Aleppo gewidmet hat. „Ich möchte eine neue Sprache der levantinischen Küche entwickeln“, erläutert er das Konzept seiner Fusion-Küche, die außer der mediterranen und orientalischen Basis auch Bezüge nach Ostasien und ganz Europa hat.

Bei meinem Begleiter und mir springt der Funke der Fusion schon bei der Amuse-Gueule über. Die mehrstimmige Ouvertüre der Appetizer kündigt das folgende, perfekt orchestrierte Gaumenfeuerwerk an. Da zupft zum Beispiel die süß-säuerliche, libanesische Aprikosen-Gazpacho an Senfeiscreme erfrischend und leicht prickelnd auf der Zunge. Das Auberginen-Crisp an einem Sorbet vom selben violetten Gemüse und einer Käsecreme namens Jameed vermittelt ein halb knuspriges, halb seidiges Mundgefühl.

Eine zart dahinschmelzende Textur zeichnet das Lammtatar aus. Gleichzeitig ist die Tartelette, in die es gebettet ist, wiederum leicht und crunchy. Dank der Zugabe von Sauerkirschen, gegrillten Zwiebeln und Zedernkernen entfaltet sich das Ganze wie ein Menuett, das säuerlich-fruchtig am Gaumen tanzt.
Den richtigen Ton trifft auch das in Tempura gebackene Khubeza an weißen Bohnen, Mangold und Maftool. Dank des mehrstimmigen Vorspiels aus der Küche hat Gal Ben-Moshe schon gleich die kulinarischen Grenzen weggewischt und wir haben neue Begriffe kennengelernt: Khubeza beschreibt eine israelische, wild wachsende Malvenblütenart, die geschmacklich an Spinat erinnert. Maftool ist eine palästinensische Couscous-Art. Jameed ist eine Erfindung der Beduinen – der zu Hartkäse getrocknete Joghurt ist vor allem in Jordanien verbreitet.
Zu viel Popanz würde einfach nur ablenken

„Sehr spannend“ findet mein Begleiter den ersten Gang: Vor uns steht ein Tellerchen mit ein paar Stückchen von der Aguri-Makrele an Tomaten, Radieschen und Physalis, verfeinert mit einer geräucherten Emulsion aus Schnittlauchöl. Der Spagat aus fruchtig, säuerlich und rauchig ist Gal Ben-Moshe und seinem Küchenteam hervorragend gelungen.
Wie auch die nachfolgenden Gänge werden die hochköstlichen Häppchen fast allesamt auf puristisch weißen Tellern mit designtem Lochmuster am Rand serviert. Andere Gerichte werden in ebenso schneeweißen, hohen Bechern serviert. Klar ist, dass die kleinen Fusion-Köstlichkeiten die Shootingstars des Restaurants an der Fritschestraße 48 sein sollen. Zuviel Popanz drumherum würde nur ablenken.

Eine unerwartete Überraschung kommt mit Pauken und Trompeten bei einem der nächsten Gänge. Es ist Liebe auf den ersten Biss. Sie kommt im Gewand eines neu erfundenen Baklava-Gebäcks daher. Das vermeintlich Süße hat Gal Ben-Moshe aber dekonstruiert und in eine herzhafte Komposition verwandelt. Unter der knusprigen Mandel-Panade befindet sich anstelle von Nüssen und Honig das zarte Fleisch von Kaiserhummer. Beilage der Langoustinen-Baklava ist eine Sauce Hollandaise aus Nussbutter mit peppigem Harissa-Gewürz. Den scharfen Akzent auf der Kreation bilden ein paar Fingerspitzen Wasabi-Pulver on top. „Das soll die Pistazien des konventionellen Baklava imitieren“, erläutert uns unser Kellner Ben.
Genau das Richtige für lauen Sommerabend
Noch sind wir lange nicht am Ende. Auf unserem Tisch landen weitere kleine, höchst raffinierte Köstlichkeiten. Dazu zählen auch ein kleines, saftiges Stück Rip-Eye von der nordspanischen Rubia Gallega – einer Milchkuh, die ein immerhin 15-jähriges Leben vor der Schlachtung erleben durfte und deren Fleisch als besonders hochwertig gilt. Angerichtet ist das Ganze an gegrillten Rosen, einer Kaffee-Jus mit Muhammara, einer scharfen orientalischen Würzpaste aus Walnüssen und Paprika.
Die kreative Fusionsküche geht weiter und umfasst sechs Gänge. Überraschendes zeigt sich auch bei den Nachspeisen. Hier geht die Reise nach Aleppo, sagt unser Gastgeber, während er uns zwei Dessertteller reicht. Und so beißen wir in eine sommerliche, mehrschichtige Kreation aus Cantaloupe, knackigen Pistazienstückchen, einem Olivenöl-Sablé und einem fluffig-fruchtigen Schaum aus Orangenblütenwasser. Meinem aufmerksamen Begleiter kommen sofort Assoziationen von „Sonne, Meer und Ausgelassenheit“ in den Sinn. Hach, ja. Was wollen wir auch mehr an diesem lauen Sommerabend in der Stadt?