Saarbrücken – die deutsch-französische Hauptstadt? Warum eigentlich nicht mal größer denken, so der Saarbrücker Oberbürgermeister Uwe Conradt in seiner Vision. Aber geht dies noch angesichts vielfältiger Krisen?
Träumen soll erlaubt sein. Paris als Kapitale der Grande Nation, Berlin als Hauptstadt der Deutschen, Straßburg als Eurometropole und mittendrin im Konzert dieser Weltstädte Saarbrücken als deutsch-französische Hauptstadt oder anders ausgedrückt: als Hauptstadt der deutsch-französischen Freundschaft. Die Voraussetzungen seien ideal, erklärte der Oberbürgermeister vor Vertretern des Wirtschaftsclubs „Club des Affaires Saar-Lorraine“ Mitte November 2024 im Rathaus Saarbrücken. Als einzige nennenswerte Großstadt an der Schnittstelle zweier europäischer G7-Staaten, als Stadt mit deutsch-französischen Institutionen nationaler und internationaler Tragweite wie der Deutsch-Französischen Hochschule, ProTandem für den Austausch in der beruflichen Bildung beider Länder, dem Deutsch-Französischen Kulturrat, einer Universität mit europäischer Ausrichtung und fester Verankerung in der Großregion. Dazu jede Menge Einrichtungen, Institute und Verbände auf kommunaler und regionaler Ebene, die die deutsch-französische Freundschaft in ihrer DNA haben. Angefangen beim Eurodistrict SaarMoselle über das Städtenetz QuattroPole mit Saarbrücken, Metz, Luxemburg und Trier bis hin zum World Trade Center (WTC) Saarbrücken-Metz. Nicht zu vergessen die unzähligen Städtepartnerschaften und Vereine aus Wirtschaft, Sport und Kultur, die sich die deutsch-französische Zusammenarbeit auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Immerhin leben in einem Umkreis knappe 50 Minuten von Saarbrücken entfernt 1,5 Millionen Menschen, davon ein Drittel in Frankreich; das Oberzentrum der Saar liegt mittendrin in Europa auf einer Linie von den Benelux-Ländern über Nord- und Ostfrankreich, dem Rhein-Main-Gebiet bis nach Norditalien; ein Raum, in dem rund 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts der EU erarbeitet werden. Man nennt das Gebiet auch die „Blaue Banane“, vom Himmel aus betrachtet.
Das Angebot in puncto grenzüberschreitender Zusammenarbeit sei im Vergleich zu anderen Städten gleicher Größenordnung in Saarbrücken einfach umfangreicher. Das tagtägliche Miteinander, der deutsch-französische Bürgerrat, das Deutsch-Französische Gymnasium, die Kita Salut für deutsche und französische Kinder oder der grenzüberschreitende Bücherbus BiBus, gelebte deutsch-französische Freundschaft gehöre zum Selbstverständnis, und die Stadt sollte sich so auch strategisch positionieren als Tor zu Frankreich und Deutschland gleichermaßen, so Conradt weiter. Von den rund 3.000 französischen Direktinvestitionen in Deutschland entfallen 16 Prozent auf das Saarland.
Tagtägliches Miteinander
Größer denken an der Schnittstelle der beiden größten Volkswirtschaften in der EU sei angesichts der vielen Krisen sowieso notwendig und ein Zusammenrücken Europas unabdingbar. Dass dies funktioniere, zeige die gemeinsame Arbeit der beiden Staaten beispielsweise erst kürzlich im November. Da wurde die „Saarbrücker Erklärung“ verabschiedet. Ziel dieser Erklärung ist es, die „Zusammenarbeit im Bildungsbereich in Zeiten des Wandels, globaler Krisen und vielfältiger gesellschaftlicher Herausforderungen“ zu festigen und zu vertiefen. Der deutsch-französischen Zusammenarbeit komme wieder einmal eine Schlüsselrolle zu.
Auch wenn dieser Motor arg ins Stottern geraten ist. Die politischen Krisen in beiden Ländern, das Erstarken der Populisten sowie die Schwäche der deutschen Wirtschaft als einstige Lokomotive in Europa erschweren das Wiederankurbeln. Hinzu kommen die gescheiterten Großansiedlungen wie SVolt im Saarland oder das Konsortium der drei Unternehmen Suez RV France, SK Geo Centric und Loop Industries im lothringischen Carling für Recycling von Plastik oder die auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschobene Ansiedlung von Wolfspeed in Ensdorf. Dazu die Krise in der Automobilbranche samt Zulieferern wie Ford, Michelin, ZF oder Schaeffler mit enormen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze von Saarländern und Lothringern. Zwar scheint das grenzüberschreitende Wasserstoffprojekt „mosaHYC“ immer konkreter zu werden, aber der Bau des Elektrolyseurs auf dem Gelände von GazelEnergie in Carling steht in Paris nicht auf der Prioritätenliste und ein Liefervertrag für Wasserstoff ins Saarland liegt ebenfalls noch nicht vor. Von den Herausforderungen der Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz dies- und jenseits der Grenzen ganz zu schweigen.
Krieg in Europa, die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus, klamme öffentliche Kassen, Fachkräftemangel: Angesichts dessen braucht es wohl wieder positive Impulse und einen kräftigen Schub in der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Wenn schon nicht von Paris oder Berlin, warum dann nicht von Saarbrücken aus!