Brandbriefe an die Bundesregierung, auch vom deutschen Handwerk: Jens Schmitt, neuer Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer im Saarland, mahnt gerade jetzt eine konstruktive politische Zusammenarbeit an.
Herr Schmitt, Brandbriefe von den deutschen Wirtschafts-Spitzenverbänden, unter anderem vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), liegen dem Kanzler vor. Was verspricht sich das deutsche Handwerk davon?
Dieser Brandbrief war ein richtiger Schritt. Auch das Handwerk beobachtet eine gewisse Unbeweglichkeit in der Politik. Bei vielen Problemen, die auch das Handwerk betreffen, geht derzeit nichts voran. Hier fallen mir zum Beispiel die Steuerpolitik oder die Entbürokratisierung ein. Die Probleme in Deutschland türmen sich derzeit zu einem riesigen Berg. Sie sind zu schwierig, als dass diese Regierung sie alleine bewerkstelligen könnte. Vor diesem Hintergrund vermisse ich die konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition. Denn letztlich geht es um den Wohlstand in Deutschland. Man muss an den Sachthemen arbeiten und die Parteipolitik hintanstellen.
Woran machen Sie diese Aussage fest?
Nun, Sie müssen sich anschauen, dass die Menschen auf die Straße gehen. Das ist ein gutes Zeichen für eine funktionierende Demokratie, aber ich befürchte bald ein Überhandnehmen, nämlich ähnliche Proteste wie die „Gelbwesten-Bewegung“ in Frankreich. Das setzt die Politik unter Druck und zeigt, dass bei einigen Bevölkerungsteilen große Unzufriedenheit herrscht. Für viele Unternehmen im Handwerk bleibt unterm Strich immer weniger in der Kasse. Außerdem haben sie Probleme, Nachwuchs und Fachkräfte zu finden. Es ist höchste Zeit, dass die Bundespolitik die Interessen des Mittelstands endlich wieder stärker in den Blick nimmt, insbesondere der kleineren Betriebe, die das Gros der Ausbildung in Deutschland tragen.
Ist die Handwerkskammer von den Sparmaßnahmen der Ampel betroffen?
Bislang liegen uns keine Zusagen des Bundes zur Ausbildungsförderung vor. Die Bundeszuschüsse sind ein wichtiges und bewährtes Förderinstrument. Sie senken die Kosten, die die Betriebe für die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung aufwenden müssen. Ich gehe davon aus, dass die Förderung kommt. Stand heute gibt es aber keine gesicherte Zusage über die Gelder. Dieser luftleere Raum, in dem wir uns befinden, verunsichert uns wie auch unsere Innungen. Kommt das Geld nicht, verteuert sich die Ausbildung – vor allem für kleinere Betriebe ist dies eine echte Belastung.
Die Bundesregierung bringt nun das Wachstumschancengesetz auf den Weg, sehen Sie darin die richtigen Impulse?
Das Gesetz allein wird nicht ausreichen. Wir müssen verschiedene Dinge anpacken, vor allem brauchen wir stärkere Unterstützung beim Thema Fachkräftesicherung. Der Fachkräftemangel ist und bleibt die drängendste Herausforderung für das Handwerk. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich auch in den kommenden Jahren nichts daran ändern wird. Zwar befinden wir uns in einem Abschwung, der sich auch auf das Handwerk auswirkt. Einige Gewerke sind in einem gewissen Maße abhängig von Aufträgen der öffentlichen Hand und der Industrie. Öffentliche Sparmaßnahmen und ein Abschwung in der Industrie haben deshalb auch Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung im Handwerk. Doch der Fachkräftemangel wird weiter anhalten.
Was brauchen Sie dafür?
Zum einen Fachkräfte aus dem Ausland. Diese müssen die Möglichkeit bekommen, die Chancen im Handwerk besser kennenzulernen. Meine Wahrnehmung ist, dass ausländischen Fachkräften oft nur die großen Namen der deutschen Industrie ein Begriff sind. Es muss also auch gelingen, dass das Handwerk – analog zur akademischen Laufbahn – als Chancengeber gesehen wird. Außerdem muss die Willkommenskultur verbessert werden. Auch hier unternimmt Deutschland einiges, auch in unserem Bundesland: Ein „Haus des Ankommens“ steht als Projekt der Landeshauptstadt Saarbrücken und weiteren Partnern in den Startlöchern. Hier sollen Fachkräfte aus dem Ausland beim Ankommen unterstützt werden. Dieser neuen Anlaufstelle muss es natürlich gelingen, die richtigen Ansprechpartner in der Wirtschaft und im Handwerk zu vermitteln. Auch muss die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse beschleunigt werden. Und die bürokratischen Hürden müssen reduziert werden, sodass die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtert wird und rascher vonstattengehen kann. Das steht und fällt mit der Digitalisierung, und hier tut sich Deutschland weiter schwer. Zu guter Letzt brauchen die Menschen Weiterbildungschancen, denn auch im Handwerk verändern sich viele Dinge rasch und nachhaltig.
Im grenznahen Saarland und in Baden-Württemberg gibt es das besondere Problem der sehr bürokratischen Arbeitnehmerentsendung nach Frankreich, hier versprach Paris Besserung. Gibt es diesbezüglich Fortschritte?
Wir als Handwerkskammer stehen mit den französischen Kollegen und anderen internationalen Partnern im Austausch. Unsere HWK pflegt sogar auf EU-Ebene einen Austausch mit anderen Kammern. Außerdem bringt sich die Außenwirtschaftsberatung unserer Handwerkskammer seit Jahren in grenzüberschreitenden Arbeitsgruppen ein, unter anderem um auf eine Erleichterung der Entsendeformalitäten hinzuwirken. Leider gab es allerdings in manchen grenzübergreifenden Gremien wie dem Interregionalen Rat der Handwerkskammern (IRH) coronabedingt lange kaum einen Austausch. Es ist gut, dass der Austausch seit Oktober 2023 wieder an Dynamik gewinnt.
Die bürokratischen Belastungen für die Betriebe umfassen viele Bereiche von Steuerrecht über Verkehrsrecht bei Baubetrieben bis hin zu Datenschutz oder Dokumentationspflichten. Wo gilt es hier anzusetzen?
Es wäre ein großer Schritt getan, wenn es mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranginge. Das betrifft auch die Kommunikation mit den Betrieben. Stand heute können Betriebe noch nicht reibungslos und medienbruchfrei Informationen mit allen öffentlichen Institutionen austauschen. Im Kontext der Bürokratiedebatte spielt auch die Sozialversicherung eine Rolle. Die Sozialabgaben sollten bei 40 Prozent gedeckelt werden. Das würde einen Anstieg der Arbeitskosten bremsen. Gleichzeitig bliebe den Beschäftigten mehr Netto vom Brutto. Wir brauchen strukturelle Reformen im Bereich der Sozialversicherung.
Bürokratie kann auch abschreckend auf Gründungsinteressierte oder potenzielle Betriebsübernehmer im Handwerk wirken. Das Saarland konnte netto in den vergangenen Jahren im Gegensatz zum Bund ein Plus an neuen Betrieben verzeichnen. Erwarten Sie, dass die Gründungsbereitschaft wieder sinken wird?
Deutschlandweit sind die Gründungen zurückgegangen, nun ist offenbar die Talsohle erreicht. Wie es weitergehen wird, hängt davon ab, wie attraktiv potenzielle Existenzgründer die unternehmerische Selbstständigkeit bewerten. Momentan haben wir eine gute Beschäftigungssituation und gute Verdienstmöglichkeiten, weil eben viele Branchen händeringend Fachkräfte suchen. Qualitativ hochwertige Gründungen und hochwertige Betriebsnachfolgen gedeihen auch dank geringer Bürokratie, aber wir müssen schon die Vorzüge des Unternehmertums stärker herausstellen: schnelles und direktes Feedback vom Kunden, Selbstverwirklichung und die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen, Entscheidungsfreiheit und nicht zuletzt die Möglichkeit, Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu übernehmen sowie selbst auszubilden, um die eigene Zukunft und die ihres Gewerks zu sichern oder zumindest einen Teil dazu beizutragen. Vor allem im Bereich der Betriebsnachfolge haben wir jetzt schon ein Problem: Aktuell stehen im Saarhandwerk rund 2.600 Betriebe zur Übernahme an. Es gibt aber nicht genügend Übernehmer. Und das, obwohl es sehr sinnvoll sein kann, einen gut laufenden Betrieb zu übernehmen statt neu zu gründen. Das Team unserer HWK-Unternehmensberatung unterstützt Übergeber und Betriebsübernehmer während des gesamten Übergabeprozesses.
Eine Branche ist derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung stark unter Druck, das Baugewerbe. Es hofft auf milde Zinsentscheidungen der Europäischen Zentralbank, die Bundesregierung verspricht Zinsbeihilfen für Bauherren. Reichen diese Maßnahmen aus?
Hier kommt es darauf an, wer welche Beihilfen in welcher Höhe erhält. Entscheidend wird also sein, wie breit die Wohnbauförderung aufgestellt ist und welche Hilfen Bund und Land gewähren. Es wird nicht von Zinsentscheidungen allein abhängen, dass das Baugewerbe wieder auf die Beine kommt. Die Bundesregierung muss die Baupreise im Auge behalten. Denn Fakt ist: Es gibt kaum Haushalte, die es sich noch leisten können, zu bauen. Damit das Bauen wieder eine echte Option für viele wird, braucht es daher attraktivere Programme, auch für niedrigere Einkommen und Familien.
In den eingangs erwähnten Brandbriefen klingen auch Sorgen bezüglich der derzeitigen wirtschaftlichen Lage in Deutschland und Befürchtungen über einen daraus folgenden rechtsextremistischen Ruck an. Teilen Sie diese?
Ja.