Was in der Großregion funktioniert, funktioniert auch für Europa. Trotzdem gibt es derzeit viele offene Fragen: für Start-ups wie für die Automobilindustrie im Saarland, in Rheinland-Pfalz, Lothringen, Luxemburg und der Wallonie.
Die Lage ist ernst“ – für Europa, für Deutschland, für den Frieden, für die Wirtschaft. Und für Frankreich. Was nach den Worten Adenauers schon vor rund 70 Jahren auf Messers Schneide stand, hat an Aktualität nichts eingebüßt. Internationale Krisen, ungezügelter Populismus dies- und jenseits der Grenzen, Egoismus und nationale Kleinstaaterei machen Europa derzeit den Garaus. Besonders die europäische Großregion, bestehend aus den Bundesländern Saarland, Rheinland-Pfalz sowie der französischen Region Lothringen, unserem Nachbarn Luxemburg und der belgischen Region Wallonien, leidet darunter, dass der Fortschritt in Europa eine Schnecke ist.
Dabei verfügt gerade die Großregion, vielfach als Europa im Kleinen bezeichnet, über das Potenzial, Europa im Großen Beine zu machen, denn was in dieser Grenzregion funktioniert, funktioniert aus Sicht der Politik als Vorbild für die ganze EU. Sie gilt als dynamischste Grenzregion in Europa mit 230.000 Pendlern tagtäglich, starken und bislang auch erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen, einer vielfältigen und hochkarätigen Forschungs- und Hochschullandschaft, grenzüberschreitenden Netzwerken in Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und Gesellschaft. Aber trotzdem läuft der Motor in der Großregion nicht so richtig rund.
Frankreich-Strategie ohne Sichtbarkeit
Am richtigen Schmierstoff und dem guten Willen mangelt es den Akteuren sicher nicht, wohl aber an der Durchschlagskraft, die PS der durchaus vorhandenen Stärken auf die Straße zu bringen, sprich in messbares Wachstum und zukunftsorientierte Arbeitsplätze umzumünzen. Darüber diskutierten Roger Cayzelle, Präsident des Instituts der Großregion, Oliver Geis-Sändig, Vorsitzender des Wirtschaftsnetzwerks Win.Saarland, Cornelia Hoffmann-Bethscheider, Präsidentin des Sparkassenverbands Saar, und Armin Gehl, Geschäftsführer des Automobil- und Zulieferer-Branchenclusters „Autoregion“, auf einer Gemeinschaftsveranstaltung der Union-Stiftung in Saarbrücken.
Es gibt sie durchaus, Unternehmen, die das deutsch-französische Gen schon in ihrer DNA haben. So mache beispielsweise die saarländische Landesbank rund 40 Prozent ihres Geschäfts im benachbarten Frankreich, allen voran mit der Finanzierung von Energie- und Infrastrukturprojekten, so Cornelia Hoffmann-Bethscheider. Ein Alleinstellungsmerkmal unter den wenigen verbliebenen deutschen Landesbanken. Auch die Landesbausparkasse erziele 40 Prozent ihres Umsatzes mit Immobiliengeschäften in Frankreich, allerdings mehr im Großraum Paris, Straßburg und an der Côte d’Azur. Der „Pôle franco-allemand“ und die erst 2022 gegründete Plattform „S-International Saar-Pfalz“ zur Förderung von Investitionen beidseits der Grenze erfreuen sich großen Zuspruchs, hieß es, aber bei der Unterstützung von Start-up-Unternehmen sehe es mau aus. Start-ups seien aber für das Saarland und die Großregion ungemein wichtig. „Die Szene ist im Saarland eh nicht stark ausgeprägt, geschweige denn grenzüberschreitend, und die Finanzierung solcher Vorhaben ist ohnehin kein Geschäft der Sparkassen“, erklärt die Verbandspräsidentin. Die Start-up-Szene hierzulande sei ein zartes Pflänzchen auf der Suche nach Aufträgen und Finanzierung, mit einem Potenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft ist trotz erstklassiger Institute und Hochschulen inklusive internationaler Vernetzung.

Die Schwierigkeit sei, dass sich viele Unternehmer sowohl im Saarland als auch in Lothringen gar nicht richtig kennen, betont Dr. Nikolaus Geiben, der zusammen mit Corinna Mörsdorf im grenzüberschreitenden Netzwerk Win.saarland versucht, Entscheider entlang der deutsch-französischen Grenze zusammenzubringen. Und der gut gemeinten Frankreich-Strategie des Saarlandes fehle es an Sichtbarkeit. Es bleibt also noch viel zu tun. Aber die Zeit drängt.
„Hausgemachte Probleme“
Armin Gehl von der „Autoregion“ sieht durchaus ein enormes Wirtschaftspotenzial im Automobilsektor der Großregion. Ein Schwergewicht: 220.000 Arbeitsplätze in 680 Unternehmen der Branche sprechen eine deutliche Sprache, davon allein 160 im Saarland, 250 in Rheinland-Pfalz, 200 in der französischen Nachbarregion Region Grand Est und 35 in Luxemburg. Doch bei gemeinsamen Veranstaltungen in der jeweiligen Region überwiegen das „kulturelle“ Misstrauen und Argwohn speziell unter Deutschen und Franzosen. „Die Grenzen sind in den Köpfen leider noch vorhanden. Wie soll da ein kooperatives Miteinander gelingen?“, fragt Gehl. Luxemburg kenne dieses Problem dagegen nicht, denn der Staat habe längst erkannt, dass das Großherzogtum ohne Kooperation mit der Großregion viel zu klein sei. Mehr Vertrauen und Zusammenarbeit seien einfach wünschenswert.
Für die Produktion von Fahrzeugen und Motoren in der Großregion, insbesondere für das Saarland, zeichnete Armin Gehl sogar ein düsteres Zukunftsbild. „Ford ist fort, SVolt weg und Wolfspeed kommt wohl nicht: Ein Wirtschaftszweig auf Talfahrt, und das schon seit zehn Jahren.“
Doch die Probleme seien vielfach hausgemacht: das politisch starre Festhalten an der E-Mobilität, die Vorgabe unrealistischer Zahlen wie eine Million E-Fahrzeuge bis 2020, die politisch eigentlich nicht gewollte Entwicklung von Plug-in-Hybriden, der schleppende Ausbau der Ladeinfrastruktur und der Eiertanz bei der Batterieproduktion, um ein paar Beispiele zu nennen. Und obendrein gebe Asien der einst so stolzen deutschen Automobilindustrie den Rest. „Die Chinesen haben den Ingenieursmarkt hierzulande leergekauft“, so Gehl. Es werde zwar noch hier unter asiatischer Ägide entwickelt, aber produziert im großen Stil – ausgenommen Ungarn – werde künftig außerhalb Europas wie in China, wo alle deutschen Autohersteller in Joint-Ventures vertreten seien, oder im geplanten Low Budget Supplier Park von Ford in Casablanca in Marokko. „Die PS kommen hier nicht auf die Straße, zu teuer, zu langsam und zu kleinteilig gedacht.“ In Spanien kostet im Durchschnitt die Arbeitsstunde 29 Euro, in Frankreich 46 Euro und in Deutschland 62 Euro. In Asien und in Afrika ist es nochmals günstiger. Und China steht mit günstigen kleinen E-Autos bereits in den Startlöchern.
Die E-Mobilität dürfte wohl schon aus Kostengründen am Saarland vorbeifahren, es sei denn, der große Wurf beim Recycling von Autobatterien würde gelingen. Die Voraussetzungen stehen derzeit gar nicht mal so schlecht, denn ab 2030 fallen nach Berechnungen von Fachleuten rund 100.000 Tonnen Autobatterien jährlich an. Die gesetzlich verordnete Rücknahmepflicht der Hersteller sowie die vorgeschriebene Recycling-Quote tun künftig ihr Übriges. Doch China wartet nicht. Allein der chinesische Hersteller BYD hat zehn Containerschiffe mit Platz für jeweils 10.000 E-Autos geordert, die einmal pro Woche Bremerhaven anlaufen. Und die Schiffe fahren nun einmal nicht gerne leer zurück. China habe die Absicht, sich die gesamte Fahrzeugherstellung bis zur Wiederverwertung zu eigen zu machen, warnte Armin Gehl, der händeringend Investoren sucht für den möglichen Bau einer Großrecycling-Anlage im Saarland. „Wir haben geeignete Standorte, wir haben das Know-how, die Fachkräfte und wir haben das Potenzial – allein, es fehlt der Glaube.“ Gespräche gebe es, aber wenn die Großregion jetzt nicht zusammenstehe und hier nicht investiert werde, verliere die Automobilindustrie immer mehr den Anschluss.
Die Lage sei ernst, brachte es Roger Cayzelle bereits zu Beginn der Veranstaltung auf den Punkt. Die einstigen Impulsgeber in der Großregion als Motor für Wandel, Fortschritt und Wertschöpfung liefen Gefahr, nur noch Schatten ihrer selbst zu sein, wenn Europa nicht zusammenstehe. Egoismen müssten endlich überwunden werden. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ein wohl noch weiter Weg liege in Europa vor uns, so das doch etwas ernüchternde Fazit von Oliver Geis-Sändig.