Aus einer französischen Chemieplattform soll ein grünes Vorzeigeprojekt werden. Dafür will die französische Politik sorgen: Das letzte Kohlekraftwerk Frankreichs soll bald Wasserstoff herstellen.
Trotz politischer Achterbahnfahrt hält Frankreich unbeirrt an seiner strategisch ausgerichteten Industriepolitik fest: Stärkung der heimischen und europäischen Industrieunternehmen, Förderung der grünen Transformation, mehr Unabhängigkeit von China, mehr Direktinvestitionen aus dem Ausland. Das zeigen auch die jüngsten Ansiedlungserfolge in der Region Grand Est wie die Gigafactory für Batterien der Bolloré-Gruppe im südelsässischen Mulhouse oder der Solarzellenhersteller Holosolis im grenznahen Hambach bei Saargemünd sowie der langfristig angelegte Umbau der Chemie-Plattform Carling-St. Avold zu einer Öko-Plattform für Wasserstofferzeugung, Batterietechniken und Biomassenutzung.
Das weitläufige circa 600 Hektar große Gelände des Industrieparks nahe der Autobahn A4 bei St. Avold erinnert ein wenig an altehrwürdige Industrielandschaften im Ruhrgebiet oder in Ostdeutschland kurz nach der Wende. Ausgefahrene Zufahrten, verbeulte und verblichene Schilder, mit Birken und Pappeln zugewucherte Pfade weisen den Weg zu einem der Kernstücke auf der Chemie-Plattform: das Kohlekraftwerk Emile Huchet, das den angesiedelten Industrieunternehmen der Bereiche Spezialchemikalien, Industriegase und Verbundwerkstoffe über Jahrzehnte hinweg Strom, Wärme und Dampf zur Verfügung stellte. Mit den beiden Kraftwerksblöcken war es viele Jahre die größte thermische Stromerzeugungseinheit Europas. Doch seit geraumer Zeit steht Transformation auf dem Programm mit all’ den damit verbundenen Chancen und Risiken. Und es wäre wohl nicht Frankreich, wenn nicht irgendwo brennende Autoreifen die Zufahrt zum Betriebsgelände versperren würden. Ziviler Ungehorsam in Form von spontanen Protestaktionen der Mitarbeiter des Kraftwerkbetreibers Gazel Energie gegen eine unsichere Zukunft. Die schon von Weitem sichtbaren schwarzen Rauchsäulen zeigen zumindest an diesem Juni-Tag, wo sich der Eingang zum Betriebsgelände befindet.
Das einzige verbliebene Kohlekraftwerk Frankreichs hat schon bessere Zeiten erlebt, mehrmals den Besitzer gewechselt von der lothringischen Bergwerksgesellschaft HBL in der Blütezeit über den deutschen Eon-Konzern und Uniper bis hin zu Gazel Energie, die heute zum tschechischen Energiekonzern EPH gehört. Als vor fünf Jahren Gazel Energie das Kraftwerk mit dem etwa 100 Hektar großen Gelände übernahm, erlebte der Standort mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zwischenzeitlich eine Renaissance, denn das „eingemottete“ Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 600 Megawatt wurde für die Sicherstellung der Stromversorgung in Frankreich dringend benötigt. Gründe waren unter anderem zahlreiche Atomkraftwerke in Revision oder Dunkelflauten bei Sonne und Wind. Heute steht das Kraftwerk mehr oder weniger wieder im Stand-by-Modus und darf nur zu Spitzenzeiten 700 Stunden pro Jahr betrieben werden. So will es das französische Energiegesetz.
Batteriespeicher und Elektrolyseure
Doch Gazel Energie habe perspektivisch anderes vor am Standort, wie Geschäftsführer Antonin Arnoux vor Mitgliedern des Club des Affaires Saar-Lorraine Mitte Juni vor Ort erläutert. „Wir unterstützen die Dekarbonisierung der Produktionsprozesse der Industrie und liefern Strom, Wärme und Kälte sowie Wasserstoff direkt erzeugt am Standort Emile Huchet. Und das machen wir auch grenzüberschreitend.“ Mit Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe schiebt das Unternehmen zukunftsweisende Innovationen an und ist als Produzent von grünem Wasserstoff wichtiger Akteur des grenzüberschreitenden transnationalen Projekts MosaHYc. In zwei Etappen entstehen jeweils zwei Elektrolyseure mit jeweils 200 Megawatt Leistung für insgesamt 780 Millionen Euro; 200 direkte und 400 indirekte Arbeitsplätze sollen geschaffen werden. „Seitdem Saarstahl als Abnehmer von Wasserstoff über eine Direktanbindung an MosaHYc grünes Licht für die finanzielle Förderung aus Berlin erhalten hat, haben auch wir Planungssicherheit“, betont Antonin Arnoux. Die Bauarbeiten für die Wasserstoffzukunft ab 2028 haben bereits begonnen. Natürlich werde die erzeugte Menge von Emile Huchet für Saarstahl allein nicht reichen, aber die Einbettung ins europäische Verbundnetz sowie zusätzliche Einspeiser machen das möglich. Arnoux träumt bereits von einer Anbindung und Versorgung weiterer Industriestandorte in Ostfrankreich mit Wasserstoff.
Die Zukunft ist grün, und so befindet sich ein weiteres Großprojekt seit 2023 in der Umsetzung. In 24 Containern speichern Batterien mit 35 Megawatt Leistung rund 44 Megawattstunden Strom, ausreichend für die Versorgung von 10.000 Personen. Im Oktober dieses Jahres soll das Projekt startklar sein, es ist eines der größten Batterieprojekte in Frankreich.
Ein Biomasse-Heizkraftwerk mit knapp 20 Megawatt installierter Leistung soll künftig grün erzeugten Dampf für die auf der Chemieplattform angesiedelten Unternehmen liefern, unter anderem auch für den zukünftigen Betreiber der PET-Recycling-Anlage. Rund 30.000 Tonnen klimaschädliches CO2 könnten pro Jahr vermieden werden. Versuche, Kohle und Biomasse zu jeweils 50 Prozent gemischt im Kraftwerk zu verbrennen, sind vielversprechend und tragen sukzessive zur Dekarbonisierung bei. Die gebunkerte Kohle stammt übrigens aus Übersee und wird von Rotterdam über die Mosel bis zum Hafen Uckange bei Thionville per Schiff und anschließend per Lkw angeliefert. „Bis Ende des Jahres soll die definitive Entscheidung über den großtechnischen Einsatz stehen“, so der Standort-Chef. Das gelte auch für die finanzielle Unterstützung des französischen Staats. Daher erkläre sich auch die derzeitige Unruhe in der Belegschaft, denn die grüne Transformation sei eben auch mit Unsicherheiten behaftet.
Gazel Energie sieht sich auf jeden Fall gut gerüstet, aus der einstigen „schwarzen“ Industrieperle einen innovativen „grünen“ Standort zu entwickeln. Das technische Know-how und die Erfahrung sowie Infrastrukturen sind auf dem Gelände vorhanden, es gibt keine Proteste aus der Bevölkerung gegen Ansiedlungen, und Frankreich hält trotz der politischen Erdbeben im eigenen Land an seiner Industriepolitik fest. In den kommenden Wochen und Monaten könnten sich weitere potenzielle Investoren für den Standort rund um Emile Huchet interessieren. Gespräche würden intensiv geführt, so Arnoux. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft „Invest Eastern France“ steht in den Startlöchern.