Unter den Namen Clean Beauty, Green Beauty oder Zero Waste setzen inzwischen auch die Giganten der Beauty-Glamour-Industrie auf Natürlichkeit und Nachhaltigkeit.
Als Dr. Rudolf Hauschka im württembergischen Bad Boll im Jahr 1967 seine ersten Kosmetik-Produkte zur Gesichtspflege unter Verzicht auf chemisch-synthetische Emulgatoren und unter Verwendung natürlich-ätherischer Öle auf den Markt gebracht hatte, wurde der Chemiker in der Branche wie ein Exot belächelt. Heute gilt Dr. Hauschka hingegen als einer der frühen Pioniere der Naturkosmetik. Ein Ruf, der von seinem Unternehmen durch die Lancierung einer kompletten Make-up-Serie mit natürlichen Inhaltsstoffen und einer gleichzeitig schmückenden wie pflegenden Rezeptur noch verfestigt werden sollte.
Mit dem Kärntner Horst Rechelbacher hatte ein Landsmann von Dr. Hauschka die Naturkosmetik im Jahr 1977 auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten implantiert. Unter dem Markennamen Aveda präsentiert er Haarshampoos rein auf Pflanzenbasis und setzt bei Vermarktung und Produktion auf seinerzeit geradezu revolutionäre Ansätze wie umweltfreundliche Verpackungen und nachhaltigen Rohstoffanbau. Überraschend war, dass Rechelbacher mit seinem bald auch natürliche Hautpflegeprodukte umfassenden Sortiment ausgerechnet in den USA, wo bis heute bei der Herstellung von Kosmetika kaum bedenkliche Inhaltsstoffe verboten sind, so große Erfolge feiern konnte. Er wurde nicht nur ein reicher Mann, sondern konnte sein Unternehmen 1997 für kolportierte 300 Millionen Euro an den Kosmetik-Riesen Estée Lauder verkaufen.
Start-ups sahen eine Marktlücke
Auch wenn hier erstmals ein Beauty-Gigant ins Naturkosmetik-Segment eingebrochen war, sollte dieses doch noch geraume Zeit ein Nischengeschäft bleiben. Das hat sich erst in den letzten zehn Jahren grundlegend verändert. Als immer mehr junge Beauty-Start-ups oder Independent-Beauty-Brands erkannt hatten, dass sie hier eine von den Megakonzernen vernachlässigte Marktlücke füllen und mit wenig Marketingbudget, aber mit glaubhafter, über die sozialen Medien verbreiteter Message mit Schlagworten wie Green Beauty, Clean Beauty oder Clean Cosmetics den Großen eine gehörige Scheibe vom Umsatzkuchen abschneiden konnten. Dabei fanden sie vor allem bei den für ein bewussteres Konsumverhalten bekannten Millennials und der Generation Z viele kaufkräftige Kunden. Sie konnten ihre überschaubare Produktpalette von Anfang an am ständig wachsenden Kundeninteresse für Nachhaltigkeit, Klimaneutralität, die Umwelt schonender Produktion, Verpackungen und Lieferketten, Transparenz bei den möglichst natürlichen Inhaltsstoffen, Zero Waste oder dem Bewusstsein für den eigenen ökologischen Fußabdruck ausrichten.
Und da die besagten Naturkosmetik-Newcomer sich nicht darauf beschränkten, nur auf die löblichen Inhaltsstoffe ihrer Produkte hinzuweisen, sondern zum Leidwesen der Beauty-Konzerne auch genüsslich aufzuzählen begannen, auf welche bedenklichen Ingredienzen sie zum Wohle ihrer Kunden bewusst verzichtet hatten, kam plötzlich eine hitzige Kontroverse um Substanzen wie Siloxane, Parabene, Phthalate, Mineralöl oder Mikroplastik in Gang, verbunden mit der gigantischen Beauty-Verpackungsproblematik von jährlich über 120 Milliarden Einheiten und einem bislang weithin ungelösten Recyclingdilemma.
Unter dem Druck der öffentlichen Debatte und natürlich auch aus rein marktwirtschaftlichen Gründen setzte bei den Beauty-Riesen ein Umdenken ein. Wobei es ausgeschlossen war, gleich die gesamte Angebotspalette von heute auf morgen Richtung Clean Beauty (sprich frei von problematischen oder potenziell gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen), Green Beauty (Kosmetik aus natürlichen oder möglichst naturnahen Rohstoffen), Naturkosmetik (Produkte aus natürlichen oder naturidentischen Rohstoffen), Biokosmetik (Produkte mit einem möglichst hohen Anteil an biologischen Rohstoffen), Clean Cosmetics (meist vegane Erzeugnisse ohne für die Gesundheit bedenkliche Inhaltsstoffe) oder vegane Kosmetik (ohne jegliche tierische Bestandteile) umzustellen.
Etikett mithilfe eines Lexikons studieren
Dabei muss sogleich angemerkt werden, dass fast keines der gerade aufgezählten Schlagwörter rechtsverbindlich definiert ist, sondern jedem Hersteller bei der Verwendung viel Spielraum bleibt. So kann ein Produzent sein Erzeugnis auch dann als Naturkosmetik deklarieren, wenn er chemisch-synthetische Abkömmlinge von natürlichen Rohstoffen darin verarbeitet hat – was häufig Vorwürfe des Greenwashings zur Folge haben kann. Wer auf der sicheren Seite sein möchte, muss daher die Angaben des Etiketts gründlich studieren. Allerdings dürfte sich dabei häufig die Mitnahme eines Chemie-Lexikons empfehlen. Die Beauty-Konzerne werden zunächst wohl nur einzelne Vorzeige-Produkte neu konzipieren können. Guerlain hat beispielsweise sein begehrtes Terracotta-Bronzepuder mit einer neuen Formel lanciert, die nun fast komplett auf pflanzenbasierten Inhaltsstoffen beruht, während der Großteil ihres Sortiments weiter auf konventioneller Kosmetik beruhen wird. Besonders die Umstellung beim Make-up hin zu gesünderen Alternativen gilt als ziemlich heikel. Die Kunden und Kundinnen werden sich bei neuen Produkten womöglich mit einem ungewohnten, nicht ganz so cremigem Feeling anfreunden müssen, wenn beispielsweise in Peelings oder Duschgels die winzigen Mikroplastikkügelchen durch zermahlene Kerne von Aprikosen, Mandeln oder Granatäpfeln beziehungsweise Reismehl ersetzt werden.
Vergleichsweise einfacher ist es für die Beauty-Konzerne, einen Beitrag zur Abfallreduktion im Sinne von Zero Waste zu leisten (beispielsweise durch Verpackungen aus Plastikalternativen wie Maisstärke oder Bambus). So haben sich die Estée-Lauder-Gruppe, Procter & Gamble (vor allem für Pantene Pro-V) oder auch L’Oréal (vor allem mit seinem Label Garnier, das ein Green Beauty getauftes Nachhaltigkeitsprogramm vorgestellt hat) für die kommenden Jahre das Ziel gesetzt, einen Großteil der Verpackungen entweder nachfüllbar (beispielsweise durch Verwendung von Glastiegeln statt Plastikbehältnissen), wiederverwendbar oder recyclebar zu machen. Clarins hat für seine Duftmarke Mugler schon seit 1992 die „Mugler Source" als nachfüllbare Parfümquelle im Handel etabliert. Auch der Pariser Luxuskonzern LVMH hat sich, besonders für seine Marke Guerlain, leichtere Verpackungen, nachfüllbare Formate und auch natürlichere Inhalte auf die Fahne geschrieben. Darüber hinaus möchte der Konzern bis 2028 klimaneutral werden, was nichts anderes bedeutet, als dass die beim Produktionsprozess entstandenen CO2-Emissionen wieder ausgeglichen werden müssen, wofür die Finanzierung von öko-sozialen Projekten (beispielsweise mit bäuerlichen Rohstoffproduzenten, wie es das Label Nature Box der Gruppe Schwarzkopf & Henkel mit nachhaltigen Palmöl-Erzeugern macht) oder auch sogenannten Social-Impact-Projekten bestens geeignet ist. Chanel hat sich bislang nicht explizit als nachhaltiges Beauty-Label positioniert, hat aber auf die Förderung von Plantagen in verschiedensten Teilen der Welt hingewiesen, wo die Rohstoffe für Chanel-Produkte auf nachhaltige Weise angebaut werden.
Nachhaltigkeit bei Lippenstiften ist relevant
Dennoch bleibt für die Beauty-Branche noch viel zu tun, um in der breiten Öffentlichkeit als nachhaltig anerkannt zu werden. Laut einer repräsentativen Umfrage des Verbandes der Vertriebsfirmen Kosmetischer Erzeugnisse VKE aus dem Jahr 2020 hatte gerade mal ein Fünftel der Bundesbürger der Schönheits-Industrie das Nachhaltigkeits-Etikett bescheinigen wollen. Kein toller Wert, zumal laut Umfrage die Nachhaltigkeit als Kaufargument nach Qualität und Preis-Leistungs-Verhältnis an dritter Stelle genannt wurde. Wobei für die Verbraucher die Nachhaltigkeit des Angebots bei Düften oder Nagellack weniger relevant war als bei Lippenstiften oder Produkten für die Gesichtspflege.