Image und Ansehen der Grünen haben in der Regierungskoalition stark gelitten. Der Druck massiver Krisen offenbart innere Widersprüche. Der alte Streit zwischen Realos und Fundis tritt unter neuen Bedingungen in neuem Gewand zutage.
Kurz vor Ostern schreckte eine Umfrage den Grünen-Bundesvorstand endgültig auf. Es war nicht eine der routinemäßigen „Sonntagsfragen“ nach dem Motto: Wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären. Die Umfragewerte sind nämlich für die Grünen zwar auch einigermaßen ernüchternd gegenüber dem eigenen Anspruch einer Volkspartei, aber doch einigermaßen stabil. Je nach Institut kommt die Partei auf Werte irgendwo zwischen 13 bis 16 Prozent.
Kein gutes Image in realer Politik
Es ist vielmehr eine Erhebung des Allensbach-Instituts (März 2024), die alarmierende Hintergrundentwicklungen deutlich gemacht hat. Demnach verlieren die Grünen massiv an Sympathie. Der Anteil der Befragten, die die Grünen nicht gut finden, hat sich demnach in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt, und zwar von 25 auf 56 Prozent. Umgekehrt halbierte sich der Anteil derer, die die Grünen „teilweise gut finden“ (von 41 auf 27 Prozent), ebenso derer, die die Grünen richtig „gut“ finden (18 auf 8 Prozent).
Die Umfrage (im Auftrag der „FAZ“) liefert auch gleich deutliche Hinweise darauf, was das eher negative Bild prägt: Grüne machen zu viele Vorschriften (67 Prozent), machen Politik an den eigentlichen Sorgen der Bürger vorbei (63 Prozent) und hätten außerdem Politiker in ihren Reihen, die „ausgesprochen unsympathisch“ sind (51 Prozent).
Ein ziemlich verheerendes Bild für eine Partei, die sich vor drei Jahren so gut aufgestellt sah, dass sie sich zutraute, erstmals explizit nicht wie zuvor mit einem Spitzenkandidatenduo, sondern einer Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Das Ergebnis ist bekannt.
Als Ursachen für diesen Sympathieverlust lassen sich einige parallele Entwicklungen ausmachen: einerseits die Sachpolitik in der Ampel-Koalition, andererseits aber auch, dass die Grünen von anderen ganz ausdrücklich zum Gegner Nummer eins erklärt wurden und die Auseinandersetzung teilweise Züge eines Kulturkampfes angenommen hat. Und das betrifft vor allem die „bürgerliche“ Klientel, die den Grünen viel Sympathie entgegen-, aber auch den Vorwurf eingebracht hat, der sich im Begriff der „Lehrerpartei“ fokussiert.
Richtig greifbar wurde dies bei der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vor einem Jahr in Berlin. Gerade in den Kerngebieten der Grünen brach die Zustimmung durch ihre Klientel zusammen. In den Abstimmungsbezirken besonders im alten Westen der Hauptstadt halbierte sich teilweise die Zahl ihrer Stimmen. Ausgerechnet im bürgerlichen Lager. Ausschlaggebend damals waren offenbar Bundeswirtschaftsminister Robert Habecks Wärmewende im privaten Sektor und seine ursprüngliche Idee, Gas- und Ölheizungen für die Zukunft zu verbieten, was er dann am Schluss selbst gleich wieder einkassieren musste.
Die Auseinandersetzung um den sogenannten „Heiz-Hammer“ hat Stimmen gekostet und letztlich auch die Regierungsbeteiligung in der Stadt. Erschwerend zur Wärmewende in den privaten Haushalten kommt die Verkehrswende hinzu. Wenn ganze Kieze in den deutschen Ballungsräumen zu Fahrradstraßen umfunktioniert und die Hälfte der verfügbaren Parkplätze umgewidmet werden sollen, ist das für viele Anwohner nur schwer hinnehmbar. Auch ein aus Umweltschutzgründen angeschaffter Elektro-SUV muss halt irgendwo geparkt werden, idealerweise natürlich vor der Haustür.
Die Grünen sind auch ein Stück weit Opfer des eigenen Erfolgs – und der menschlichen Inkonsequenz. Dass mehr für die Umwelt getan werden soll, ob bei Energie-, Verkehrs- oder Wärmewende, findet breite Zustimmung. Nur wenn es konkret wird mit Verkehrsplanung und erneuerbarer Energie und dies in die eigene Lebensführung eingreift, sieht alles schon wieder ganz anders aus.
In der Regierung wollen nun die Grünen energisch Maßnahmen für das notwendige Ziel einer Klimaneutralität forcieren. Aber das geht aus ihrer Sicht nur, wenn menschliche Schwächen durch Ver- und Gebote begrenzt werden, damit es voran geht.
Aber Menschen wollen sich nunmal ungern gängeln lassen und schon gar nicht zu Verhaltensänderungen gezwungen werden. Der menschliche Widerspruchsgeist schlägt nun zurück auf die Grünen.
Ein anderes, ebenso emotional aufgeladenes Thema sind die Fragen, die sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine stellen. Die Grünen, bei Gründung getragen von einer großen Friedensbewegung, zeigen sich nun von einer ganz anderen Seite.
Allen voran der ehemalige Co-Fraktionschef Anton Hofreiter. Plötzlich heißt das Motto der Grünen im Bundestag: „Frieden schaffen mit mehr Waffen“, und „Panzer-Toni“, wie er mittlerweile selbst von seinen eigenen Parteifreunden bezeichnet wird, marschiert vorneweg. Nachdem er maßgeblich die Lieferung der Leopard-Panzer an die Ukraine durchgesetzt hat, ist er nun wild entschlossen, auch Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 Kilometern an die Ukraine zu liefern. Dabei gibt Hofreiter dem Kanzler auch gern mal Erklärungshilfen, wie so ein Marschflugkörper programmiert werden muss, damit er nicht weiter fliegt, als er soll. Wobei der mittlerweile vom „Panzer-“ zum „Raketen-Toni“ gewandelte Hofreiter vergisst, dass ein Marschflugkörper aufgrund seiner Reichweite aus militärischer Sicht Sinn macht. Gleichzeitig sitzt die grüne Außenministerin Annalena Baerbock kopfschüttelnd daneben, wenn vom SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nachdenkliche Töne über die Situation angeschlagen werden. Umgehend fordert auch sie ein Umdenken vom Bundeskanzler in der Taurus-Frage.
Das wiederum verstört Wählerschichten, die umgekehrt die von Baerbock ausgerufene „Feministische Außenpolitik“ begrüßen. Was wiederum andere höchst irritiert. Baerbock muss natürlich auch Gespräche führen mit Staaten, deren Regierungen eigene Vorstellungen von Frauen- und Menschenrechten haben. Und die drohende Gefahr der Ausweitung der aktuellen Kriege setzt auch per se eine klare Agenda.
Wandel von Grundpositionen
Auch in der Umweltpolitik, der grünen Kernkompetenz, sind die Grünen in der harten Realität angekommen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist weit weg von dem, was er sich vor zweieinhalb Jahren auf die politischen Fahnen geschrieben hat. Seit vier Monaten gehen auch die Bauern in Deutschland auf die Barrikaden, und es sind nicht nur die konventionellen Bauern, die beinahe im Wochentakt mit ihren Trecker-Korsos im Berliner Regierungsviertel anrücken. Es sind auch die Öko-Bauern, die mit den bürokratischen Auflagen nicht mehr klarkommen. Vor allem die Kleinbauern, die sich von der großagrarischen Bewirtschaftung verabschiedet haben, leiden unter der Überbürokratisierung. Die vielen kleinen Hofläden rechnen sich nicht mehr, weil die Mitarbeiter die Hälfte der Arbeitszeit am Schreibtisch leisten müssen und nicht auf dem Feld oder im Laden.
Die Situation von Bündnis 90/Die Grünen ist also verfahren, was auch der Umstand belegt, dass keine der aktiven Klima-Gruppen mit der Partei in einem Satz genannt werden möchte. Auch wenn die deutsche Fridays-for-Future-Ikone Luisa Neubauer Parteimitglied ist. Neubauer hält sich bei öffentlichen Auftritten immer schön zurück, um strikt eine Distanz zwischen Partei und Bewegung zu halten.
Das Bild von den Grünen als Verbotspartei wurde von der politischen Konkurrenz lebhaft ausgemalt. Wirklich bedenklich stimmen muss die Partei aber, dass zwei Drittel der Menschen glauben, die Partei mache Politik an den eigentlichen Sorgen vorbei. Da schwingt natürlich eine ohnehin vorhandene negative Grundstimmung gegen „die Politik“ mit. Aber für die Grünen, die sich immer als basisorientierte Partei verstanden, ist auch das ein bedenklicher Befund.