Die Debatte rund um das Bürgergeld ist um eine Facette reicher. Das Bündnis „Sanktionsfrei“ legt eine Studie vor, deren Befunde der Regierung zu denken geben sollten. Dennoch soll gespart werden, denn die Ausgaben steigen.
Das Bürgergeld, ehemals Hartz IV, hat trotz neuem Namen und höheren Monatssätzen noch immer mit einem schlechten Image zu kämpfen. Dies liegt unter anderem auch an Aussagen des amtierenden Bundeskanzlers, der „mehr Fleiß“ fordert und gleichzeitig unterstellt, man könne bei den 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern viel Geld einsparen. Im Wahlkampf hieß es seitens Friedrich Merz, 100.000 in Arbeit gebrachte Bürgergeldempfänger würden dem Staat 1,5 Milliarden Euro sparen.
Eine neue Studie offenbart nun: Die meisten Bürgergeldempfänger leben nach wie vor am Existenzminimum. Die Studie, vorgestellt von der Initiative „Sanktionsfrei“, stellt fest, dass 54 Prozent der Eltern regelmäßig zugunsten ihrer Kinder aufs Essen verzichten. Die Angst vor Obdachlosigkeit sei mittlerweile stark ausgeprägt, so Helena Steinhaus, Sprecherin von „Sanktionsfrei“.
„Kürzungen sind kontraproduktiv“
Zwei Jahre nach der umstrittenen Bürgergeldreform der Ampel plant die schwarz-rote Koalition eine „Neue Grundsicherung“. Diese Umetikettierung geht mit beachtlichen Verschärfungen bei den Empfängerinnen und Empfängern einher – sie sollen wieder „gefördert und gefordert“ werden. Wie genau, ist noch unklar. Dabei, so Sanktionsfrei, habe es bisher noch überhaupt keine umfassende wissenschaftliche Evaluierung des Bürgergeldes gegeben, Betroffene würden kaum gehört. Aus diesen Gründen habe man sich zu der Studie entschlossen, zu der 1.014 Bürgergeldbeziehende beitrugen. Gemeinsam mit Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), und Thomas Wasilewski, Bürgergeldbeziehendem und ehrenamtlichem Mitarbeiter der Tafel, stellte Steinhaus die Studie kürzlich in Berlin vor.
Grundlegende Erkenntnisse hierbei: Der Regelsatz von monatlich 563 Euro reiche nicht für das Nötigste, sagen 72 Prozent der Empfänger. Selbst Grundbedürfnisse werden nicht ausreichend erfüllt: Nur jeder Zweite gibt an, dass in ihrem Haushalt alle satt werden. 28 Prozent machen sich sogar Sorgen, obdachlos zu werden. Der Wunsch, vom Bürgergeld unabhängig zu werden, ist zwar bei 74 Prozent stark ausgeprägt. Jedoch seien nur Wenige zuversichtlich, dass sie auch eine Stelle finden werden, mit der sie den Bürgergeldbezug beenden können (26 Prozent). Neben Hindernissen auf der individuellen und strukturellen Ebene werden die Jobcenter bei der Arbeitssuche nur als bedingt hilfreich wahrgenommen. Das Stigma, das Bürgergeldempfänger empfinden, ist dabei immer noch stark ausgeprägt. Nur zwölf Prozent fühlen sich der Gesellschaft zugehörig, 42 Prozent geben an, dass sie sich schämen, Bürgergeld zu beziehen. Die Mehrheit der Befragten (72 Prozent) hat Angst vor weiteren Verschärfungen im Bürgergeld: Insbesondere die mögliche Wiedereinführung eines vollständigen Leistungsentzugs wird von den Befragten als akut existenzgefährdend beschrieben.

Der Ökonom Marcel Fratzscher vom DIW mahnte statt Kürzungen höhere Investitionen von Wirtschaft und Politik in die Betroffenen an: „Das Bürgergeld muss so ausgestaltet sein, dass es die Teilhabe aller betroffenen Menschen gewährleistet. Eine Kürzung der Leistungen ist kontraproduktiv, nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern auch für Unternehmen, Gesellschaft und Sozialstaat, da dies die Arbeitsaufnahme erschweren und nicht verbessern würde“, so Fratzscher. „Sanktionsfrei“ fordert deshalb, die geplanten Verschärfungen zu stoppen, sowie einen bedarfsdeckenden Regelsatz in Höhe von 813 Euro, die Abschaffung von Sanktionen und eine bessere Qualifizierung und Weiterbildung. Statt den Fokus stets auf angeblich mangelnde Arbeitsbereitschaft zu richten, müsse die Frage gestellt werden, inwiefern es für Personen im Bürgergeld überhaupt ausreichend bedarfsdeckende Stellen gebe.
Statistisch gibt es unter den knapp 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern in Deutschland etwa 18.000 Totalverweigerer, also Bürgergeldempfänger, die arbeiten könnten, dies aber nicht tun und stattdessen Bürgergeld beziehen. Eine zweite Gruppe sind die Aufstocker: 826.000 arbeitende Menschen in Deutschland müssen mithilfe des Bürgergelds ihr Einkommen aufstocken, weil das Geld sonst nicht zum Leben reicht. Dazu gehören Minijobber oder Teilzeitkräfte. Für sie wendete der Staat 2024 rund sieben Milliarden Euro auf. Weitere Empfänger von Bürgergeld sind gerade in Weiterbildungsmaßnahmen oder pflegen Angehörige, zwei Drittel der Bürgergeldempfänger sind Kinder und Jugendliche. 1,7 Millionen sind beschäftigungsfähig – aber oftmals krank oder zu gering qualifiziert, so die Studie.
Ausgaben steigen auf 52 Milliarden Euro
Nun steigen allerdings die Kosten des Bundes für das Bürgergeld – in Zeiten milliardenschwerer Investitionsbooster und Sondervermögen erscheint dies weniger relevant. Aber gerade jetzt will die Koalition auf die Ausgaben achten, denn erst 2026 sollen Reformen im Bürgergeld angegangen werden. Im Haushalt der Regierung sind 52 Milliarden Euro dafür eingeplant, bislang waren es 47 Milliarden. Das sind etwas mehr als zehn Prozent der Gesamtausgaben des Bundes (2025: 503 Milliarden Euro). Einsparungen sollen die Ausgaben im Zaum halten: einerseits durch härtere Sanktionen, andererseits durch einen stärkeren Fokus auf die Arbeitsvermittlung und -qualifizierung, um die Empfänger in existenzsichernden Jobs unterzubringen. Denn mehr als eine Million Bürgergeldempfänger haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Allerdings, so Arbeitsministerin Bas, sei die Wirtschaftslage derzeit schwierig, die Nachfrage nach Fachkräften damit geringer. Damit bleibt die Ausgangslage für beide Seiten, die Befürworter eines höheren Bürgergelds sowie für die Bundesregierung, die mittelfristig an dieser Stelle sparen möchte, mehr als schwierig.
Dafür müsste die Konjunktur deutlicher anspringen, gering Qualifizierte deutlich stärker qualifiziert und die in Deutschland im EU-Vergleich extrem hohe Teilzeitquote verringert werden. Drei Faktoren, die die Bundesregierung nur zum Teil in der Hand hat. Bis dahin halten jedoch Konsumenten ihr Geld zusammen, die Arbeitslosenzahlen könnten im Sommer drei Millionen erreichen, die Zahl an Insolvenzen erreicht deutlich höhere Werte als noch 2024. Aber: Immerhin deuten erste Anzeichen darauf hin, dass die Konjunkturflaute in der Wirtschaft Licht am Ende eines langen Tunnels sieht – womöglich in der zweiten Jahreshälfte. Spätestens dann könnten sich auch wieder bessere Chancen für Bürgergeldempfänger ergeben – wenn die Politik nicht nur fordert, sondern verstärkt fördert.