Für Alexander Zverev beginnt die Jagd nach einem Grand-Slam-Titel aufs Neue. Für seinen großen Traum hat er ein paar Anpassungen in seinem Spiel und beim Schläger vorgenommen. Reicht das schon für den Triumph bei den Australian Open?
Die weißen Sandstrände und das azurblaue Wasser laden regelrecht zum Faulenzen ein. Nur an wenigen Orten auf der Welt kann man so gut abschalten vom Alltagsstress wie in der malerischen Umgebung auf den Malediven. Die Versuchung war für Alexander Zverev aber scheinbar nicht besonders groß. Bei seinem lang herbeigesehnten Urlaub auf der Trauminsel gönnte sich der deutsche Tennisstar nach eigener Aussage nur zwei freie Tage ohne jedes Training. Danach ging die Schufterei schon wieder los. „Aktiv bleiben während des Urlaubs im Paradies“, schrieb Zverev bei Instagram und postete dazu ein Trainingsvideo von sich. Oberkörperfrei beim Gewichte-Stemmen, auf dem Laufband, beim Paddle-Tennis und bei Koordinations-Spielen im Sand mit Vater und Trainer Alexander sowie Bruder Mischa.
„Vorbereitung vor der Vorbereitung“
„Mehrere Stunden im Fitnessbereich, Fahrrad, Laufen, Pumpen – er hat alles gemacht“, sagte Mischa Zverev bei Sky. „Das war eine Vorbereitung vor der Vorbereitung.“ Denn nach der Rückkehr in die Wahlheimat Monte Carlo packte der Weltranglistenzweite noch ein paar Schippen drauf. Mit Fitnesscoach Jez Green schuftete Zverev jeden Tag stundenlang, um körperlich wieder in Topform zu kommen. Viel Zeit blieb ihm nicht, denn die Saison begann für den Olympiasieger von 2021 bereits Ende Dezember mit dem United Cup in Australien. Der Team-Wettbewerb, den Deutschland mit Zverev und der inzwischen nicht mehr aktiven Angelique Kerber vor einem Jahr gewann, stellte aber nicht nur den Saisoneinstieg dar. Es war auch die Generalprobe für das erste große Highlight: die Australian Open. Beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres ab dem 12. Januar will sich Zverev endlich seinen großen Traum von einem Sieg bei einem der vier Major-Events erfüllen.
„Ich habe keinen Grand Slam gewonnen“, sagte der gebürtige Hamburger. „Das ist, glaube ich, kein Geheimnis, dass das mein Hauptziel sein wird die nächsten sechs, sieben Jahre.“ Doch so lange will Zverev natürlich nicht warten. Wahrscheinlich kann er es auch nicht, im April wird er 28 Jahre alt. Seine schon jetzt größten Konkurrenten, der italienische Weltranglistenerste Jannik Sinner (23) und Carlos Alcaraz (21), sind deutlich jünger – und trotzdem schon mit Grand-Slam-Siegen dekoriert. Will Zverev nicht als Unvollendeter in die Tennis-Geschichte eingehen, sollte er diese Lücke in seinem sportlichen Lebenslauf füllen. Und das weiß er auch. „Klar ist er getrieben“, gab Bruder und Manager Mischa Zverev zu. „Die Nummer zwei ist schon gut, aber er will die Nummer eins werden, er will einen Grand Slam gewinnen, es soll das beste Jahr aller Zeiten werden für ihn. Deswegen wird er alles dafür geben.“
Die Chancen auf Sand bei den French Open stehen zwar besser, doch auch auf Hartplatz hat Zverev schon seine Extra-Klasse bewiesen. Auch im Vorjahr in Melbourne war die Trophäe für ihn greifbar – doch im Halbfinale gegen den Russen Daniil Medwedew vergab er eine Riesenchance zumindest aufs Finale. Mit zwei Sätzen hatte er bereits geführt, am Ende musste er sich aber Medwedew nach einem Fünf-Satz-Krimi geschlagen geben. Ähnliches war ihm schon beim Endspiel der US Open 2020 gegen den Österreicher Dominic Thiem passiert. Er habe 2024 zwar „einige fantastische Matches gespielt“, sagte Zverev. Aber: „Was im Gedächtnis bleibt, sind die harten Niederlagen.“ Dazu zählte natürlich auch das verlorene Duell mit Alcaraz im French-Open-Finale nach fünf hart umkämpften Sätzen.
Kritiker warfen der deutschen Nummer eins hinterher vor, sie würde in den entscheidenden Momenten das Risiko scheuen, zu passiv spielen. Das will Zverev im neuen Jahr ändern. In gewissen Situationen will er offensiver, aggressiver, mutiger agieren. Beim Returnspiel nicht mehr so weit hinter der Linie stehen. Beim Aufschlagsspiel öfter den Weg ans Netz suchen. Bewusst die Rallys auch gegen Topgegner aktiv dominieren. Beim Halbfinal-Aus bei den ATP-Finals im vergangenen November, als er erneut gegen seinen neuen Angstgegner Taylor Fritz aus den USA verlor, funktionierte all das noch nicht. „Hoffentlich kann ich in Australien, wenn ich noch mal in dieser Situation bin, das aggressive Tennis auch in einem wichtigen Moment bestätigen ohne die Fehler“, sagte Zverev.
69 Siege hat Zverev im vergangenen Jahr geholt – so viele wie kein anderer auf der Tour. Dazu triumphierte er bei den ATP-Masters in Rom und Paris. In der Weltrangliste ist er als Zweiter so gut platziert wie nie zuvor. Nach der schweren Knöchelverletzung 2022 und dem Aufbaujahr 2023 war die Saison 2024 das klare Signal: Alexander Zverev ist wieder absolute Weltklasse. Doch für den ganz großen Wurf bedarf es noch einer Entwicklung, das weiß auch Zverev. „Ich bin noch nicht zufrieden. Ich fühle, dass es da noch Dinge gibt, die ich erreichen möchte und Dinge, bei denen ich mich verbessern kann“, sagte er. Seinen Fans versprach er: „Ich werde alles dafür tun, dass nächstes Jahr mein Level noch höher ist als dieses Jahr.“
Könnte von Sinners Sperre profitieren
Doch wenn es ganz blöd kommt, reicht nicht einmal das. Sinner und Alcaraz scheinen Zverev noch einen halben Schritt voraus zu sein, sollten sie in Melbourne fit an den Start gehen. Sinner ist zwar die Nummer eins der Welt und Gewinner der ATP Finals, doch Zverev stuft Alcaraz ein Stück höher ein. „Wenn Alcaraz auf dem höchsten Niveau spielt, ist er besser – meiner ehrlichen Meinung nach“, sagte Zverev, der dem Spanier sogar Gesamtsiege bei „über 20 Grand-Slam-Turnieren“ zutraut. Vier Titel auf der größten Tennis-Bühne hat Alcaraz bereits auf dem Konto, der bei den Australien Open fehlt ihm noch. Im Vorjahr gewann hier Sinner – es war der Auftakt eines turbulenten Jahres für den Italiener mit vielen Siegen und dem Wirbel um zwei positive Dopingproben. Gegen den Freispruch für Sinner hat die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA Einspruch vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas eingelegt, der Fall wird nicht vor den Australian Open geklärt.
Sollte Sinner doch noch gesperrt werden, hätte Zverev es bei seinem Grand-Slam-Ziel und der Jagd nach der Weltranglistenposition deutlich leichter. Doch darauf spekulieren will er nicht. Er will das beeinflussen, was in seiner Macht steht. Dazu zählt auch der Wechsel seines Schlägers, den er – ungewöhnlich für Tennisprofis – schon zum Ende der Saison vollzogen hat. Man sei zu der Erkenntnis gekommen, dass es „nicht klug“ sei, so ein sensibles Thema in der Vorbereitung auf die neue Saison anzugehen, verriet Mischa Zverev, „weil du solltest dann den Schläger testen, wenn du eh dein bestes Tennis spielst. Dann kannst du sofort sehen: Ist das was für mich? Ist der besser? Ist der schlechter? Hat der Schläger mehr Potenzial?“ Nach einem Urlaub fasse sich jedoch jeder Schläger gleich an.
Was Zverev weniger beeinflussen kann, ist seine Gesundheit. In der Vorsaison blieb er zwar von Verletzungen weitestgehend verschont, doch Krankheiten suchten ihn immer mal wieder heim. Beim Laver Cup in Berlin berichtete der Tennisprofi, dass 25 Prozent seiner Lunge aufgrund einer Lungenentzündung nicht funktionieren würde. „Ich bin im Krankenhaus gelandet vor dem Laver Cup, als ich drei Tage am Stück 40 Grad Fieber gehabt habe und dann irgendwann das Gefühl hatte, ich kann nicht mehr atmen.“ Zverev legte nur eine kleine Pause ein, der Terminkalender im Tennis-Zirkus ist erbarmungslos. Zumindest für diejenigen, die wie Zverev einem Traum hinterherjagen.