Im 60. Jahr der deutsch-französischen Freundschaft feiern auch all diejenigen, die die Berufsausbildung beiderseits der Grenze organisieren. Eine dieser Organisationen: ProTandem. Die Chancen für Teilnehmer auf einen Job stehen gut.
Es sind Zahlen, die zuversichtlich stimmen: Frankreich hat im Jahr 2021 zum ersten Mal die Marke von 700.000 Jugendlichen mit Ausbildungsvertrag überschritten – Rekord in einem Land, in dem die duale Ausbildung als geringwertiger erachtet wird als in Deutschland. Dennoch gibt es noch viel zu tun: In Deutschland liegt bei den Jugendlichen, die die Sekundarstufe besuchen, der Anteil derer, die anschließend eine Ausbildung machen, bei etwa 50 Prozent, während er in Frankreich bei 20 Prozent liegt, so Pôle Emploi France, in etwa das Äquivalent zur deutschen Arbeitsagentur.
Mit an diesen Zahlen arbeiten unter anderem die Deutsch-Französische Industrie- und Handelskammer (AHK Frankreich), die Universität Paris Dauphine-PSL, das Deutsch-Französische Jugendwerk, die Deutsch-Französische Hochschule und ProTandem. Diese deutsch-französische Agentur für den Austausch in der beruflichen Bildung will jungen Auszubildenden den Blick ins jeweilige Nachbarland erleichtern. Dabei gehe es vor allem darum, dass junge Menschen voneinander lernen, gegenseitig profitieren und ihre Chancen am Arbeitsmarkt sowohl in Frankreich als auch in Deutschland erhöhen, so ProTandem.
Rekordzahl von Azubis in Frankreich
Laut Statistik stehen die Chancen für Azubis auch gut: Die Beschäftigungsquote junger Menschen liegt in den Ländern, in denen die Lehrlingsausbildung stärker verbreitet ist, deutlich höher, während die Jugendarbeitslosigkeit in Europa nach wie vor hoch ist: Die Arbeitslosenquote junger Menschen unter 25 Jahren lag im April 2022 in der EU bei durchschnittlich 14 Prozent, wobei es große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gab: 35 Prozent in Griechenland und Spanien, 18,9 Prozent in Frankreich und 6,9 Prozent in Deutschland, laut Eurostat. Seit über 40 Jahren nun hat ProTandem nach eigenen Angaben bereits über 110.000 Azubis in Unternehmen und Ausbildungsstätten beider Länder über Austauschprogramme vermittelt. Von gängigen Berufsbildern aus der Industrie oder Verwaltung über das Handwerk bis hin zu seltenen Berufen wie Orthopädieschuhmacher, aus dem hohen Norden Deutschlands über die südlichste Spitze Frankreichs bis hin zu exotischen Zielen wie dem Übersee-Département La Réunion.
Als ProTandem 1980, damals als „deutsch-französisches Sekretariat für die berufliche Bildung“ aus der Taufe gehoben wurde, war längst nicht ausgemacht, dass sich die Agentur zu einer Erfolgsgeschichte in der deutsch-französischen Zusammenarbeit entwickeln würde. Zu unterschiedlich die beiden Ausbildungssysteme, in Frankreich eher verschult mit staatlichen Ausbildungszentren, in Deutschland eher praxisorientiert mit betrieblicher Berufsausbildung.
Dazu die enorme sprachliche Hürde: Während die deutsche Sprache bei unseren französischen Nachbarn als kompliziert und wenig klangvoll gilt, löst schon allein die Grammatik des Französischen bei deutschen Schülern Unbehagen aus. Doch das Sprachenlernen stehe beim Austausch gar nicht im Vordergrund, betont Anika Roshan, die im Frühjahr 2022 zur deutschen ProTandem-Delegierten ernannt wurde und dort bereits einige Jahre als Sprachbegleiterin und Projektleiterin tätig war. „Der Fokus liegt bei unserem Programm auf dem fachlichen Austausch und erklärt ein wenig, warum junge Menschen, die mit Fremdsprachen vielleicht nicht so viel verbindet, trotzdem von unserem Programm profitieren.“ Wie beispielsweise in einer französischen Sterneküche stilvoll ein Menü kreiert, in einer deutschen Werkstatt professionell an Autos geschraubt oder in der Energiewirtschaft an gemeinsamen Lösungen der Zukunft gearbeitet wird, macht motivierte Azubis dies- und jenseits der Grenzen einfach neugierig und eröffnet neue Horizonte.
Perspektiven, die in einer globalisierten Welt mit hohem Vernetzungsgrad auch in internationalen Unternehmen stärker in den Fokus rücken. „Namhafte deutsche und französische Konzerne, unter ihnen Airbus oder BASF, haben von unseren Austauschprogrammen gehört und Auslandsaufenthalte, wie wir sie bieten, als wichtigen Bestandteil in ihre Ausbildung aufgenommen“, erklärt der französische Delegierte Marc Meyer. Es gehe neben der Sprache und dem Fachwissen eben auch um die Vermittlung des kulturellen Hintergrunds. Der gebürtige Elsässer war viele Jahre im Bereich Weiterbildung im In- und Ausland tätig und ist seit September 2022 bei ProTandem. Überhaupt ist alles in der Agentur paritätisch, angefangen beim zweisprachig ausgerichteten vierköpfigen Mitarbeiterteam über die beiden Arbeitssprachen Deutsch und Französisch bis hin zur Finanzierung. Die Agentur ProTandem mit Sitz in Saarbrücken wird mit gleichen Mitteln vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wie in Frankreich vom Außen-, Arbeits- und Bildungsministerium.
Aber es sind nicht nur die großen Unternehmen mit eigenen Aus- und Weiterbildungsstätten, die an einem Austauschprogramm interessiert sind. Interessant sei das auch für den Klein- und Mittelstand, sagt Marc Meyer, obwohl bei den Verantwortlichen manchmal Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse. „Gut ausgebildete junge Menschen, die auch andere Arbeits- und Sichtweisen kennen, sind im internationalen Umfeld gefragt. Im Prinzip ist es eine kostenlose Personalentwicklungsmaßnahme“, erläutert Anika Roshan.
Für den Austausch samt Fahrt- und Unterbringungskosten entstehen den Betrieben oder den Berufsausbildungsstätten keine Kosten. Trotzdem sei es nicht immer einfach für einen teilnehmenden Betrieb oder eine Schule, den Austausch zu organisieren. Azubis müssen für die Dauer der beiden mindestens zwei- oder dreiwöchigen Präsenzaustausche freigestellt und diese Zeiten auf die unterschiedlichen Ferienzeiten sorgfältig abgestimmt werden. Das sei für einen Kleinbetrieb mit wenigen Mitarbeitern nicht immer einfach, zumal Azubis im zweiten oder dritten Lehrjahr oftmals schon als wichtige Arbeitskraft gesehen werden, so Marc Meyer.
Programm wirbt um den Mittelstand
Die richtigen Partner in Deutschland und Frankreich zu finden und sie zusammenzubringen, das gehört zu den wichtigen Aufgaben von ProTandem neben der Organisation von rund 200 Austauschen pro Jahr, 100 in Frankreich und 100 in Deutschland. Wer passt wie mit wem zusammen? „Oftmals hängt es von einzelnen Personen ab, ob nun Geschäftsführer oder Schulleiter, wie eine Kooperation zustande kommt“, so Meyer weiter.
In mehr als 50 Berufsfeldern ist bisher eine Zusammenarbeit über ProTandem gelungen. Besonders erfreulich sei die Tatsache, dass seit 2021 vollzeitschulische Ausbildungen gefördert werden wie der gesamte Bereich der Pflegeberufe. Zusätzlich zu den Präsenzaustauschen sind mit Beginn der Corona-Pandemie Hybrid- oder Online-Austausche möglich geworden. Damit können sich deutsche und französische Azubis vor dem „echten“ Kennenlernen bereits zu gemeinsam verabredeten Projekten zusammenfinden.
Es gibt Unternehmen und Schulen, die schon von Anfang an dabei sind, wie das französische Ausbildungszentrum für Kfz-Mechaniker in Sedan. Exotisch ist dagegen die Zusammenarbeit des Ausbildungszentrums aus Krefeld und La Réunion vor der Ostküste Afrikas. Doch gerade Auszubildende der Berufe Fliesenleger, Dachdecker oder Maurer aus La Réunion nutzen fast jede Chance für eine Weiterqualifikation.
Ganz so weit haben es junge Menschen aus dem Saarland und Lothringen nicht. Um der grenzüberschreitenden Ausbildung zwischen Deutschland und Frankreich neuen Schwung zu verleihen, soll das Konzept für den grenznahen Raum 2023 mit neuen Ideen verändert werden, um so noch mehr saarländische und lothringische Unternehmen für eine grenzüberschreitende Ausbildung zu begeistern.
Mehr Schwung bei der grenzüberschreitenden Berufsausbildung, das wäre ganz nach dem Geschmack der saarländischen Landesregierung. Denn mit jetzt gerade mal 40 Azubis aus Frankreich und zehn Saarländern in Lothringen ist noch viel Luft nach oben. Doch dafür müssen alle noch ein wenig mehr in die Pedale treten. Denn, so sagt Marc Meyer, auch ProTandem sei mehr als nur ein Händedruck zweier Staatsmänner.