Freunde feiner Fischhäppchen kommen an der „Enzo Sushi Bar“ in Berlin-Mitte auf ihre Kosten. Und für Fans der pflanzlichen Kulinarik ist unter anderem ein ganz besonderes Grünzeug dabei.
Über das Glück gibt es viele Definitionen. Die Schriftstellerin Judith Hermann schrieb einmal: „Glück ist immer nur der Moment davor.“ Wenn man auch nur einen Wimpernschlag lang darüber sinniert, ist der jeweilige Glücksmoment schon verflogen. Auch die Zen-Buddhisten im fernen Japan wussten um die Flüchtigkeit des Augenblicks. Das japanische Wort „Ensō“ bedeutet „Kreis“ und steht gleichzeitig für den „Ausdruck des Moments“. In der Kalligrafie wird der Kreis in einem Schwung mit nur einem einzigen Pinselstrich gemalt.
„Ensō steht für Erleuchtung, Stärke und Eleganz“, erläutert Tran Nguyen, Inhaber und Chefkoch der Sushi-Bar im „Manifesto-Market“ am Potsdamer Platz, die im Deutschen Enzo geschrieben wird. Auch das Logo des Restaurants ziert der gepinselte Kreis: Schlicht und ästhetisch. Man könne „Ensō“ auch mit „Beauty of Imperfection“ bezeichnen, sagt der Sushi-Meister und zaubert vor unseren Augen pittoreske Röllchen und Häppchen aus Fisch und Reis.
Staunend beobachten wir ihn bei seiner Zubereitung. Dabei kämen wir gar nicht auf die Idee, dass hier irgendetwas nicht perfekt sein könnte. Das Auge isst schließlich mit – und in kaum einer Küche gilt dieses Credo mehr als in der japanischen. Entgegen weit verbreiteter Annahme wurde der essbare Augenschmaus ursprünglich gar nicht im Land der aufgehenden Sonne erfunden. Über den Ursprung der Fisch-Speise gibt es verschiedene Theorien. Eine von ihnen besagt, dass die Mekong-Völker in Xishuangbanna, Nordthailand, Kambodscha und in der südchinesischen Provinz Yunnan eine ausgeprägte Sushi-Kultur hatten. Und das schon lange vor den Japanern. Andere Forschende vermuten, dass das Bergvolk von Laos als erstes diese Form der Fischzubereitung entwickelte. Auch wird angenommen, dass sich die Fischzubereitung in küstenfernen Gebieten entwickelt haben soll. Diese Urform des Sushi, das sogenannte Nare-Sushi, gelangte etwa im 7. Jhd. n. Chr. in das Land der aufgehenden Sonne. Dabei wurde der rohe, gewaschene Fisch zum Konservieren stark gesalzen und in ungekochten Reis gelegt und gepresst. Dadurch konnte er über einen längeren Zeitraum haltbar bleiben. Beim Verzehr schließlich wurde nur der Fisch gegessen und der fermentierte „Stinkreis“ weggeworfen.
Reiszubereitung ist eigene Wissenschaft
Mitte des 17. Jahrhunderts haben Köche in Japan erstmals Essig unter den Reis gemischt. Der Reis wurde dazu in ein Holzkästchen gepresst, mit rohen Fischstückchen belegt und mit einem Stein beschwert. Dadurch wurde der Fermentierungsprozess eingeleitet, mit dem Resultat, dass der Reis genießbar und der Fisch zart wurde. Matsumoto Yoshiich, ein Arzt aus Edo, dem heutigen Tokio, soll die Zubereitungsart des sogenannten Nama-Nare-Sushis erfunden haben. Das Nama-Nare-Sushi bedeutet so viel wie „leicht gegärtes Sushi“ und ist der Vorläufer des heutigen Sushi. Um das Jahr 1906 herum gelangte das Fingerfood über japanische Einwanderer nach Kalifornien und verbreitete sich nach und nach auch im Westen.
Um die aufwendige Zubereitung des Sushi weiß auch der Enzo-Chef. Allein die Reiszubereitung ist eine Wissenschaft für sich. Zunächst kocht der gebürtige Berliner mit vietnamesischen Wurzeln den Reis. Dann kommt das weiße Gold in den sogenannten „Hangiri“, wie der japanische Holzbottich genannt wird. Anders als eine Metallschüssel nimmt das Holz des Hangiri die überschüssige Feuchtigkeit des Reis auf. Das soll verhindern, dass der Reis zu klebrig oder matschig wird. Danach kommen der säurearme Reisessig hinzu sowie Sake, der japanische Reiswein Mirin, Salz, Zucker und Konbu, eine getrocknete Seealge. Das Ganze wird mit einem Rührlöffel in einer bestimmten Schlagtechnik immer wieder gerührt und gewendet, und eventuelle verbrannte Stellen werden entfernt, erklärt der Berliner Gastronom das Prozedere. „Das Ganze dauert etwa eineinhalb Stunden“, erläutert Tran Ngyuen. Kein Wunder, dass künftige Sushi-Meister in Japan sechs Jahre in die Ausbildung gehen müssen, bis sie sich „Sushiya“ (Sushi-Koch) nennen dürfen. Damit der Reis im Mund ein bisschen fluffiger wird, modelliert Tran Ngyuen die körnige Sushi-Basis ein bisschen anders: So wird der Reis bei „Enzo“ nicht einfach nur gepresst, sondern auch mit einer kleinen, von außen nicht erkennbaren Lufthöhle versehen, erklärt er uns.
Tran Nguyen hat schon mehrere Jahre als Sushi-Koch praktiziert, wenn auch in Berlin. Zur Gastronomie hat es den Berliner mit schon früh gezogen. Als 15-jähriger Schüler hat er erst Eis verkauft und später Burger gebraten, erzählt er. Nach dem Abitur nahm er ein Studium der Wirtschaftsinformatik auf. „Doch nach ein, zwei Jahren habe ich gemerkt, dass mir das zu trocken war“, sagt er. „Es hat mich wieder dahin gezogen, was ich früher schon gerne gemacht habe, nämlich in die Gastronomie.“
Später heuerte er als Barkeeper in der „Enzo Sushi Bar“ in Prenzlauer Berg an. Das Restaurant im Winsviertel gibt es schon seit einigen Jahren. Lange bevor Tran Nyguen die Dependance am Potsdamer Platz eröffnen konnte. Anfang des Jahres war es dann so weit: Der ehemalige Mitarbeiter ist nun selbst Chef und leitet einen Mitarbeiter an. Noch während seiner Zeit als Bartender hat der Sushi-Fan seinem damaligen Chef und heutigen Business-Partner, Long Hoang, immer wieder über die Schulter gucken können. So wurde der passionierte Gastronom nach und nach vertraut mit dem jahrhundertealten Handwerk. Vor allem das Schneiden des Fisches ist eine Sache, die viel Konzentration und Erfahrung verlangt. „Ein falscher Schnitt, und schon hast du dich verletzt“, sagt Tran Nguyen. Von den zahlreichen Schnittverletzungen trägt er heute noch kleine Narben. „Es hat etwa drei Jahre gebraucht, bis ich mich nicht mehr geschnitten habe“, erinnert sich der Mittzwanziger. Aber Fisch, den habe er schon immer gemocht, „egal, in welcher Form, ob frittiert, gebacken oder roh“. Er habe ihn schon als Sushi geliebt, sagt der Fischexperte.
„Shiso ist die Minze Japans“
Tran Nguyens Sushi-Passion kann man auch schmecken. Zu den Signature Dishes zählen unter anderem das Nigiri mit flambiertem Lachs. Gekrönt werden die reizenden Röllchen mit einer hausgemachten Trüffel-Creme. Mein fotografierender Begleiter und ich sind vom ersten Biss an überzeugt. „Unser Bestseller ist Ebi Tempura Inside Out mit Lachs, Avocado und Trüffelcreme“, weiß der Enzo-Chef. Das glauben wir ihm aufs Wort. Aber zunächst wollen wir von der vegetarischen Variante kosten. Die Veggie-Rolle überzeugt durch innere und äußere Schönheit. Außen ist das Nigiri schick in Schale geschmissen. Dem leuchtend grünen Shiso-Mantel mit Zackenrand sei dank. „Shiso ist die Minze Japans“, erläutert der Sushi-Koch. Der ansonsten eher fleischliebhabende Fotograf ist begeistert von dem ungewöhnlichen Grünzeug. Und tatsächlich: Es schmeckt, wenn auch etwas schärfer als die heimische Minze. Die inneren Werte des Röllchens aus eingelegtem Kürbis, Rettich und Gurke überzeugen nicht weniger. Auf Knusperfreuden kommen wir dann bei der frittierten Meeresalge mit auf Umami-Kick ausgerichteter Ponzu-Sauce.
Überzeugt hat uns auch das Set aus Nigiri mit Gelbflossenmakrele und Dorade kombiniert mit Maki-Schnittchen aus Lachs und Avocado sowie Thunfisch. Unser Sushi-Koch empfiehlt uns halbfetten Thunfisch. „Das ist meine Lieblingssorte.“ Und er hat recht: Der Fisch zerschmilzt geradezu auf der Zunge. Dann rollt er auch schon die nächsten Nigiri in mundgerechte Häppchen. Im Nu entstehen weitere kulinarische Kleinode. Wir könnten noch stundenlang hier und da weiterprobieren, sind aber schon pappsatt und glücklich.