Zwei Prozesse im Mordfall Yeboah sind abgeschlossen, im saarländischen Landtag hat ein Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen. Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3. Welt Saar, sieht nicht nur darin einen Erfolg jahrzehntelanger Bemühungen um Aufklärung.
Herr Röder, zwei Prozesse um den Mordfall Yeboah sind abgeschlossen, im Landtag hat ein Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen. Erleichterung nach den Jahrzehnten Engagement im Fall Yeboah?
Auf jeden Fall ist es ein großer politischer Erfolg. Es ist uns gelungen, dass es die beiden Prozesse gab, es ist uns gelungen, das Thema so lange in der Öffentlichkeit hoch zu halten, dass im Jahr 2019 eine Zeugin bei der Polizei ausgesagt hat, die Ermittlungen wieder aufgenommen wurden. Das ist ja nicht von Gottes Hand gesteuert geschehen. Es ist der politische Druck, den wir entscheidend verursacht haben über 30 Jahre. Die Aktion 3. Welt Saar, Antifa Saar und Flüchtlingsrat waren die drei Organisationen mit ihren Milieus, die dafür gesorgt haben. Und ja: Es ist schon eine gewisse Genugtuung, dass wir nach über 30 Jahren am Ende diesen Erfolg erstritten haben. Allerdings haben wir mit dem Mord an Samuel Yeboah einen Menschen verloren.
In den Prozessen ist vieles von dem bestätigt worden, was von Ihnen immer wieder vorgetragen, aber ansonsten nicht ernst genommen, nicht wahrgenommen wurde oder sogar unter den Tisch gefallen ist. Wie gehen Sie jetzt damit um?
Das ist korrekt: Im Gerichtsverfahren ist vom ersten Prozesstag bis zum letzten und auch im abschließenden Urteil des OLG (Oberlandesgericht) Koblenz vieles bestätigt worden. Im zweiten Prozess ist der Angeklagte zwar am Ende freigesprochen worden, aber in der Urteilsbegründung ist auch festgehalten, dass er nach wie vor zutiefst von der nationalsozialistischen Sache überzeugt ist. Das heißt, man kann ihn heute noch als Nazi bezeichnen. Fast bei jedem Zeugen, jeder Zeugin wurden wir bestätigt in dem, was wir seit vielen Jahren gesagt haben. Das war ähnlich wie beim NSU-Skandal, wo die Polizei ja auch angeblich jahrelang im Dunkeln getappt ist, und am Ende kam heraus, dass das, was antifaschistische Gruppierungen immer betont haben, nämlich dass Nazis gefährlich sind, dass sie Zugang zu Waffen haben, dass sie mit Waffen üben, dass sie diese Waffen auch anwenden. Ich gehe soweit zu sagen, dass es hier um ein saarländisches Staatsversagen geht. Es gab eine Nazistruktur, die Saarlouis selbst als „national befreite Zone“ bezeichnet hat, das war ihr Kampfbegriff. Man hat seitens der Politik, der Justiz aber auch der Polizei darüber hinweggeschaut. Es gab ja über den rassistischen Mord-Anschlag auf Yeboah und 20 Bewohner und Besucher des Hauses hinaus in den 1990er Jahren rund 20 Bomben-, Brand-, Mord- und Terroranschläge von rechts im Saarland. Das ist völlig absurd in dem kleinen Saarland. Und dann muss man schauen, wer damals regiert hat. Das war Oskar Lafontaine (damals noch SPD) mit seinem Innenminister Friedel Läpple (SPD). Da ist nichts gemacht worden. Ermittlungen sind nicht geführt worden. Es kam in beiden Prozessen in Koblenz häufiger die Verwunderung von Zeugen zur Sprache, dass die Angeklagten nie von den Ermittlern konsequent behelligt worden sind. Ich bin gespannt, ob im Untersuchungsausschuss im Landtag, den wir in gewisser Weise jetzt auch erstritten haben, die Abgeordneten verlangen, dass der Verfassungsschutz vor dem U-Ausschuss aussagt, aber auch, dass die Akten aus der damaligen Zeit freigegeben werden.
Der U-Ausschuss soll die Frage klären, was damals eigentlich in Saarlouis los war. Was bedeutet das heute?
Der Auftrag ist die politische Aufklärung. Wir finden es sehr gut, dass sich beide großen Parteien, SPD und CDU, darauf geeinigt haben, denn letzten Endes heißt parlamentarischer Untersuchungsausschuss auch, sich mit der Vergangenheit der CDU, und noch stärker mit der Vergangenheit der SPD auseinanderzusetzen. Und das sind sicherlich Prozesse, die nicht schön sind, das ist schmerzhaft, für beide Parteien. In Saarlouis hat zeitweise auch die CDU den Oberbürgermeister gestellt. Im Land hat seit 1999 die CDU mit Peter Müller, Annegret Kramp-Karrenbauer und Tobias Hans regiert, die auch eher mit Wegschauen aufgefallen sind. Das wird hoffentlich auch Thema im Untersuchungsausschuss sein.
Neben dem Untersuchungsausschuss hat es ja auch weitere politische Konsequenzen bereits gegeben. Wie bewerten Sie die?
Es gibt zwei weitere strukturelle Veränderungen, die dazu führen, dass ich sage: Das Ganze war ein Erfolg aus unserer Sicht. Es gibt den Opferentschädigungsfonds und es wird einen Beauftragten oder eine Beauftragte gegen Rassismus geben. Das sind strukturelle Erfolge, die über die nächsten Jahre wirken, über die beiden Prozesse hinaus. Dass es beim zweiten Prozess einen Freispruch gab, war nicht so wichtig. Entscheidend war, dass ermittelt wurde, dass viele Menschen befragt worden sind, über 70 als Zeuginnen und Zeugen ausgesagt haben, die Dinge also öffentlich sind. Wir haben selbst eine umfangreiche Prozessbeobachtung gemacht, waren an allen 66 Prozesstagen dabei, haben Prozessberichte verfasst. Das gehört dazu, dass man es nicht bei der juristischen Aufarbeitung belässt, sondern auch in die politische Öffentlichkeit kommuniziert, dass das, was da in Saarlouis stattgefunden hat, im Grunde vor unser aller Augen stattgefunden hat.
Aufarbeitung ist das Eine. Was kann der U-Ausschuss über die Bewältigung hinaus erreichen?
Er kann Daten und Fakten sammeln, da er Zugang zu Akten hat. Und wenn er nicht einknickt, wird er auch Zugang zu Verfassungsschutzakten haben, was ich sehr hoffe. Optimal wäre, wenn diese Akten vollumfänglich offen gelegt werden. Und dann beschäftigen sich die Parlamentarier auch mit ihren eigenen Parteien. Das ist insofern relevant, weil das davor bewahren kann, sich zurückzuziehen und zu sagen: Wir sind nicht das Problem. Sie sind insofern das Problem, weil sie damals weggeschaut haben, bewusst weggeschaut haben. Das Ganze wurde bagatellisiert. In meinen Augen war es ein Hamsterrad der Bagatellisierung, in der Stadt Saarlouis und in der Landespolitik. Man hat die Nazis als verrückte Jugendliche dargestellt. Wenn die den Hitlergruß gezeigt haben, dann waren das verwirrte Jugendliche. Die haben aber auch körperlich zugelangt, gegen Linke agitiert, gegen Punks, gegen Menschen mit antifaschistischer, heißt demokratischer Haltung. Sie haben auch zugelangt gegen Menschen, die aus ihrer Sicht ‚nicht deutsch‘ aussahen. Und all das fand in Saarlouis auch tagsüber statt, bei Tageslicht. Und das Hamsterrad der Bagatellisierung wurde weiter bedient: Man hat damals in den 1990er-Jahren ein pädagogisches Projekt installiert: Akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen. Man hat also ein politisches Problem, nämlich eine nationalsozialistische Einstellung, pädagogisch betrachtet. Das kann nicht funktionieren. Im Gegenteil: die NS-Szene bekam dadurch im doppelten Sinn Zugang zu Räumen. Sie bekamen in gewisser Weise gesellschaftliche Akzeptanz dadurch, dass man sie behandelte wie Jugendliche, die nur ein bisschen überdrehen. Und sie bekamen konkrete Räume dort, wo das Projekt untergebracht war. Insofern hat das der Aufarbeitung mehr geschadet als genutzt.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Dass es nie zu spät ist. Natürlich hatten wir auch oft gezweifelt, ob es sich lohnt, die Sache immer wieder zu thematisieren. Wenn man dreißig Jahre dran bleibt, gibt es immer wieder Zweifel, ob der Aufwand lohnt. Wir haben es trotzdem durchgezogen. Das heißt, dass man einen langen Atem braucht, wenn man für seine demokratischen, republikanischen Überzeugungen eintritt. Es heißt für uns aber auch, dass man die Wirksamkeit der Pädagogik in diesem Zusammenhang in Frage stellen muss. Es gibt auch heute immer wieder den Reflex, wenn politische Probleme auftauchen wie Antisemitismus oder Rassismus, dass dann sehr schnell pädagogische Projekte initiiert werden. Man tut der Pädagogik aber keinen Gefallen, wenn man sie nutzt – in meinen Augen: missbraucht – um ein politisches Problem zu lösen. In Teilbereichen kann Pädagogik sicher Wichtiges beitragen, aber diesen Reflex halten wir für falsch und wollen das auch thematisieren. Politische Probleme kann man nur politisch lösen und nicht dadurch, dass man sie pädagogisiert. Wenn man das begreift, hat man auch den Ansatz, um heute erfolgreich gegen Entwicklungen vorzugehen. Pädagogische Projekte an Schulen zu machen ist sicher gut, aber man muss sich vor Augen führen: Ermittlungen, Prozesse und die institutionellen Veränderungen sind Ergebnisse politischer Arbeit und nicht von pädagogischen Projekten.
Ist ein Antirassismusbeauftragter oder -beauftragte die angemessenen politische Antwort?
Untersuchungsausschuss, Opferentschädigungsfonds und Antirassismusbeauftragter oder -beauftragte sind institutionelle Antworten staatlicherseits. Das zeigt, wie ich auch bei der Anhörung im Landtag gesagt habe, dass der Staat auch lernen kann, man kann von einem „lernenden Staat“ sprechen, der institutionell Dinge verändern kann. Es wird aber nie funktionieren ohne eine lebendige, handlungsfähige, aktive, politische Zivilgesellschaft, die mehr macht, als nur ab und zu ein paar Fahnen gegen rechts zu schwenken. Das ist sicher auch wichtig, aber für sich alleine noch keine große politische Tat. Es gibt eine bekannte Szene im Film „Manhatten“ von Woody Allen, wo es darum geht, wie man Antisemitismus bekämpft. Da erzählen Personen bei einem Dinner, welche tollen Essays sie in der New York Times und wo auch immer geschrieben und veröffentlicht haben, und Woody Allen sagt: Ich glaube, da helfen keine Essays, da braucht man einen Baseballschläger. Es geht um diesen (symbolischen) Baseballschläger, wenn ein Staat konsequent handelt, aber es kann nur erfolgreich sein, wenn es auch eine politisch aktive Zivilgesellschaft gibt. Eine Zivilgesellschaft, die sich nur auf Spielkreisniveau mit diesen Dingen beschäftigt, wird kein relevantes Ergebnis erzielen.
Haben nicht gerade die großen Demonstrationen und Kundgebungen Anfang des Jahres ein deutliches Zeichen gesetzt?
Ja, das hat sicher auch mit dazu beigetragen, dass die AfD bei der Europawahl nicht die Ergebnisse erzielt hat, die schon mal prognostiziert waren. Das ist sicher auch ein Erfolg dieser relativ breiten Bewegung, die wir gesehen haben. Es darf nur dabei nicht stehen bleiben, sonst geht die Aufmerksamkeit wieder runter und es geht weiter wie bisher.
Untersuchungen zeigen, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung ein rechtes Weltbild haben. Müssen wir uns damit abfinden?
Schon in den 1980er-Jahren hat eine Studie gezeigt, dass wir – damals nur Westdeutschland – relativ stabil diesen Anteil von bis zu 20 Prozent Menschen in unserer Gesellschaft haben, die extrem rechts orientiert sind, rassistisch, nationalistisch, antisemitisch eingestellt sind. Das ist also nicht neu. Das Problem ist, wenn so etwas geleugnet wird, wenn das Hamsterrad der Bagatellisierung gedreht wird. Ich nenne es auch Staatsversagen. Wenn es gelingt, das zu durchbrechen, kommt man weiter, und wenn wir eine Debatte darüber führen, dass man mit pädagogischen Maßnahmen nur äußerst eingeschränkt politischen Erfolg haben kann. Man wird auch aus der Aufarbeitung im Fall Yeboah nicht herausfiltern können: Wir machen dies erstens, zweitens, drittens, und dann funktioniert das. Es ist ein mühsames Ringen um Aufklärung, und jede mediale Aufmerksamkeit trägt etwas dazu bei.
Gehört dazu auch die Diskussion um das richtige Gedenken im Fall Yeboah?
Es geht erst einmal darum, ob es überhaupt ein Gedenken gibt. Wir haben eine Gedenktafel aus Sandstein, von der wir der Meinung sind, dass die entweder ans Rathaus Saarlouis gehört oder zumindest in die unmittelbare Umgebung in der Innenstadt. Entschieden ist noch nichts. Es gehört aus unserer Sicht auch in die städtische Kommunikation, und man kann das Gedenken auch institutionalisieren. Aber auch das ist natürlich kein Allheilmittel, das das Problem lösen wird. Dazu gehört, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, und da gehören dann alle dazu, Parlamentarier, Medien, Kirchen, Vereine, die ganze Zivilgesellschaft.