Sie kann äußerlich und innerlich angewendet werden. Auf der Haut angewendet, verbessert Heilerde die Blutzirkulation und hilft bei Hautproblemen. In Wasser aufgelöst und eingenommen, wirkt sie gegen Magen- und Reizdarmbeschwerden. An der Nahe kommt die besondere Erde seit vielen Jahrzehnten als Lehmbad zum Einsatz.
In einer Halle und auf einer Wiese am Fluss Nahe, einem Nebenfluss des Rheins, stehen Sitzwannen, von denen einige mit einer schlammigen Lehmmasse gefüllt sind. Halina Kowalska-Hühner entscheidet sich an einem kühlen Morgen für das Bad in der Halle. Sie nimmt eine Schüssel mit Wasser, geht zu einer Wanne, stützt sich an den Seitenstützen ab und beginnt kräftig mit den Füßen die Lehmmasse weichzutreten. Rund eine halbe Stunde arbeitet sie den Lehm durch. Sie bewegt ihre Füße von hinten nach vorne und von einer zur anderen Seite der Wanne, bis sich alles geschmeidig anfühlt. Ist der Lehm zu fest, hilft etwas Wasser. Wenn die braune Masse die für sie richtige Konsistenz hat, steigt sie hinein und genießt die kühlende, entspannende und entgiftende Wirkung. „Die Vorbereitung ist gut für die Füße und Beine, die Gelenke werden gestärkt und die Durchblutung gefördert“, sagt die Ärztin aus Freiburg. Sie bestreicht ihren Oberkörper und die Arme mit Lehm und knetet ihn auch in der Wanne mit Händen und Füßen weiter durch. Wichtig sei es, sich Zeit zu nehmen, um den Lehm wirken zu lassen.
Ganzheitlich nach Emanuel Felke
Seit 30 Jahren fährt sie jedes Jahr ein paar Tage nach Bad Sobernheim in das „Hotel Bollants Spa im Park“, in dem das Heillehmbad noch angeboten wird. In dem ehemaligen Kurhaus hat es eine lange Tradition. Der frische Lehm wird in einem Tal in der Nähe des Hauses gewonnen, zwischengelagert und schubkarrenweise in die geleerten Bäder eingefüllt.
Die heutigen Lehmanwendungen gehen auf den Pastor und Naturheilkundler Emanuel Felke zurück. Geboren 1856 in der Nähe von Stendal, studierte er auf Wunsch seiner Eltern Theologie. Doch schon als Kind war er fasziniert von der Natur und der Fülle an Heilkräutern. Zeit seines Lebens begleitete ihn das Interesse an der Heilkunst, und so sah man ihn während seines Studiums in Berlin häufig in medizinischen Vorlesungen. Später entwickelte er ein ganzheitliches Heilkonzept, das auf den Lehren von Ärzten und verschiedenen Naturheilkundlern wie Sebastian Kneipp sowie dem Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann basierte. Felke entwickelte die klassische Homöopathie, bei der immer nur ein Wirkstoff verwendet wird, weiter und verordnete Komplexmittel, bei denen mehrere Arzneistoffe zu einem Medikament vereinigt werden. Nach der Lehre von Felke waren es neben der Komplex-Homöopathie, Licht, Luft, Wasser und Lehm sowie Ernährung und Bewegung, die den Menschen wieder zu seiner Gesundheit führen. Bekannt wurde Felke nachdem es ihm 1890 gelang, mit seiner Therapie an Diphterie erkrankte Kinder zu heilen.
Trotz vieler Anfeindungen von Schulmedizinern und der Kirche sprach sich der Erfolg von Felkes Heilkunst schnell herum. Seine Patienten kamen von nah und fern und es wurden immer mehr. Unter ihnen war auch die Hofdame von Kaiserin Auguste-Viktoria. Im Laufe der Zeit entstanden Felke-Vereine und eine Felke-Zeitschrift. 1912 legte der Pastor sein Pfarramt nieder, um seine gesamte Zeit den Kranken widmen zu können. Zu seinen Patienten zählte auch Andres Dhonau. Der 25-jährige Metzger hatte starke Hautprobleme an den Händen und hörte durch einen Zufall von Felke. Dhonau versprach dem Pastor, wenn er wieder gesund sei, dann wolle er ein „Felke-Kurhaus“ errichten und Felke solle dort seine Heilmethode praktizieren. Auch den jungen Metzger konnte Felke heilen.
Schöne und reine Haut
Andres Dhonau hielt sein Versprechen. Er verkaufte seinen Besitz und widmete sich dem Bau einer Kuranlage in Bad Sobernheim an der Nahe. Ein Kurmittelhaus, Luftbäder und Gästehäuser wurden gebaut und später ein großer Park angelegt. Felke siedelte nach Bad Sobernheim über und verschaffte dem Kurwesen fortan einen großen Aufschwung. Auch nach dem Tod Felkes 1926 wurde seine Therapie jahrzehntelang weitergeführt. Ein starkes Hochwasser im Jahr 1981 bedeutete fast das Aus für das Felke-Kurhaus. Der Enkel des Gründers, der Mediziner Axel Bolland, rettete mit der Unterstützung der Familie seiner Frau Elke Bolland, geborene Anton, die Anlage vor dem Abriss.
Als in den 1990er-Jahren viele Kurhäuser schließen mussten, weil Kuraufenthalte von den Kassen nicht mehr übernommen wurden, entwickelte die Familie Bolland-Anton ein modernes Gesundheits- und Wellnesshotel. Der Name „Bollants Spa im Park“ vereint die beiden Namen der Familien, die das heute vielfach ausgezeichnete Spa-Haus aufgebaut haben. Die gesammelten Erfahrungen aus über hundert Jahren Felke-Naturheilkunde prägen noch heute die Lehmanwendungen. Der Arzt Axel Bolland führt neben der Anlage eine Praxis und betreut Gäste, die den Aufenthalt für ihre Gesundheit nutzen wollen.
Für Halina Kowalska-Hühner wird es nach rund einer halben Stunde Zeit, das Lehmbad zu verlassen. Sie streicht den Lehm von der Haut bis nur noch eine dünne Schicht den Körper bedeckt, reinigt ihre Füße in der Wasserschüssel und geht hinaus in den Park. Ist der Lehm vollständig getrocknet, wird er mit den Händen abgerubbelt und anschließend abgeduscht. An schönen Tagen können die Gäste auch ein Bad im Fluss nehmen. „Das Abrubbeln des Lehms hat einen wunderbaren Peelingeffekt und macht eine schöne und reine Haut“, sagt die Ärztin.
Früher habe sie mit mehreren Frauen in der Halle oder im Freien im Lehmbad gesessen, da habe man sich unterhalten und es war ein geselliges Vergnügen. Heute sei es wohl ein bisschen aus der Mode gekommen, und Kowalska-Hühner könne auch die Ruhe genießen, wenn sie die Halle für sich hat. Andererseits probieren auch immer mehr junge Gäste eine Lehmanwendung aus.
Das Heilerdebad wirkt entschleunigend, hilft bei Venenleiden und Lymphstauungen sowie bei rheumatischen Beschwerden. Die entgiftende Wirkung wird besonders als Unterstützung beim Fasten geschätzt. Pastor Felke sagte zu seiner Zeit: „Geh‘ früh in die Erde, dann komm‘ später unter die Erde“. Die Prävention von Erkrankungen sowie die Stärkung des Immunsystems stehen im Vordergrund des Erdbadens.
„Zur Felke-Therapie gehörten immer auch gesunde Ernährung, Bewegung und viel Zeit in der Natur, alles sollte einfach auszuführen sein“, berichtet der Arzt Axel Bolland. Neben dem Lehmbad wird Heilerde im Dampfbad, für Entschlackungspackungen sowie Behandlungen einzelner Körperteile verwendet.
Zu den Inhaltsstoffen von Heilerde zählen überwiegend Quarzstaub, Feldspat, ein Silikat-Mineral und Kalkspat, auch Calcit genannt. Je nach geografischer Herkunft weist Heilerde unterschiedliche Anteile an Mineralien wie beispielsweise Kalzium-, Magnesium- und Natriumsalze, Aluminium, Eisen und Kalium auf. Äußerlich kommt Heilerde vor allem bei Hautproblemen verschiedenster Art zum Einsatz. Sie soll bei fettiger und unreiner Haut, bei Juckreiz, Neurodermitis, Sportverletzungen wie Prellungen oder Verstauchungen helfen.
Heilerde ist ein geschützter Begriff. Die spezielle Erde besitzt eine Zulassung als Arzneimittel und darf daher nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich angewendet werden. Um sie für medizinische Zwecke nutzbar zu machen, wird die Erde gereinigt und bei einer Temperatur von etwa 130 Grad Celsius getrocknet, um Keime abzutöten.
Das Besondere an Heilerde ist ihre feine Körnung. Ein einzelnes Korn ist nur ein Tausendstel Millimeter groß. In ihrer Gesamtheit ergeben diese jedoch riesige Oberflächen. Dadurch wirkt Heilerde wie ein Schwamm, der Giftstoffe oder überflüssige Magensäure aufsaugen kann. Je feiner die Erde gemahlen ist, desto größer wird ihre Oberfläche und desto höher ist ihr Bindungsvermögen.
Heilerde hilft gegen Sodbrennen und säurebedingte Magenbeschwerden sowie bei Durchfall. Außerdem kommt Heilerde zur unterstützenden Behandlung verschiedener Magen-Darm-Beschwerden zum Einsatz. Dazu zählen: Reizdarm, Reizmagen, Blähungen, Magendruck, Völlegefühl, Aufstoßen sowie Magenschleimhautentzündungen.
Bei äußerlichen Anwendungen wird das Heilerde-Pulver mit Wasser zu einem homogenen Schlamm angerührt und als Maske oder Wickel auf die Haut aufgetragen. Bei der innerlichen Anwendung wird die Heilerde ebenfalls in Wasser aufgelöst und getrunken oder in Form von Kapseln eingenommen.
Schon in der Antike ein Heilmittel
Schon in der Antike wurden mineralische Erden als Heilmittel verwendet. Die rötliche, eisenhaltige Erde stand im Ruf, ein hervorragendes Mittel gegen Vergiftungen, aber auch gegen Durchfall zu sein. Nach strengen Regeln wurden sie ausgegraben, gewaschen, zu Klumpen geformt und mit einem Ziegenabdruck gestempelt.
Auch in Deutschland wurden später solche Tonerden gefunden und aufbereitet, gerieten aber wieder in Vergessenheit. Naturheilkundler wie Sebastian Kneipp, „Lehmpastor“ Emanuel Felke und Adolf Just verhalfen Heilerde zu neuer Popularität. Just stieß im Harz auf einen Boden, dessen mineralische Zusammensetzung er für optimal befand und gründete dort 1918 die Heilerde-Gesellschaft Luvos. Die Firma, die nach dem Krieg in Hessen wiederaufgebaut wurde, ist heute in Deutschland marktführend.
„Bei Magenproblemen und Reizdarmbeschwerden kann sie tatsächlich ganz gut helfen“, sagt Birgit Terjung, Ärztin und Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Das sehr feine Pulver könne Säure oder galliges Sekret absorbieren. Davon profitieren beispielsweise Patienten mit Sodbrennen. Zu beachten ist, dass Heilerde nicht mit anderen Medikamenten eingenommen werden darf. Das Pulver könne auch diese Stoffe aufsaugen. Zwischen der Einnahme sollten mindestens zwei Stunden liegen. Bislang gibt es keine belastbaren Belege für die Wirksamkeit von Heilerde, aber jede Menge Erfahrungsberichte von Patienten wie Medizinern und Naturheilkundlern, für die Heilerde ein bewährtes Naturheilmittel ist.
Halina Kowalska-Hühner pflegt ihre Haut nach dem Lehmbad mit einem Hautöl und ruht sich auf einem Liegestuhl aus. „Der Lehm macht etwas mit einem, er ist reinigend und das Bad auch ein bisschen anstrengt, aber mir tut es einfach gut“, sagt sie und freut sich auf das Lehmbad am nächsten Tag.