Fünf Freunde, zwei Hausboote und viel Abenteuerlust. FORUM-Autorin Heidi Diehl machte eine Hausboottour durch die Templiner Gewässer im Norden Brandenburgs.
Nur nichts anmerken lassen, denke ich, als ich die beeindruckenden „Schlachtschiffe“ sehe. Wie soll ich so ein Monstrum auf Kurs halten? Wohin ausweichen, wenn in einem engen Kanal ein anderes Schiff entgegenkommt? Und dann die Schleusen – bloß nicht daran denken! Ich mache auf cool in der Marina Neuer Hafen im Ruppiner Seenland im Nordwesten Brandenburgs und begrüße die anderen mit einem strahlenden Lächeln. Kurz sinkt der Adrenalinspiegel – wird schon gut gehen, irgendwie. Peter und Patrick haben Skippererfahrung und Bootsführerscheine. Sandra, Marcus und ich hingegen sind Anfänger, dürfen aber die fast elf Meter langen und vier Meter breiten Schiffe auch ohne amtlich beglaubigte „Fahrerlaubnis“ steuern. Eine Regelung, die seit 2000 für Sportboote bis 15 PS auf vielen Gewässern in Deutschland gilt, vorausgesetzt, sie sind nicht länger als 15 Meter und fahren nicht schneller als zwölf Kilometer in der Stunde. Ein Charterschein, den man nach einer dreistündigen theoretischen und praktischen Einweisung erhält, reicht aus.
Verkehrsregeln auf dem Wasser lernen
Vor dieser Einweisung nehmen wir unser Zuhause für die nächsten Tage in Augenschein: Sandra, Marcus und Patrick das eine Schiff, Peter und ich das andere. Jeder hat seine eigene Kabine, schnörkellos aber praktisch eingerichtet, jeder sein eigenes Bad, eng aber sogar als Dusche nutzbar. Die Kombüse ist mit allen notwendigen Küchengeräten ausgestattet, und der Salon dient sowohl als Führerstand bei schlechtem Wetter als auch als Wohnzimmer. Am besten ist das Sonnendeck mit dem großen Steuerrad, von wo aus das Navigieren erleichtert wird.
Langsam verspüre ich Vorfreude, die jedoch gleich wieder gedämpft wird, als die Schulung durch eine Mitarbeiterin der Charterfirma beginnt: Verkehrszeichen und -regeln auf dem Wasser sind ebenso zu lernen, wie das Verhalten in Schleusen und an Liegeplätzen oder das Setzen des Ankers. Anschließend folgt eine praktische Einweisung in die Technik des Bootes und eine Probefahrt, bei der Fahren sowie An- und Ablegen geübt werden. Alles ist aufregend genug, doch noch ist ein Profi an Bord, das beruhigt ungemein.
Endlich heißt es: Leinen los! Das ist meine Aufgabe, denn Peter steht als Skipper auf der Brücke, um das Schiff aus dem engen Hafen zu manövrieren. Erstes Aufatmen, als beide Boote, ohne ein anderes zu touchieren, das Manöver geschafft haben und wir heil die Havel erreicht haben, die wir nun „bergauf“ in Richtung Templiner Gewässer fahren. Gut 30 Kilometer und zwei Schleusen liegen an diesem Tag vor uns. Ein paar Minuten Fahrtzeit mit dem Auto, mit dem Boot indes werden wir – wenn alles gut geht – rund fünf Stunden brauchen.
Minimales Einlenken reicht für das Boot
Gestartet sind wir in einem geschichtsträchtigen Ort, ohne den es die etwa 100 Kilometer südlich liegende Hauptstadt wohl nicht geben würde. „Berlin ist aus dem Kahn gebaut“, sagt man, und Mildenberg hatte einen großen Anteil daran. Denn nachdem man Ende des 19. Jahrhunderts in der Region rund um Zehdenick auf riesige Tonvorkommen gestoßen war, entstand hier innerhalb weniger Jahre eines der größten zusammenhängenden Ziegeleigebiete Europas. Auf dem Höhepunkt, 1911, qualmten 63 Ringöfen in 34 Ziegeleien. Milliarden von Ziegeln wurden in Lastkähnen über die Havel und durch neu gebaute Kanäle nach Berlin transportiert. Über die Jahre füllten sich die Tongruben mit Wasser und formten eine Kette von 50 künstlichen Seen. 1990 stellte die letzte Ziegelei ihren Betrieb ein, vier der Ringöfen blieben erhalten und sind heute der Mittelpunkt des Ziegeleiparks, der authentische Industriegeschichte erzählt. Statt der Lastkähne sieht man jetzt hier Freizeitboote, statt Schuften in stickigen Ziegeleien ist heute Erholung im Wasserrevier angesagt, von dem aus man in alle Himmelsrichtungen schippern kann.
Uns zieht es nach Nordosten, das Tagesziel ist Templin. Anfangs stehen Peter und Patrick am Steuerrad, wir anderen lassen uns derweil den Wind um die Nase wehen, beobachten Schwanen- und Entenfamilien mit ihrem Nachwuchs, genießen die Stille. Bis die erste Brücke kommt. „Mist“, schreit Peter, „wir haben vergessen, das Bimini herunterzuklappen“. Aber es ist zu spät. Mit angehaltenem Atem beobachten wir, wie das Schiff unter die Brücke gleitet. Wir hoffen, dass ein paar Zentimeter Luft zwischen Stoffverdeck und Beton bleiben. Es geht gerade noch gut. Erleichtert klappen wir das Bimini nach unten, wo es für den Rest der Tour bleibt.
„Jetzt kannst du mal“, sagt Peter, und drückt mir das Steuerrad in die Hand. Alles in mir wehrt sich, aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, die Beine sind wie Pudding und die Hände zittern. Krampfhaft umfasse ich das Steuerrad, versuche, das Boot auf Kurs zu halten. Doch es schlingert hin und her.
Peter bleibt ruhig, erklärt und demonstriert, dass minimales Einlenken ausreicht, weil das Schiff zeitversetzt reagiert. „Probiere es noch mal und vergiss, wie man ein Auto lenkt“, ermuntert er mich, und langsam merke ich, dass weniger mehr ist. Das Schiff hält Kurs. Allerdings bekomme ich von der Umgebung nichts mehr mit, so sehr bin ich auf den Weg vor uns fixiert. Nur langsam sinkt der Adrenalinspiegel. Als der Kanal enger und kurvenreicher wird und dann auch noch ein Boot im Gegenverkehr auftaucht, schreit der Körper wieder Alarm. Irgendwie klappt’s, ohne Crash aneinander vorbeizukommen. Lange hält das Glücksgefühl nicht an: Die Schleuse Kannenburg kommt in Sicht. Da müssen wir durch! Und sie auch noch selbst bedienen!
Peter und Patrick übernehmen die Steuerräder wieder, Sandra, Marcus und ich achten bei der Ein- und Ausfahrt darauf, dass die Boote nicht die Kaimauern schrammen, und wir sind dafür zuständig, sie in der Schleuse fest zu vertäuen. Nur wenige Zentimeter Luft bleiben rechts und links zwischen Boot und Mauer. Klare Ansagen sind da das eine, das Schiff zu manövrieren, etwas ganz anderes.
Zum Glück hängen rings um das Boot Fender, so etwas wie dicke aufgeblasene Luftballons, die als Puffer dienen. Während Peter und Patrick versuchen, die Schiffe möglichst dicht an die Kaimauer zu lenken, versuchen wir anderen, die dicken Taue an den Bollern zu befestigen. Das gelingt erst nach etlichen Versuchen. Zwar rumst es ein paarmal, doch Crew und beide Boote schaffen es heil wieder aus der Schleuse.
Anker werfen in einer stillen Bucht
Die Schleuse war fast sieben Jahre gesperrt, weil die über 100-Jährige so marode war, dass sie komplett neu gebaut werden musste. 18 Millionen Euro investierte der Bund in das für den Wassersport so wichtige Objekt. Denn die Schleuse, die jährlich von rund 7.500 Sportbooten passiert wird, ist die einzige Verbindung zwischen Havel und Templiner Gewässern, von wo aus man weiter in die Mecklenburgische Seenplatte schippern kann. Seit dem 19. April ist wieder freie Fahrt.
Bis wir nach gut fünf Stunden unser Tagesziel erreicht haben, passieren wir noch mehrere Kanäle, Seen und eine weitere Schleuse. Langsam kehrt Routine ein, und ich werde auch nicht mehr panisch, wenn Peter sich mal von mir wegbewegt. Das Schiff gleitet sanft dahin, wir genießen die Natur und die Abendsonne. In einer stillen Bucht im Templiner See werfen wir die Anker und vertäuen unsere Boote miteinander. Ein wunderbares Plätzchen, genau richtig, um hier die Nacht zu verbringen.
Erst mal ein Sprung in den See, dann schauen wir, was die Kühlschränke hergeben. Patrick hatte uns vor der Abreise nach unseren Essenswünschen gefragt, alles bestellt und anliefern lassen. Soviel, dass wir damit mindestens eine Woche leben könnten. Zur Feier des ersten gemeinsamen Abends stellt sich Peter an den Grill, wir Frauen bereiten einen Salat vor, Marcus deckt den Tisch und Patrick begleitet alles auf seiner Gitarre. „We are sailing …“ spielt er. Wir fühlen uns großartig. Lange sitzen wir in dieser Nacht zusammen, erzählen, singen, lachen und lauschen den Geräuschen der Natur. Als wir endlich in den Betten liegen, wiegen uns das Schaukeln der Boote und das Plätschern des Wassers sanft in den Schlaf.
Die Sonne schickt am nächsten Morgen einen goldenen „Weckruf“ in die Kojen. Die Dusche verlagern wir in den kühlen See, frühstücken zusammen auf dem Sonnendeck und schippern dann in den nahen Hafen Templin, wo wir für ein paar Stunden an Land gehen, um uns die mittelalterliche Stadt mit ihrer komplett erhaltenen Stadtmauer anzuschauen und später das „Hinterland“ mit dem Rad zu erkunden. Die Stadt, die eingebettet zwischen dem Naturpark Uckermärkische Seen und dem Biosphärenreservat Schorfheide liegt, gilt als die „Perle der Uckermark“. Sehr zu recht, wie wir schnell feststellen. 1.735 Meter lang ist der im 13. Jahrhundert aus Feldsteinen erbaute Schutzwall, der die alte, heute fantastisch sanierte Ackerbürgerstadt umgibt. Ein bisschen fühlt man sich hier wie in einer Filmkulisse – wenn man darin auf die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft, so ist sie, die hier aufgewachsen ist, genau so echt wie die Häuser. „Sie ist echt locker, macht auch gern mal ein Schwätzchen mit den Leuten, die sie ja zum Teil seit Kindertagen kennt“, erzählt die Stadtführerin Barbara Gödke.
Auch an diesem Abend sitzen wir nach dem gemeinsamen Kochen noch lange zusammen, erzählen, singen Lieder zur Gitarre, genießen ein paar Gläser Wein und fühlen uns einfach nur frei und glücklich.
Kurz mal umsteigen zur Kanutour
Am dritten Tag steuern wir die Boote zeitig am Morgen nordwärts in die Uckermärkische Seenlandschaft, wo Thomas Volpert, ein Natur- und Landschaftsführer bereits mit Kanus am Gleuensee auf uns wartet. Heute wollen wir in eine Wasserwelt eintauchen, die man mit Motorbooten nicht befahren darf. Mal ganz abgesehen davon, dass die Kanäle dafür auch viel zu eng wären. Die meisten wurden im späten 13. Jahrhundert angelegt, als Siedler begannen, diese Landschaft urbar zu machen und die Gletscherseen, die während der letzten Eiszeit vor rund 15.000 Jahren entstanden, miteinander verbanden. So entstand eine besondere Naturlandschaft, die sich über 897 Quadratkilometer ausdehnt und deren rund 590 Seen durch Kanäle und Flüsse miteinander verbunden sind. Mit nur etwa 20 Einwohnern pro Quadratkilometer gehört sie europaweit zu den am dünnsten besiedelten Regionen, die Tier- und Pflanzenwelt indes ist überreich: Der Fischadler, das Wappentier des Naturparks, bildet mit jährlich etwa 30 Brutpaaren die größte Bestandsdichte Europas, Schreiadler und die stark bedrohte europäische Sumpfschildkröte sind hier ebenso zu Hause, wie Seeadler, Fischotter oder 30 Arten von Libellen. Auch einige Pflanzen findet man nirgendwo anders in Brandenburg, wie beispielsweise das gelbe Knabenkraut.
Vorsichtig paddeln wir durch die Märchenlandschaft, versuchen den vielen Seerosenflächen auszuweichen, bestaunen Biberburgen und blühende Ufer, an denen Wasservögel ihre Jungen großziehen.
Zurück an Bord hieven wir die Anker unserer Boote, um nach Mildenberg zurückzuschippern. Die Aufregung hat sich längst gelegt. In den engen, mäandernden Havelabschnitten, wo ich vor zwei Tagen noch Herzrasen bekam, lenke ich nun das Schiff ebenso souverän durch die Kurven wie die anderen auch. Nur in den Schleusen überlasse ich das Steuerrad gern Peter, sie sind mir noch immer nicht ganz geheuer. Aber als Bootsfrau habe ich inzwischen Routine, wir funktionieren bestens miteinander.
Auch die Frage, wie und ob wir miteinander vier Tage auf so engem Raum auskommen, hat sich ganz schnell beantwortet: Ein bisschen traurig liegen wir uns beim Abschied am nächsten Morgen in den Armen.